Klassik - Schweizer Pianisten als grosser Export schlager
Zahlreiche junge Schweizer Pianisten sorgen weltweit in Konzertsälen für Furore. Sie repräsentieren eine offene, multikulturelle Schweiz.
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Kulturtipp 04/2012
Christian Berzins
«Berühmter lebender Schweizer Pianist?» Wer diese Kreuzworträtsel-Frage vor 20 Jahren lösen wollte, überlegte lange. Wer sie heute beantworten muss, hat Mühe. Nicht, weil es an Top-Pianisten mangelt, vielmehr weil es sehr viele von ihnen gibt.
Ihre Namen sind ein Abbild der modernen, multikulturellen Schweiz: Teo Gheorghiu (geboren 1992) heisst der berühmteste Pianist. Francesco Piemontesi (1983), Oliver Schnyde...
«Berühmter lebender Schweizer Pianist?» Wer diese Kreuzworträtsel-Frage vor 20 Jahren lösen wollte, überlegte lange. Wer sie heute beantworten muss, hat Mühe. Nicht, weil es an Top-Pianisten mangelt, vielmehr weil es sehr viele von ihnen gibt.
Ihre Namen sind ein Abbild der modernen, multikulturellen Schweiz: Teo Gheorghiu (geboren 1992) heisst der berühmteste Pianist. Francesco Piemontesi (1983), Oliver Schnyder (1973), Louis Schwizgebel-Wang (1987) sind die erfolgreichsten. Mélodie Zhao (1994), Cédric Pescia (1976) und Olivier Cavé (1977) die überraschendsten.
Typisch Schweiz: Die meisten dieser Pianisten mussten sich erst im Ausland beweisen: So etwa Francesco Piemontesi. Der Tessiner bedauert dies, weiss aber wieso: «Gewinnt ein Schweizer einen Jugendmusikwettbewerb, erhält er höchstens ein paar tausend Franken. Deutschland kennt Ausbildungsstrukturen, die Musiker tatsächlich fördern.» Dort kriege der Gewinner zwar kaum Geld, er könne aber an den Festivals von Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Schwetzingen sowie in der Kölner Philharmonie auftreten. «Solche Konzerte ziehen neue Konzerte nach sich», sagt der junge Tessiner.
So kam Piemontesi 2010 mit einem Solorezital in die Zürcher Tonhalle. Im November 2011 zog der junge Pianist zusammen mit dem Meisterdirigenten Zubin Mehta durch die Schweiz und debütierte bei dieser Gelegenheit endlich am prestigeträchtigen Lucerne Festival. Beim Label Claves wirkte der Tessiner auch bei einer Gesamteinspielung von Robert Schumanns Klavierwerk mit. Das Album wurde für die International Classical Music Awards nominiert.
Warum aber gibt es zurzeit so viele gute, junge Schweizer Pianisten? Oliver Schnyder meint, dass die Globalisierung für die hiesige Kunst, für Musik und Sport enorm positiv sei: «Es gibt keine Grenzen mehr, auch keine des Horizonts. Junge begabte Leute können ausfliegen und für ihre Entwicklung genau das holen, was sie brauchen.» Und sie sehen, dass alle nur mit Wasser kochen, was zu einer grossen Selbstwertsteigerung geführt hat: «Es wird breit zur Kenntnis genommen, dass künstlerisches und musisches Schaffen in der Schweiz dem internationalen ebenbürtig ist, dass ‹Importe› nicht a priori wertvoller sein müssen, dass wir sogar ‹exportieren› können.»
Francesco Piemontesi ging nach Deutschland, der Aargauer Oliver Schnyder nach Amerika. Danach baute er sein Klavierimperium in der Schweiz langsam auf. Mittlerweile spielt Schnyder CD um CD ein und tritt in der Zürcher Tonhalle ebenso wie am Lucerne Festival auf.
Marktpräsenz
Wer CDs einspielt, macht kaum Geld, zieht aber die internationale Aufmerksamkeit auf sich. Vor allem wenn die Produktionen wie im Fall von Schnyder bei RCA/Sony erscheinen. Das Westschweizer Label Claves zeigt zudem ein besonderes Flair für Schweizer Pianisten – hier konnten neben Piemontesi Mélodie Zhao und Cédric Pescia Aufnahmen machen.
Der in Lausanne geborene Pianist Cédric Pescia debütierte 2009 am Lucerne Festival. Für Claves hat er nebst einem von der Kritik viel gelobten Schumann auch sehr Anspruchsvolles wie J.S. Bachs «Goldberg-Variationen» oder die drei letzten Klaviersonaten Ludwig van Beethovens eingespielt. Mélodie Zhao zeigt beim selben Label in Liszts «Etudes», welch grosse Pianistin in ihr steckt. Jetzt müssen nur noch die prestigeträchtigen Konzerte folgen.
Eine CD ist keine Erfolgsgarantie. Das musste der Westschweizer Oliver Cavé erfahren: 2004 erschien bei der Deutschen Grammophon das Album «Reflections» – ein Verkaufsflop. Danach die Durststrecke, sie dauerte bis 2008. Nun konnte Cavé für das kleine Label Aeon eine prächtige Scarlatti-CD einspielen. Gross war das Medienecho, eine zweite Clementi-CD folgte 2010. Dann kam die Karriere dieses sensiblen Pianisten in Schwung: Die «FAZ» rezensierte die Clementi-CD ausführlich. Konzerte gibt er nun unter anderem mit dem Kammerorchester Basel. Breit abgestützt sind die Karrieren des famosen Louis Schwizgebel-Wang (*1987) und von Benjamin Engeli (*1978). Engeli feierte mit dem Tecchler-Trio Triumphe, 2010 legte er eine viel beachtete Solo-CD mit Klaviersonaten von Ludwig van Beethoven vor.
Der Berühmteste
Und da wäre noch der berühmteste Schweizer Pianist: Teo Gheorghiu, alias… «Vitus». Diese Filmfigur des Regisseurs Fredi Murer war ein Bub von einem anderen Stern, der mit seinem Klavierspiel weltberühmt werden sollte. Gheorghiu ist nun 19 Jahre alt und verlangt Anerkennung. Dafür übt er fleissig, hinter ihm steht heute eine mächtige Agentur. Beim Edel-Label Deutsche Grammophon hat er bereits eine beachtliche CD mit zwei berühmten Klavierkonzerten eingespielt. Gheorghius Frühreife wirkt bisweilen streng. Doch selbst wenn der Jugend- und «Vitus»-Bonus schwinden sollte, muss man sich um seine Kunst keine Sorgen machen.
Und die Kreuzworträtsel-Frage «Berühmter Schweizer Pianist»? Sind es neun Buchstaben, schreiben Sie «Gheorghiu» rein. Ansonsten versuchen Sie es mit einem der im Bericht erwähnten Top-Spieler.
[CD]
Mélodie Zhao – Liszt
(Claves 2011).
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