Man kennt natürlich Ennio Morricone, John Williams oder Hans Zimmer. Manchmal sind ihre Melodien fast besser in Erinnerung geblieben als die Bilder und Szenen, die nicht minder berühmte Regisseure erfunden haben. Noch wichtiger war die Filmmusik in jenen Zeiten, als man es noch nicht geschafft hatte, mit technischen Mitteln neben bewegten Bildern auch lebendige Sprache zu transportieren. Nur Krücken zum rudimentären Verständnis waren die sparsam eingesetzten Zwischentitel. Die Emotionen wurden von gestenreicher Körpersprache und ausdrucksvoller Mimik der Darsteller zum Leben erweckt – und von der Musik.
Ein wahres Kunstwerk aus jener Zeit ist der Stummfilm «Die Nibelungen» von Fritz Lang. Seine Bilder faszinieren bis heute: Edle Ritter mit abenteuerlichem Kriegsschmuck, barbarische Hunnenkrieger, die Frauen als schöne Art-déco-Figurinen oder kriegerische Naturwesen, Massen- und Schlachtenszenen à discrétion. Und natürlich Siegfried, wie man ihn hat sehen wollen: als stolzen Recken mit blondem Haar und nackter Heldenbrust, der auf einem Schimmel reitet. Fritz Lang (1890–1976) war ein Ästhet, und wie wenige Regisseure aus der Frühzeit des Kinos hat er die Kraft der Bilder virtuos zur suggestiven Erzählung seiner meist düsteren und abgründigen Geschichten zu nutzen gewusst. Mit «Metropolis» schuf er 1927 eine Ikone der Filmgeschichte, im Zweiteiler «Die Nibelungen» drei Jahre zuvor zeigte sich Lang aber nicht minder kreativ und stilsicher in seiner Bildsprache. Wenn Siegfried als erste Heldentat den Drachen erschlägt – der mit seinem geifernden Maul und dem Feueratem für die damalige Zeit wohl recht unheimlich gewirkt haben muss – wird schon deutlich, mit wie viel Detailverliebtheit man ans Werk gegangen ist.
Gemeinschaftswerk eines Dreierteams
Typisch für den Stummfilm ist die übertriebene Gestik der Schauspieler, die ihren ganz eigenen Reiz entfalten kann. «Es herrscht ein völlig anderes Empfinden für das Verstreichen von Zeit», sagt Frank Strobel, der nun die Vertonung mit dem Tonhalle-Orchester dirigiert. «Die Leute gehen nicht, sie schreiten. Auch die Gesten haben einen ganz eigenen Rhythmus, man sieht Fritz Lang vor dem inneren Auge, wie er zu jeder Armbewegung langsam den Takt angab. Gibt man sich der sinfonischen Musik hin, fällt man aus der eigenen Zeit heraus und gerät in eine Art Rausch.»
Gottfried Huppertz hiess der Schöpfer dieser Töne. Die Musikgeschichte hat ihn vergessen. Huppertz (1887–1937) aber kannte seine Stärken und konnte sich auf sie verlassen. Und er kannte sein Vorbild: Da klingt Richard Wagner an allen Ecken und Enden an, aber auch Erich Wolfgang Korngold und Richard Strauss. Huppertz beherrscht das spätromantische Orchester, er weiss, wie er mit diesem grossen Apparat all die Stimmungen, Atmosphären und Effekte hervorzaubert, die eine gute Filmmusik ausmachen. Dabei war er gar kein Vollblut-Komponist, sondern ein mässig erfolgreicher Operettensänger und Schauspieler, der zwischendurch auch mal ein Lied schrieb oder die Musik der Kollegen für Salon-Ensembles arrangierte. Zum Film kam er als Schauspieler: 1922 spielte er eine Nebenrolle in «Dr. Mabuse, der Spieler». Über die Autorin Thea von Harbou lernte er Fritz Lang kennen. Zu dritt entwarfen sie «Die Nibelungen», und man muss sich diese künstlerische Zusammenarbeit wirklich als Work in Progress vorstellen, wie Frank Strobel sagt: «Huppertz war von Anfang an in die Entwicklung des Films einbezogen. Das hat zur Folge, dass die Musik anders mitgedacht wurde und weit weg ist von einer rein illustrativen Funktion.»
Strobels Faszination für bewegte Bilder
Frank Strobel, 1966 in München geboren, entdeckte im Kino seiner Eltern schon früh seine Faszination für bewegte Bilder. Als Musiker machte er das Dirigieren von Filmmusik zu einem seiner Markenzeichen und gilt heute als weltweit anerkannter Spezialist auf diesem Gebiet. Als 2012 Fritz Langs berühmtester Film «Metropolis» in einer restaurierten Fassung in die Kinos kam, betreute Strobel die Filmmusik und leitete bei der Präsentation die live aufgeführte Partitur. Auch bei den «Nibelungen», die nun in der Zürcher Tonhalle zu erleben sind, sieht Strobel seine wichtigste Aufgabe darin, nicht zu illustrieren, sondern mit dem Film mitzugehen und mitzuerzählen: «Es macht einen grossen Unterschied, wenn diese Musik live in einem grossen Saal mit einem guten Orchester gespielt wird. Es wird zum Erlebnis, weil sich die Kraft des Bildes mit der Kraft des live spielenden Orchesters verbindet.»
CD
Die Nibelungen
Frank Strobel dirigiert die Filmmusik von Gottfried Huppertz zu Fritz Langs Epos
(Pan 2016; auch als DVD erhältlich bei der Murnau-Stiftung 2013)
Aufführungen
Filmsinfonik – Die Nibelungen
Frank Strobel leitet das Tonhalle-Orchester Zürich
Fr, 25.2.: Teil 1 – Siegfrieds Tod
Sa, 26.2.: Teil 2 – Kriemhilds Rache
Jew. 19.30 Tonhalle Zürich – www.tonhalle-orchester.ch
Filmsinfonik in der Tonhalle
«Filmsinfonik» heisst es im Programm des Tonhalle-Orchesters, an anderen Orten hat man vielerlei Etiketten für das boomende Genre gefunden. Allen gemeinsam: Man spielt als grosses Sinfonieorchester jene Musik, welche die Filmmusik-Komponisten aller Epochen zu den Meisterwerken des Kinos geschrieben haben. Und das geschieht live und synchron zum Film, der auf Grossleinwand abgespielt wird – mit allen Dialogen und Hintergrundgeräuschen, sofern vorhanden. Den Auftakt in der Tonhalle-Reihe «Filmsinfonik» macht das Epos «Die Nibelungen». Im Juni und Juli folgt Bernard Herrmanns Filmmusik zu «Vertigo», ebenfalls dirigiert von Frank Strobel.