Für US-Kultautor T. C. Boyle ist klar, dass der Mensch es gründlich vermasselt hat: In seinem neuen Roman «Blue Skies» lodern in Kaliforniens ausgetrockneten Wäldern die Flammen und greifen auf die Villen der Bewohner über, während auf der anderen Seite in Florida Hurrikans toben und Überschwemmungen die Häuser morsch werden lassen.
Das Klima spielt verrückt, die Insekten sterben aus, und die Menschen in Boyles Roman hangeln sich von einer Katastrophe zur nächsten. Dieses apokalyptische Szenario packt er wie stets in eine süffige Geschichte, in der ein imposanter Tigerpython namens Willie und eine winzige Zecke eine entscheidende Rolle spielen.
Boyle erzählt aus dreifacher Perspektive: aus der Sicht der gelangweilten jungen Cat, die mit ihrem Mann in einem langsam versinkenden Strandhaus in Florida lebt und sich durch ihr neues Haustier in Form einer Würgeschlange einen höheren Influencer-Status erhofft. Aus der Sicht von Cats Bruder Cooper, ein auf den aussterbenden Monarchfalter spezialisierter Biologe, der schon früh vor der Apokalypse gewarnt hat.
Und aus Sicht ihrer Mutter Ottilie, die versucht, ihren Teil zum Umweltschutz beizutragen, indem sie beim Kochen etwa auf frittierte Heuschrecken oder Mescalwürmer-Tacos umsteigt.
Vom Einfluss der Erderwärmung
Die Moralkeule hat der 74-jährige T. C. Boyle in seinen Romanen, die oft vom gestörten Verhältnis zwischen Mensch und Natur handeln, bisher vermieden. In «Blue Skies» führt er nun trotz bissigem Humor in aller Deutlichkeit und zugespitzt auf die Katastrophe vor, welchen Einfluss die Erderwärmung auf den Alltag einer ganz gewöhnlichen Familie haben kann.
Samen-Schatzkammer auf Spitzbergen
In Maja Lundes Buch «Der Traum von einem Baum» ist die Umweltzerstörung noch weiter vorangeschritten als bei T. C. Boyle. Es spielt mehrheitlich im Jahr 2110, «nach dem Kollaps». Der 18-jährige Tommy, seine beiden jüngeren Brüder Henry und Hilmar, Tommys Schulkameradin Rakel und ihre Schwester Runa sind die einzigen Überlebenden auf Spitzbergen hoch im Norden.
Sie besitzen etwas, was den restlichen Teil der Welt vor der drohenden Hungerkrise retten könnte: eine in Eis eingelagerte Saatgutbank mit Hunderttausenden von Samen, die der (real existierende) Biologe Nikolai Wawilow und seine Mitstreiter einst in allen Weltgegenden gesammelt hatten. Tommy sieht sich nach dem Tod seiner Grossmutter, von der er alles über Pflanzen gelernt hat, als Hüter der Samen und will diese auf keinen Fall der zerstörerischen Menschheit ausliefern.
Doch Rakel nimmt in einer Notsituation mit der Aussenwelt Kontakt über Funk auf – und so ist eine Expedition, angeführt von der Chinesin Tao, unterwegs nach Spitzbergen … «Der Traum von einem Baum» ist der letzte Teil von Lundes Bestseller-«Klimaquartett», der sich auch ohne Vorkenntnisse lesen lässt.
In bewährter Manier baut die Norwegerin die Spannung auf, indem sie in die Vergangenheit zurückblendet und erst nach und nach offenbart, was zum Tod der Gemeinschaft auf der Insel geführt hat. Ihre Geschichte erzählt sie nicht ganz ohne Pathos, in einem beinahe märchenhaften Ton und mit viel Empathie.
Tao kommt zu Wort, vor allem aber rückt sie den Einzelgänger Tommy ins Zentrum, dessen Bürde berührt: Als grosser Bruder hat er eine Verantwortung gegenüber Henry und Hilmar und als Hüter der Samen auch für den Rest der Welt.
Brennende Hitze am Genfersee
Im Gegensatz zu den anderen beiden Romanen ist die KlimaKatastrophe in «Présence de la mort» des Westschweizer Autors C. F. Ramuz (1878–1947) nicht menschengemacht. Das Werk von 1922, das nun erstmals in deutscher Übersetzung unter dem Titel «Sturz in die Sonne» erschienen ist, zeigt eine Welt kurz vor dem Untergang:
«Durch einen Unfall im Gravitationssystem stürzt die Erde schnell in die Sonne zurück, strebt ihr entgegen, um darin zu zerschmelzen. (…) Alles Leben wird enden. Es wird immer heisser werden.» Ramuz, der seinen Roman in Erinnerung an den Hitzesommer 1921 am Genfersee schrieb, fokussiert vor allem darauf, wie die Menschen auf die angekündigte Auslöschung reagieren: Anfangs wollen sie es nicht glauben, bis sich die Wahrheit nicht mehr ignorieren lässt und die gesellschaftlichen Strukturen auseinanderbrechen.
Seiner Zeit voraus war Ramuz nicht nur wegen seiner Vision, die 100 Jahre später durch die Klimaerwärmung aktueller ist denn je, sondern auch formal: Er hat sich vom Kubismus und dem neuen Medium Kino inspirieren lassen. So wählt er unterschiedliche Perspektiven, wechselt zwischen Schreibstilen, Erzählrhythmen und Zeitformen und schafft daraus ein apokalyptisches Panorama. Und wo bleiben bei all den Untergangsszenarien die Lichtblicke? Jedes der drei Bücher enthält einen Hoffnungsschimmer – man muss ihn nur finden.
Ausstellung Klimafiktion
Mit Büchern, die in unterschiedlichster Form den drohenden Klimakollaps aufgreifen, hat sich auch die vergangene Ausstellung «Climate Fiction» im Strauhof Zürich befasst. Sie ist ab Mitte August im Schloss Werdenberg zu sehen. In einer Audio-VideoInstallation wird C. F. Ramuz’ Weltuntergang im Roman «Sturz in die Sonne» inszeniert.
Dazu kommen zwei Installationen zu Kim Stanley Robinsons Utopie «Das Ministerium für die Zukunft», in der es gelingt, bis 2070 die globale Erwärmung zu stoppen – mit verheerenden Auswirkungen für 20 Millionen Menschen in Indien. Die Schau greift auch weitere Autoren auf, die sich mit Umweltveränderungen, mit schwindendem Vertrauen zwischen Generationen, mit Verantwortung und Hoffnung befassen–
von Octavia Butlers «Die Parabel vom Sämann» (1993) über John Lanchesters «Die Mauer» (2019) bis Simone Weinmanns «Die Erinnerung an unbekannte Städte» (2021).
Climate Fiction
Fr, 18.8.–Di, 31.10., Schloss Werdenberg SG
Bücher
T. C. Boyle Blue Skies Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren
400 Seiten (Hanser 2023)
Maja Lunde Der Traum von einem Baum Aus dem Norwegischen von Ursel Allenstein
560 Seiten (btb 2023)
C. F. Ramuz Sturz in die Sonne Aus dem Französischen von Steven Wyss
192 Seiten (Limmat 2023)