«Vollendet ist das ewige Werk», jubelt Göttervater Wotan beim Blick in die Morgenpresse, wo es offenbar schöne Bilder über das neue Zuhause zu sehen gibt. Gar nicht lustig findet das seine Frau, denn auf dem Bau der Burg lastet ein übles Pfand: ihre Schwester Freia.
Es war der falsche Moment, um sich im Berner Stadttheater zu freuen – sowohl für Wotan als auch für das Publikum. Noch gar nichts war vollendet, denn Richard Wagners 16 Stunden Werk «Der Ring des Nibelungen » nahm damals im Dezem ber 2021 mit dem «Rheingold» erst seinen Anfang. Und mit 2 Stunden und 15 Minuten Spielzeit ist das «Rheingold, der Vorabend der Trilogie «Walküre, Siegfried, Götterdämmerung », sowieso mit Abstand die kürzeste der vier Opern.
Dann lacht das Frühlingsglück
Im «Rheingold» ist Alberichs Ring (er ist DER Nibelunge) frisch geschmiedet. Doch Wotan klaut ihm den Ring listig, alsbald ist der Fingerschmuck, mittlerweile von Alberich verflucht, an der Hand eines Riesen … und das Unglück nimmt seinen Lauf. Doch dann lacht in der «Walküre » das Frühlingsglück: Um zwei Liebespaare geht es hier.
Die Liebe zwischen den Zwillingen Siegmund und Sieglinde endet in einer triumphalen Liebesnacht, bringt nichts weniger als den «hehrsten Helden der Welt» in den Schoss von Sieglinde: den vermeintlichen Weltenretter Siegfried.
Die zweite – platonische – Liebe zwischen Vater Wotan und Tochter Brünnhilde endet im tränenreichsten Abschied der Operngeschichte. Jahre später wird Siegfried den Ring am Finger tragen – glücklos. Und am Ende der «Götterdämmerung» – das halbe Personal ist mittlerweile tot – gelangt der Ring wieder in die Flossen der Rheintöchter.
Auch Zürich und Basel steigen in den «Ring»
Kaum war der Winter 21/22 vorbei, begann auch das Opernhaus Zürich mit dem Abenteuer «Ring des Nibelungen». Im Frühling 2022 ging der Vorhang für das «Rheingold» hoch, das Direktorenteam des Hauses höchstpersönlich zeigte sich für die Produktion verantwortlich: Intendant Andreas Homoki als Regisseur, Chefdirigent Gianandrea Noseda als musikalischer Wegführer.
Und man staunte nicht schlecht, als dort zwar in einer schicken, weiss getäferten Villa gespielt wurde, aber ein Speer ein Speer und ein Drache ein Drache war. In der «Walküre » dann gab es Met aus dem Horn, und da stand auch ein wundersamer Stamm einer monumentalen Esche. Wie reich die Theaterschweiz ist, zeigt sich darin, dass mit dem Theater Basel im September 2023 ein drittes Haus ins «Ring» Abenteuer steigt. In Abgrenzung zu Wagners Idee des Gesamt kunstwerkes soll mit einem zwei Jahre dauernden «Ring» Festival ein Gemeinschaftskunstwerk ent stehen, das der Vorlage kritisch begegnet.
Ob die Ballung für die Schweizer Opernfreunde klug ist oder nicht: Ereignis ist der «Ring» überall. In Basel spielte man ihn über 40 Jahre lang nicht, in Zürich wurde er teilweise komponiert, und in Bern ist es sogar die erste «Ring» Aufführung in der 118 jährigen Geschichte des Stadttheaters.
Prächtige Inszenierung in Bern
Obwohl in Bern oft Wagner gespielt wurde, befürchtete man, dass der «Ring» den architektonischen Rahmen des Stadttheaters sprengen würde. Leute, die dasselbe sogar von Zürich behaupten, werden überrascht sein, wie prächtig das «Rheingold» in Bern über die Stadttheater Bühne kam, auch wenn die Harfenistinnen aus Platzmangel in die Seitenlogen verbannt waren.
Basel wird sogar in einem extra konstruierten Orchestergraben spielen, der Wagners Idee des «unsichtbaren Orchesters» aufgreift und neu interpretieren will. Im Festspielhaus Bayreuth wurde diese Idee verwirklicht, das Orchester blieb dort versteckt, der sogenannte mythische Abgrund war erschaffen. Für ein Opernhaus gibt es keine grössere Herausforderung als den «Ring»: Das Riesenwerk erlaubt keine Halbheiten, mit ihm zeigt ein Theater, welcher Geist da weht. In Bern ist es ein frischer!
Die 38 jährige polnische Regisseurin Ewelina Marciniak erzählte das «Rheingold» überraschend linear, setzte aber immer wieder Ausrufezeichen – und einiges wies darauf hin, was da einst geschehen wird. Bald mit Melancholie, bald mit Witz: Zum Schreien war der Auftritt der Riesen Fafner und Fasolt als tumbe Vorstadt Rapper, kühn das Ende, wo aus den verspielten Rheintöchtern athletische Frauen wurden, die an die kriegerischen Walküren erinnerten: «Hojotoho» schreiend und Schwerter schwingend preschten sie über die Bühne. Dirigent Nicholas Carter und das hocherfreulich aufspielende Berner Symphonieorchester hatten die Akustik des Hauses im Griff.
Wer zu früh jubelt, weint am Ende bitterlich
Die 14 Rollen waren sehr gut besetzt, niemand fiel ab. Jede Figur war von Theaterregisseurin Ewelina Marciniak schön gezeichnet, was allerdings im «Rheingold» noch keine Kunst ist: Hier ist so viel Zug in der Handlung, dass man meist freudig die Folgeabende erwartet – und dann enttäuscht wird.
Aber die Ausgangslage für die «Walküre » ist gut, und bisweilen wird es ja noch besser. In Zürich etwa gelang Andreas Homoki nach dem 08/15 «Rheingold» eine famose «Walküre». Doch wer im «Ring» zu früh jubelt, weint am Ende bitterlich.
Die Walküre
Premiere: So, 15.1., 18.00, Bühnen Bern
Siegfried
Premiere: So, 5.3., 16.00, Opernhaus Zürich
Das Rheingold
Premiere: Sa, 9.9., 19.00, Theater Basel