Nicht besonders originell, wenn ein Musiker von sich sagt, dass Mozart die Initialzündung war für die Liebe zur klassischen Musik. «Lucio Silla», eine der früheren, nicht so bekannten Opern Mozarts, sei es gewesen, die ihn fasziniert habe, sagt Fabio Biondi. Aber der junge Geiger, der damals wie alle seine Kollegen fleissig die grossen Violinkonzerte der Romantik übte und sich durch die Etüdenschulen arbeitete, fragte sich: Warum klingt die Musik eines Österreichers so italienisch? Das brachte ihn dazu, sich mit einem besonderen Abschnitt in Mozarts Biografie zu beschäftigen: mit den Reisen, die der junge Mozart in Begleitung seines Vaters nach Italien unternahm und dabei Komponisten wie Padre Martini kennenlernte. Biondi hat die Musik, die Mozart früh in seinem Leben beeinflusste, erforscht, und das Thema hat ihn nie losgelassen.
Ein zutiefst romantisches Herz in der Brust
Im Zuge dieser Recherchen begegnete Biondi dem Mailän- der Komponisten Carlo Monza (1735–1801) und stiess dabei auf dessen völlig unbekannte Streichquartette. Biondi war fasziniert: «Diese Werke sind enorm opernhaft und deskriptiv, fast wie Kinofilme. Diese musikalische Form bezeichnen wir heute als Programmmusik, und sie war im 18. Jahrhundert sehr populär. » Vor kurzem hat er die sechs Quartette zusammen mit seinen Streicherkollegen vom Ensemble Europa Galante eingespielt. Fabio Biondi, der gerne gesteht, dass ein zutiefst romantisches Herz in seiner Musikerbrust schlägt, gehört zur zweiten Generation der Musiker, die sich vom Spiel auf historischen Instrumenten faszinieren liessen. Ein Album von Nikolaus Harnoncourt sei für ihn ausschlaggebend gewesen, sagt der italienische Geiger: «Ich fing als Kind mit einer modernen Violine an, und als ich im Alter von 14 Jahren das erste Mal eine Aufnahme von Harnoncourt hörte, entflammte ich leidenschaftlich für diese Barockmusik und verliebte mich sofort in diese Art des Violinspiels. » Er studierte Barockvioline bei Sigiswald Kuijken und gründete zusammen mit Marc Minkowski das Ensemble Les Musiciens du Louvre, das bis heute eine feste Grösse in der Szene ist. 1990 schlug dann die Geburtsstunde von Europa Galante, dem eigenen Ensemble von Fabio Biondi. Es sollte nicht einfach ein weiteres Barockensemble werden, Biondis musikalischer Horizont reichte schon damals weiter. Denn «galante» ist mehr als ein nettes Adjektiv, es verweist in der Musikgeschichte auf einen Übergangsstil zwischen Barock und Klassik, bei dem man sich nicht mehr so sehr über zugespitzte emotionale Gegensätze freute oder kontrapunktische Kunstfertigkeit schätzte, sondern eine gewisse Leichtigkeit und Einfachheit bevorzugte. Komponisten wie die Neapolitaner Pergolesi, Leo oder Vinci werden dazugezählt, ebenso wie die Deutschen Graun und Hasse oder die Franzosen Boismortier oder Corrette.
Die Musikstile varieren von Land zu Land
Die galante Stil war kein einheitlicher Stil wie die Wiener Klassik, die sich zum Teil daraus ableiten lässt, sondern ein viel- fältiges Gemisch aus Vorlieben, auch geografisch ganz unterschiedlich, betont Biondi: «In Italien spielte man komplett anders als in Paris. Paris wiederum tickte völlig anders als Wien, und Wien unterschied sich eklatant von London oder Berlin. Meine Leidenschaft gilt all diesen unterschiedlichen Stilen und musikalischen Sprachen, die überall ganz anders gelebt wurden.»
Werke von Unbekannten kommen zum Zug
Beim Zermatt Festival nun wird Fabio Biondi nicht mit seinen vertrauten Kollegen von Europa Galante auftreten, sondern mit dem Ensemble des Festivals, das sich jedes Jahr aus den Mitgliedern des Scharoun-Ensembles der Berliner Philharmoniker und den Studenten der Festival-Akademie zu- sammensetzt. Zwar finden sich in den beiden von ihm geleiteten Konzerten auch Werke von Bach und Beethoven, aber in diesem Rahmen setzt sich Biondi für Komponisten ein, die von der Musikgeschichte links liegen gelassen wurden.
«Diese Musik ist absolut bewundernswert»
Für Jan Dismas Zelenka zum Beispiel, den böhmischen Barockkomponisten am Dresdner Hof, der durch überaus originelle und ungewöhnliche Werke aufgefallen ist. «Ein musikalisches Genie», sagt Biondi. «Die Musik von Zelenka ist absolut bewundernswert, ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum sie nicht bekannter ist.» Ähnliches gilt für Giovanni Battista Viotti, der einen späten galanten Stil gepflegt hat. Viotti mit Beethoven zusammenzubringen, zeige deutlich, dass die Musik- geschichte keine Frage von Daten sei, sondern eine Frage der unterschiedlichen Entwicklung der musikalischen Sprache, sagt Biondi. Und gesteht: «Ich hatte bisher noch nie die Möglichkeit, dieses herrliche Geigenkonzert aufzuführen. Das Zermatt Festival bietet mir jetzt diese Chance.»
Zermatt Festival
Fabio Biondi leitet das Eröffnungskonzert mit Musik von Bach, Zelenka und Händel und ist am folgenden Tag Dirigent von Beethovens 7. Sinfonie und Solist im Violinkonzert Nr. 23 von Viotti. Die musikalische Seele des Festivals ist das Scharoun-Ensemble der Berliner Philharmoniker. Es ist etwa mit dem Oktett von Egon Wellesz in der Kapelle auf der Riffelalp zu hören. Der Schweizer Cellist und Dirigent Christian Poltéra leitet ein Orchesterkonzert mit Musik von Haydn, Suk und der ersten Sinfonie von Mendelssohn, und Daniel Dodds dirigiert ein Programm mit Musik von Prokofjew, Copland oder Ravel. Weitere Solisten sind der Trompeter Guillaume Jehl, der Pianist Finghin Collins oder die Sopranistin Laure Barras. Der Bariton Christian Gerhaher singt mit seinem Klavierpartner Gerold Huber zweimal in der Riffelalp-Kapelle. Akademiekonzerte mit den Studenten der Meisterkurse, Konzerte mit Brassbands, Chorgesang, Jazz oder Volksmusik runden das Festivalprogramm ab.
Zermatt Festival
Do, 8.9.–So, 18.9.
www.zermattfestival.com
CD: Carlo Monza Quartets – Opera in Musica
Mit Fabio Biondi
(Naïve 2022)