kulturtipp: Aus einem berühmten Schweizer Film wird nun eine Oper: Was heisst das für Sie, den Komponisten? Wo beginnen Sie mit der Komposition, wenn doch der Kopf voll ist mit bewegten Bildern?
Christian Jost: Ich komponiere meine Opern nie in einer Art von innerer Visualisierung. Daher weiss ich auch nie eine Antwort auf die Frage zu Opernproduktionen, etwa ob ich mir das so vorgestellt hätte. Darum geht es auch gar nicht, wichtig ist nur, den Weg in die Tiefe meines Werks zu finden und nicht irgendetwas draufzusetzen. Ich komponiere Atmosphären, Zustände – und versuche dabei, immer tiefer in den Kern vorzudringen, in das Herz der Erzählung.
Am Ende geht es aber doch um Figuren.
Genau, die Charaktere sind die Tür hinein in das Innere des Werks. Ihre Gesangslinien sind der Schlüssel und der Weg in die zu erzählende, sich musikalisch ausbreitende symphonische Seelen- Landschaft.
Und welche Rolle spielt das gute alte Libretto?
Noch bevor ein Wort des Librettos geschrieben wird, auch wenn ich das Libretto selbst schreibe, entwickle ich ein grundsätzliches musikalisches Konzept, wie ich die Oper eigentlich erzählen möchte. Zum sehr archaischen Thema der «Reise der Hoffnung» schwebte mir sofort eine gross angelegte symphonische Form vor, welche ich in drei grosse Teile aufteilen wollte – und die dann zusammen die komplette Oper ergeben.
Und ich als Hörer werde diesen Ideen folgen können?
Ja, denn jeder dieser Teile oder Akte hat einen instrumentalen Schwerpunkt. So ist der erste Teil im Grunde ein Konzert für Violine und Orchester. Der zweite Akt besitzt einen hohen Anteil von perkussiven Instrumenten, und der dritte Akt kreist zeitweise um zwei Solotrompeten. So möchte ich fast von einer «gesungenen symphonischen Tondichtung» in drei Teilen sprechen.
Xavier Kollers Spielfilm «Reise der Hoffnung» zeigt, wie illegale türkische Einwanderer an der Schweizer Grenze sterben. Welche Töne gibt es für dieses Leid?
Das ist eine grosse Frage, denn sie betrifft das Problem der Ästhetisierung eines solchen Leids. Die Oper ist eine ästhetische Kunstform, ihre Protagonisten singen. Der Film hingegen kann viel eher die Realität abbilden. Die einfache Abbildung von Realität ist meines Erachtens aber auch nicht die Aufgabe von Oper. Die Oper kann die Dinge nur erhöhen, dem Subtilen Raum verschaffen und eine zeitlose Sensibilisierung durch das Wunder der Musik generieren. Was am Ende sicherlich nicht systemrelevant ist, aber zum wunder samsten Fussabdruck gehört, den der Mensch je hinterlassen wird.
Wie komponierten Sie tragische Szenen, die im Film herzzerreissend sind und je- weils zu Tränen im Kinosaal führten?
Bei diesem Stoff war es sehr wichtig, die richtige Balance zu finden. Ein Elternpaar, selbst kurz vor dem Erfrierungstod, verliert ihr Kind im Schneegestöber in den Schweizer Alpen. Und das nur, weil beide auf ein besseres Leben hofften, was immer das auch heissen mag. Eine menschliche Tragödie, die kaum schlimmer vorstellbar ist, die sprachlos macht und für mich auch zur Sprachlosigkeit der Protagonisten führt. Demgegenüber habe ich musikalische Ensembles geschaffen, Linien zwischen Schmerz und Reinheit komponiert, oder die engelsgleiche Figur der Ärztin eingeführt, die uns Licht in dieser dunkeln Tragik verspricht. Dabei habe ich mich nicht gescheut, der epischen «Landschaft» auch symphonisch Rechnung zu tragen.
Wie überraschend ist, bei allen Vorüberlegungen, das Endresultat einer Aufführung, der die Sänger und Sängerinnen sowie das Orchester eine eigene Farbe geben?
Bevor eine Partitur meinen Schreibtisch verlässt, habe ich das eigene Werk nochmal im Detail verinnerlicht, sodass der Variantenreichtum durch individuelle Gesangsstimmen oder die jeweilige Orchesterdisposition nichts am Kern meines Werks ändern. Jede Aufführung und jede Produktion hat ihre eigene Farbe, die eine Bereicherung für meine Oper darstellt und die Möglichkeit offenlegt, die verschieden komponierten Aspekte des Werks zu beleuchten.
Oft wird gesagt, eine Regie sei aus der Musik gedacht. Ist Ihnen das wichtig?
Das wäre wunderbar, denn genau darum geht es in der Oper, anders als im Film oder im Theater. In Wahrheit ist es sehr, sehr selten, dass genau dies tatsächlich passiert. Ich habe das eher als Ausnahme erlebt – und zwar in der Oper insgesamt.
Flüchtlingsströme und illegale Einwanderung sind überaus aktuell. Beeinflusste die Aktualität die Komposition, wird man sie in der Inszenierung von Kornél Mundruczó oder im Bühnenbild von Monika Pormale sehen?
Mich hat die Zeitlosigkeit des Stoffs interessiert und gepackt. Mit der Klimakrise sind die Völkerbewegungen die grossen Themen unserer Zeit. Sie werden uns in den unterschiedlichsten Auswirkungen lange beschäftigen. Darüber hinaus wird in der Oper ein Ein- zelschicksal fast schon in einer mythologischen Apokalypse erzählt – es steht somit wie eine zentrale Metapher zur grundsätzlichen Problematik dieser tragischen, menschengemachten Zustände. Kornél und Monika haben hierfür eine zeitgemässe und wie ich finde imposante Visualität geschaffen, eine Mischung aus Film und Theater.
Reise zur Hoffnung
Premiere: Di, 28.3., 20.00
Grand Théâtre de Genève