Chansonnier – das klingt erst einmal ziemlich harmlos und angenehm charmant. Ist es aber nicht, jedenfalls nicht dann, wenn das Wort hinter dem Namen HK Gruber (bürgerlich: Heinz Karl) steht. Das konnte man schon ahnen beim Titel des Stücks, mit dem er die Bühnen der Welt eroberte: «Frankenstein!!» inklusive doppeltem Ausrufezeichen.
Darin unterlegte er 1978 die subversiven Kinderverse des österreichischen Wortkünstlers H. C. Artmann mit einem nicht minder subversiven Soundtrack, der unter anderem von den Effekten diverser Spielzeug- und Ulkinstrumente wie summenden Gummischläuchen oder quietschenden Plastikentchen lebt.
Aber wenn das «Vampirlein» oder das «Mi-Ma-Monsterchen» mit Spielzeugtröten unterlegt werden, bleibt dem Publikum das Lachen schnell im Hals stecken. Denn es realisiert rasch, dass hinter dem Ulk ganz ernsthafte politische und sozialkritische Botschaften versteckt sind.
Das ist gar nicht immer so einfach, wie Gruber gern erzählt, der dieses Stück quer durch die Welt schon Dutzende von Malen selbst aufgeführt hat: «Meinen Frankenstein gibt es ja mittlerweile 40 Jahre, aber die Reaktionen der Orchestermusiker, wenn sie die Spielzeuginstrumente in die Hand bekommen, sind vorerst immer dieselben: Sie werden wie die Kinder und fangen an herumzublödeln. Dabei ist das Stück eigentlich todernst», sagt er im Gespräch.
Ein Theater der Vokale und Konsonanten
Am Festival Le Piano Symphonique allerdings gibt HK Gruber nicht den «Frankenstein!!», sondern einen anderen seiner Favoriten: den «Anti-Liederabend» mit Balladen und Chansons der 1920er- und 30er-Jahre von Kurt Weill und Hanns Eisler, die sie auf gesellschaftskritische Texte von Brecht oder Tucholsky schrieben. Zusammen mit dem Pianisten Kirill Gerstein wird er die KKL-Bühne entern und seinen Sprachwitz und seine Freude am Auskosten von Konsonanten für die hohe Kunst des Sprechgesangs in die Waagschale werfen. Singen, Sprechen, Gestikulieren gehen dabei Hand in Hand.
Und Grubers Markenzeichen, das grollend-rollende R, wird mit Sicherheit eine Hauptrolle in dieser Performance erhalten. Seine Auftritte sind ein Theater der Vokale und Konsonanten, die sich balgen, vordrängen und mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit ringen.
Weill und Eisler gehören zu den persönlichen Hausgöttern von HK Gruber, zusammen mit Strawinsky, weil sie sich in den 1920er-Jahren erfolgreich abgrenzen konnten gegenüber den avantgardistischen Strömungen in der damaligen neuen Musik.
Ein Aussenseiter im Klüngel der Avantgarde
Dieses Schicksal hat Gruber geteilt: Er lernte Klavier spielen, war Mitglied der Sängerknaben und dann, als ihn ein Lehrer darauf hinwies, dass er die perfekten «Pranken» für den Kontrabass habe, ein Musikerleben lang Kontrabassist im Tonkünstler- und ORF-Sinfonieorchester. Komponist allerdings hatte er schon immer werden wollen, und die finanzielle Unabhängigkeit als Orchestermusiker erlaubte es ihm, sich nirgends anbiedern zu müssen.
Rhythmus, Harmonie, Melodie wurde die Dreieinigkeit seiner Musikästhetik, und damit geriet er automatisch zum Aussenseiter im Klüngel der Avantgarde, die sich in Darmstadt und Donaueschingen immer höher in ihren Elfenbeintürmen verstieg.
Gruber war keiner, der sich für diese Ideen nicht interessierte. Er studierte sie, experimentierte durchaus mit ihnen, aber verwarf sie fast immer für seine eigenen Werke. Verständlichkeit wurde für ihn zu einem zentralen Kriterium, was keineswegs heisst, dass seine Musik sich am banalen Wohlklang ergötzen würde: «Man muss sich schon einlassen auf meine Musik, aber das ist ja bei Beethoven kein bisschen anders.» Er will verstanden werden, Kommunikation ist wichtig, aber Einführungen mag er nicht. Das Publikum soll die Rätsel selber lösen und es sich nicht von sogenannten Experten vorkauen lassen.
Witzig und gekonnt – mit doppelbödigem Niveau
Der Erfolg gab ihm recht: Nach «Frankenstein!!» kamen sie bald zu ihm, die grossen Solisten wie der Cellist Yo-Yo Ma, der Trompeter Hakan Hardenberger oder der Pianist Emanuel Ax, und baten ihn um Solokonzerte. Und auch die Opernhäuser fanden Gefallen an seiner Kunst, die so sensibel mit Worten umgehen konnte. 2005 in Zürich kam «Der Herr Nordwind» auf die Bühne: modernes Musiktheater, das etwas mitbrachte, was zeitgenössischen Opern sonst komplett fremd ist.
Es war lustig, und das auf einem hohen, durchaus doppelbödigen Niveau. Oder zehn Jahre später bei den Bregenzer Festspielen: Wie Gruber in den «Geschichten aus dem Wiener Wald» nach Horváth den «Donauwalzer» zerlegte, war gleichermassen witzig wie gekonnt. Mittlerweile ist er 81, hat sich aber kaum geändert: «Ich werde eher kritischer mit mir selber und nehme mir die ersten Ideen nicht mehr ab», sagt er zu seinem Komponieren. Und hofft, dass er endlich mehr Zeit dafür findet.
Eröffnungskonzert mit HK Gruber und anderen
Mo, 13.1., 19.00 KKL Luzern
Facettenreiches Pianofestival
Am Festival Le Piano Symphonique steht das Klavier im Mittelpunkt. Es setzt sich als Instrument in Beziehung zu sinfonischen Klängen. Das Programm enthält nicht nur ausgewählte Rezitals, sondern präsentiert ebenso Kammermusikbesetzungen und Solokonzerte mit dem Luzerner Sinfonieorchester.
Martha Argerich ist als Schlüsselfigur intensiv präsent: Zweimal ist sie mit Saint-Saëns’ «Karneval der Tiere» zu erleben, spielt zum Abschluss das 1. Klavierkonzert von Beethoven und tritt mit musikalischen Freunden wie Leif Ove Andsnes, Mischa Maisky, Janine Jansen oder Stephen Kovacevich auf.
Besondere Akzente setzt auch Evgeny Kissin in seinem zweiteiligen Schostakowitsch-Projekt, das ihn zum Beispiel mit Gidon Kremer oder Chen Reiss und Michael Schade zusammenbringt. Fazil Say, Beatrice Rana, Kiveli Dörken oder der Jazzpianist Michael Wollny bieten weitere Facetten des Spiels auf den 88 Tasten.
Le Piano Symphonique
Mo, 13.1.–Sa, 18.1., KKL Luzern