Ende Oktober, es ist Feierabend. Im Berner Bahnhof wuseln die Pendlerinnen und Pendler herum. Mittendrin gehen sechs Musiker und eine Musikerin schnurstracks auf den Extrazug nach Luzern zu. Steigen im hintersten Abteil ein und packen ihre Instrumente aus. Kaum fährt die Bahn los, sagen sie «Grüezi miteinander!» und beginnen zu spielen.
Cheibe Balagan ist eine junge Klezmer-Band aus Zürich: Gitarre, Bass, Akkordeon, Cajón, Klarinette, Cello und Geige gehören zur Formation. Gegründet wurde sie vom Geiger Edouard Mäzener. Er studierte in Karlsruhe, Yale und Basel klassische Geige – und improvisiert sich stilsicher durch die anderthalbstündige Klezmer-Zugfahrt Richtung Luzern.
Mit süsser Ballade dem Abend entgegen
Der romantische Sonnenuntergang über der Aare wird begleitet von einer süssen Ballade. Es liegen Programmhefte, Gratiszeitungen und Salate in Plastikschalen auf den Tischchen im Zugabteil. Zwei Damen unterhalten sich über die Verfilmung von Thomas Meyers Roman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse». Ob sie wissen, dass Cheibe Balagan dazu die Filmmusik beigesteuert hat?
Die Band spielt Eigenkompositionen wie «Sumer in Odes» oder Klezmer-Klassiker wie «Bei mir bistu shein». Einige Fahrgäste wünschen sich spezifische Stücke. Denn Cheibe Balagan haben dieses Jahr schon einmal ein Zugkonzert gegeben, und die KKL-Abonnenten haben ihre Lieblingslieder noch im Ohr.
Auch reguläre Fahrgäste willkommen
Auch die Dislozierung von Abteil zu Abteil gehört zur Performance: Mal bleibt ein Kabel an der Armlehne hängen, mal spielt der Klarinettist aus der Schleuse zwischen zwei Wagen – und muss in den knappen Pausen den Türöffner erwischen. Der doppelstöckige Extrazug ist zwar nicht rappelvoll, aber in jedem Abteil finden sich einige Grüppchen.
Der Extrazug steht auch regulären Fahrgästen von Bern nach Luzern zur Verfügung. Die Atmosphäre ist gelöst, die Band nahbar und humorvoll. Via Burgdorf und Herzogenbuchsee erreicht der Zug schliesslich Luzern, das Cajón verschwindet im Rucksack, der Cellokoffer schnappt zu. Summend spazieren die Konzertgäste ins KKL.
Konzert Cheibe Balagan
EP-Taufe «Sumer in Odes»
Weitere Acts: Kupus, Extrafish & DJette Baranka!
Fr, 23.11., 21.00 3. Stock Photobastei Zürich
Die Reihe «Unsere Stars von morgen»
Das aussergewöhnliche Vorkonzert im Zug ist eine Initiative von Migros-Kulturprozent-Classics. Der Grund: Weil das Casino Bern bis im Spätsommer 2019 renoviert wird, müssen die Classics-Konzerte während zweier Saisons ins KKL Luzern ausweichen. Das Berner Publikum muss also jeweils nach Luzern fahren – und verpasst so die Vorkonzerte der Reihe «Unsere Stars von morgen», die jeweils eine Stunde vor Konzertbeginn stattfinden. Für Besucher der KKL-Veranstaltungen sind die Zugtickets kostenlos, für reguläre Bahnreisende genügt ein gültiges Billett, um mitzufahren. Seit 1969 beinhaltet das kulturelle Engagement des Migros-Kulturprozents Förder- und Studienpreise für junge Musiker. Inzwischen wurde das Förderprogramm auf mehrjährige Stipendien mit Konzertvermittlung ausgeweitet.
Weitere Vorkonzerte im Zug
Mi, 28.11.: Sopranistin Sandrine Droin (siehe Interview unten)
So, 27.1.: Madeleine Merz (Mezzosopran)
Fr, 22.3.: Valentine Michaud (Saxofon)
5 Fragen an die 31-jährige Sängerin
«Gitarre sorgt für gute Stimmung»
Die Sopranistin Sandrine Droin hat in Neuchâtel, Frankfurt sowie am Opernstudio Zürich studiert. Sie ist am nächsten Konzert im Extrazug zu hören.
kulturtipp: Sandrine Droin, Ihre Spezialgebiete als Sängerin sind Oper und Lied – wie setzen Sie das in einem Zug um?
Sandrine Droin: Die Hauptfrage war: Mit welcher Begleitung kann ich ein Zugkonzert spielen? Ein Klavier kann ich ja nicht in den Zug nehmen. A cappella, also Gesang ohne Begleitung, wäre möglich gewesen. Ich hatte aber seit langer Zeit Lust, mit Gitarre zu arbeiten – und Gitarre sorgt für gute Stimmung!
Was werden Sie im Zug singen?
Die Gitarristin Linda Eberlein und ich haben einen Spielplan mit spanischen Liedern von Fernando Sor und Joaquín Rodrigo zusammengestellt und für jede Etage im Zug ein Programm kreiert.
Wollten Sie schon immer professionelle Sängerin werden?
Ich habe zunächst Biologie und Ethnologie in Neuchâtel studiert. Während des Bachelorstudiums habe ich den Gesang entdeckt, und es lief ganz gut. Mein Lehrer und ich gaben uns ein Jahr Zeit, um mich für die Aufnahmeprüfung vorzubereiten – und es hat geklappt!
Nach dem Bachelor gingen Sie nach Frankfurt. Warum blieben Sie nach dem Studium in Deutschland?
2016 habe ich meinen Master abgeschlossen, ging dann für ein Jahr ans Opernstudio Zürich – und jetzt habe ich meine Familie in Frankfurt. Mein Sohn ist elf Monate alt.
Welche weiteren Projekte stehen nach Ihrem Zugkonzert in Ihrer Agenda?
Mit dem Migros-Kulturprozent habe ich noch ein Konzertprogramm zu Ostern: Anfang April führen wir Bachs Johannespassion in Herzogenbuchsee und Murten auf. In Frankfurt singe ich im Dezember in einer Kinderoper mit Puppenspielern und im Januar in Händels Oper «Xerxes».
Interview: Katharina Thalmann
Konzerte
Mi, 28.11.Unsere Stars von morgen
17.09: Extrazug Bern–Luzern
Vorkonzert mit Sandrine Droin (Sopran) und Linda Eberlein (Gitarre)
18.30: Auditorium KKL Luzern
Vorkonzert mit Alexandre Beuchat (Bariton) und Marija Bokor (Klavier)
Ungarische Nationalphilharmonie
19.30: Grosser Saal KKL Luzern
Sinfoniekonzert mit Pianist Louis Schwizgebel