Am Freitagnachmittag Anfang September drängen sich auf der Zermatter Bahnhofstrasse so viele Menschen, dass man sich Sorgen machen muss, ob zur gleichen Zeit noch irgendein Tourist in Luzern über die Kapellbrücke schlendert und am Abend den Weg ins KKL finden wird.
Araberinnen, Inder, Deutsche und Italienerinnen sind unterwegs – die einen elegant mit Seidentüchern geschmückt, die anderen sportlich ausgerüstet und von der Sonne gezeichnet. Alle haben oder hatten ein gemeinsames Ziel: den Berg der Berge zu sehen, das Matterhorn.
Doch da gibt es noch ein anderes Spektakel, sitzen doch am frühen Abend vor der Mauritius-Kirche gut 50 Leute, um alsbald zu hören, wie die Bläser des legendären Berliner Scharoun Ensembles mit ihren Studentinnen und Studenten Beethovens Bläser-Sextett spielen. Anderswo heisst so etwas Flashmob, am Zermatt Festival hingegen «Matterhorn Serenade». Man hat das Matterhorn im Rücken, die Musiker vor Augen.
Das Publikum: neugierig und experimentierfreudig
Das Konzert damals im Herbst 2022 war gratis. Und die Berggänger blieben verwundert, ja beglückt stehen. Rund 200 Leute lauschten am Ende Beethoven, die Schlauen hatten einen Sitz in «Elsie’s Wine and Champagne Bar» gegenüber der Kirche reserviert. Auf dem Platz steht das Kassenhäuschen des Festivals. Und der Festivaldirektor Patrick Peikert sagte denn auch: «Dank unserem auf dem Kirchplatz vorhandenen Promotionsteam ist es manchmal möglich, die Hälfte der Tickets am Tag des Konzerts zu verkaufen.
Sehr oft sind es Menschen, die zum ersten Mal die Welt der klassischen Musik entdecken. Wir lieben es, ein Publikum zu haben, das neugierig und experimentierfreudig ist.»
Man ist allerdings glücklich und stolz darauf, dass die Zermatter bei den Konzerten anwesend sind und rund einen Drittel des Publikums ausmachen. Ein Grund dafür ist wohl, dass die Karten mit 35 Franken vergleichsweise günstig sind. Ein anderer, dass man mit Schulen und Altersheimen im Dorf zusammenarbeitet und das Komitee aus Zermatter Einwohnern besteht, die sich im Dorf engagieren.
David Philip Hefti ist Composer in Residence
Kammermusik wechselt sich während der zehn Festivaltage mit Sinfonik ab. Die sympathische Eröffnung auf dem Kirchplatz wird es auch 2023 geben, wenn das Zermatt Festival Horn Quartet aufspielt. Die Reihe «Matterhorn Serenade» ist ein fixer Gratis-Programmpunkt: Die Zermatter Alphornfreunde werden auf dem Platz ebenso auftreten wie die Folkgruppe Wintershome. Der Schweizer Komponist David Philip Hefti ist in diesem Jahr Composer in Residence und wird auch das Sinfoniekonzert am 10. September dirigieren.
Alban Bergs «Sieben frühe Lieder» und seine Auftragskomposition für das Scharoun Ensemble stehen auf dem Programm. Offiziell heisst der Anlass «Zermatt Music Festival & Academy» – das Wort «Academy» trägt man nicht einfach im Titel, um Subventionen zu erhalten. Die Studenten werden von den Scharoun-Ensemble-Mitgliedern jedes Jahr nicht nur auf die Sinfoniekonzerte vorbereitet, sie besuchen auch Meisterklassen und treten am Festival in Konzerten in eigenen und den grossen Sinfoniekonzerten auf.
Das ist seit 19 Jahren die DNS des Zermatt Festivals: Die neun Berliner Philharmoniker arbeiten intensiv mit den Studenten, gehen mit ihnen auf die Bühne, und alle zusammen gehorchen dort schliesslich den Anweisungen des Abend-Dirigenten. Bisweilen gehts hoch hinaus – an einen magischen Ort.
Am Vormittag sitzt der Festivalbesucher mitsamt zwei Hundertschaften Ausflüglern, Wanderern und Berg-Guckern in der Gornergratbahn: hoch bis Riffelalp, in zehn Minuten zu Fuss oder in fünf Minuten mit einer schmucken Bahn zur Kapelle. Um 11 Uhr beginnen hier die Konzerte, zum Festivalbeginn 2023 ein Rezital mit Pianist Teo Gheorghiu, zum Finale eines mit dem Scharoun Ensemble, das seinen 40. Geburtstag feiert.
Den Blick aufs Matterhorn gibts gratis dazu
Das alles läuft seit 2005 und bis heute unter «Geheimtipp». Dem Festivaldirektor ist das nur recht: «Mir gefällt diese Idee, ein gut gehütetes kleines Geheimnis zu sein. Beliebt sind wir jedoch in der Preispolitik.» Zum Cappuccino gibts nach dem Bergkonzert auf der Riffelalp den Matterhornblick gratis dazu. Danach fährt die Bahn zurück. Für Muntere ist der Weg nach Zermatt auch zu Fuss zu machen: «Wanderschuhe sind beim Konzert willkommen», heisst es im Generalprogramm.
Man fühlt sich sowieso sehr willkommen am Zermatt Festival, erhält man doch 20 Prozent auf die ohnehin günstigen Festivalkarten, wenn man in einem der 21 Partnerhotels übernachtet. Und Familien bringen ihre Kinder bis zu 16 Jahren gratis mit ans Konzert. Noch Wünsche?
Peikert: «Wir möchten mehr Komponistinnen»
Patrick Peikert hat sie: «Wir möchten die Präsenz von Komponistinnen in unseren Programmen verstärken und das Publikum mehr durchmischen, indem wir versuchen, Hotelgäste zu gewinnen, die derzeit noch nicht ins Konzert gehen.» Man sei zudem bestrebt, der Improvisationspraxis einen Raum zu geben und Projekte zu schaffen, bei denen Laien und Profis zusammenspielen.
«Aber unsere Hauptaufgabe ist es, 35 jungen Musikerinnen und Musikern die Möglichkeit zu bieten, zwei Wochen lang mit den Musikern der Berliner Philharmoniker, die das Scharoun Ensemble bilden, zu leben, zu lernen und zu spielen.»
Zermatt Music Festival
& Academy
Do, 7.9.–So, 17.9.
www.zermattfestival.com