Lange Frauenbeine ragen in den Himmel. Dazwischen humpelt ein kriegsversehrter Einbeiniger an Krücken durch eine vom Bombenhagel verwüstete Stadtlandschaft – ein rabenschwarzer Kommentar zur zerstörerischen Kraft des Krieges des bekennenden Pazifisten Tomi Ungerer. Er montierte in dieser Collage mit dem Titel «Journey’s Last Leg» eigentlich unvereinbare Bilder zu einem einzigen.
Collagen fügen Bildteile zusammen, die nicht zueinander gehören. Sie schaffen etwas überraschend Neues und kombinieren Einzelnes zu einem Ganzen. Aus Fremdmaterial entsteht etwas Eigenes. So funktioniert die Collage, das Wort kommt von französisch «coller», kleben.
Der 1931 im Elsass geborene Kosmopolit Tomi Ungerer hat sich als Zeichner, Illustrator und Kinderbuchautor einen Namen gemacht. Er gestaltet als «Universalkünstler» seit den 1950er-Jahren auch Collagen. Die Zürcher Schau erinnert nun an diese weitgehend unbekannte Kunstform Ungerers. 160 Werke versammelt die Ausstellung unter dem Titel «Incognito». Ausser Collagen sind Zeichnungen, Assemblagen und Plastiken zu sehen – immer typisch Ungerer.
Treu bleibt er sich auch als Collagist: Tomi Ungerer zeigt sich in seinen geklebten Werken originell, fantasievoll, provokativ oder bisweilen beissend scharf, verschmitzt, schelmenhaft und spielerisch.
Im Beispiel «Great Expectations» fragt man sich, wer da grosse Erwartungen hegt. Ist es das Kleinkind, das als Schwarz-Weiss-Fotografie von der Zimmerwand auf die vor ihm liegende Szenerie blickt? Biedere Tapetenmuster kontrastieren mit Furcht einflössenden Raum-Requisiten: Da steht ein mit Zähnen bewaffneter Kinderwagen, dominant im Raum platziert ist ein überdimensionierter Milchschoppen – wenig schöne Aussichten in einem Kinderzimmer des Grauens.
Buch
Tomi Ungerer
«Incognito»
424 Seiten
(Diogenes 2015).
Ausstellung
Tomi Ungerer: Incognito
Fr, 30.10.–So, 7.2. Kunsthaus Zürich
Gespräch
Mo, 2.11., 20.00 Kaufleuten Zürich
Tomi Ungerer im Gespräch mit Mona Vetsch
Gast: Verleger Philipp Keel