kulturtipp: Christoph Müller, gab es Positives an diesem Covid-Jahr?
Christoph Müller: Erstaunlicherweise war in den Medien oft die Rede davon, wie sehr den Menschen die Kultur fehlt. Dieses Bedürfnis wurde früher selten ausgerufen. Hat diese Krise bei vielen bisher eher kulturabstinenten Menschen etwas ausgelöst? Sie stellen fest, dass in der Gesellschaft ein Drang nach Kultur vorhanden ist und zu den menschlichen Grundbedürfnissen gehört. Sie haben gemerkt, dass man sich im Leben mit etwas anderem als bloss mit Arbeit beschäftigen will. Vielleicht entsteht dadurch eine neue Offenheit für unsere Sache, eine Anregung, Konzerte zu besuchen. Mich faszinierte es, dass in einer Krise diese Sehnsucht nach Bereicherung, nach geistiger Nahrung plötzlich greifbarer wird.
Ist es gar ein Vorteil in künftigen Diskussionen mit der Politik?
Durchaus. Ich fand es wohltuend, die «Relevanz» der Kultur in der öffentlichen Diskussion herauszuspüren. Viele haben sich zwar beklagt, wir hätten keine Lobby. Ich empfand es ganz anders. Die Unterstützungsmassnahmen greifen doch und sind auch in den Gesetzen verankert. Ich empfand sei-tens der Kulturabteilungen der Kantone Bern, Basel-Stadt und Aargau eine grosse Bereitschaft, zu helfen.
Wie geht man jetzt als Konzert- und Festivalveranstalter vor?
Jetzt gilt es, auf das Publikumsinteresse einzugehen, zu spüren, was gewünscht wird. Es gilt nun, vorsichtig zu wachsen, ein neues Vertrauen zu schaffen.
Das tönt so, als müssten Sie bei null beginnen?
Wir haben ein Stammpublikum, auf das wir bauen, und vielleicht öffnen sich auch beim digitalen Publikum Türen im physischen Konzertsaal. Aber ich spüre zwei Haltungen: das Verlangen nach den vermissten Konzerten. Aber da ist immer noch die Vorsicht, ja sogar eine Angst. Ich habe es beim Solsberg Festival im Juni festgestellt, wo wir die Schutzmassnahmen klar kommuniziert haben und trotzdem viele Rückfragen gekommen sind. Leider mussten wir auch Hunderte ausladen aufgrund der limitierten Zuschauerzahl, was nicht bei allen gut ankam.
Programmieren Sie populärer?
Es sind eher Vorsichtsmassnahmen, da es gilt, Risiken abzuschwächen. Die Programme sind nicht seichter geworden, man kann den Pfeffer auch bei kürzeren Abenden und kompakteren Programmen streuen. Vielleicht bieten wir auch etwas weniger an.
Ein Opernintendant aus München hat in der NZZ gesagt: Die Krise war zu kurz, als dass sich etwas verändert hätte. Stimmt das?
Sie ist noch nicht vorbei! Bei keinem meiner Projekte kann ich sagen, dass die Normalität bald wieder absehbar ist. Wir haben zwar wieder eine volle Agenda für 2021/2022, aber wir sind vom Publikum abhängig wie nie zuvor. Ich wäre glücklich, wenn alles zustande käme. Aber die Angst vor einem Mutanten und die fehlende Publikumsnachfrage sind nach wie vor real.
Die Agenda ist voll. Also ist doch alles wie vor Corona?
Viele Tourneen des Kammerorchesters Basel wurden verschoben. Sie sollen kommende oder übernächste Saison stattfinden, waren doch viele Partner und Veranstalter bereit, diese Konzerte zu retten. Aber eben: Funktionieren diese auswärtigen Veranstalter? Die Kosten müssen durch die Einnahmen gedeckt, die Gagen bezahlt werden. Die Veranstalter brauchen aber eine Sicherheit … Die Sicherheit sind treues und neues Publi-kum, Sponsoren, Mäzene. Deren Loyalität ist für die kommenden zwei bis drei Jahre noch nicht abschätzbar.
Aber die Tourneen sind geplant.
Ja, aber im Kammerorchester Basel, das aus 45 kritischen Zeitgenossen besteht, ist eine Diskussion entfacht. Die Themen sind Klimawandel und Orchesterreisen. «Sollen, müssen wir interkontinentale Tourneen machen?», fragen sich die Musiker. Wir haben für 2022 eine Tournee an die Westküste der USA geplant, später dann nach Asien. Dahinter steht nun ein Fragezeichen: Ist diese Reise vertretbar?
Also müssen Sie die Musiker überzeugen mitzumachen?
Die Geschäftsleitung, die Orchestervertreter und ich wür-den die Möglichkeit gerne ausschöpfen.
Und was passiert, wenn die Hälfte des Orchesters Nein sagt?
Ein Kammerorchester-Basel-Mit-glied kann aus einer gewissen Zahl an Projekten auswählen. Sagen 20 ab, würden wir sicher nicht mit 20 Zuzügern nach Asien reisen. Die Orchester-Mitglieder wissen, wie wertvoll Gastspiele sind – für beide Seiten. Wir müssen Wege finden, diese Reisen verhältnismässig zu gestalten.
Oder Sie müssen mehr zu Hause spielen, obwohl um jeden Gast gekämpft wird?
Es wird nicht mehr sogenannte grosse Konzerte geben, sondern eher mehr Konzerte für unterschiedliches Publikum: Junge, Alte, Familien oder Expats … Das wird wohl noch zunehmen – und es ist gut so.
Wie schlecht steht es nach dem Covid-Jahr um die Finanzen des Menuhin Festivals?
Auch uns ist durch die Absage 2020 ein grosser Schaden entstanden. Aber wir haben dank der Unterstützung der öffentlichen Hand, der Sponsoren, der Mäzene und der Mitglieder der «Festivalfreunde», aber auch dank einer grossen Zahl von Konzertbesuchern, die auf eine Rückerstattung der Karten verzichteten, mit einer schwarzen Null abgeschlossen. Die Solidarität rundum war enorm.
Gstaad Menuhin Festival
Fr, 16.7.–Sa, 4.9.
www.gstaadmenuhinfestival.ch
Via Gstaad nach London
Das 65. Gstaad Menuhin Festival steht unter dem Thema «London». Gastkünstler ist der Geiger Daniel Hope: Er spielt mit Freunden an drei Abenden britische Kammermusikwerke. Auch englische Chormusik wird aufgeführt – und der Geiger Nigel Kennedy wird nach Gstaad zurückkehren. Die Stardichte ist enorm: Julia Fischer, Thomas Hampson, Khatia Buniatishvili, Hélène Grimaud, Maria João Pires und viele andere spielen im Festivalzelt Gstaad oder in der Kirche Saanen. Es gibt noch für den Grossteil der Konzerte Karten.
Via Gstaad nach London
Das 65. Gstaad Menuhin Festival steht unter dem Thema «London». Gastkünstler ist der Geiger Daniel Hope: Er spielt mit Freunden an drei Abenden britische Kammermusikwerke. Auch englische Chormusik wird aufgeführt – und der Geiger Nigel Kennedy (Bild) wird nach Gstaad zurückkehren. Die Stardichte ist enorm: Julia Fischer, Thomas Hampson, Khatia Buniatishvili, Hélène Grimaud, Maria João Pires und viele andere spielen im Festivalzelt Gstaad oder in der Kirche Saanen. Es gibt noch für den Grossteil der Konzerte Karten.