In der Sowjetzeit gab es für die russischen Künstler Orden und Auslandreisen. Heute erhalten die putintreusten Russinnen und Russen Millionen. Das Jahresgehalt von Dirigent Valery Gergiev rechnete man auf 16,5 Millionen Dollar hoch. Wenn wir über die putintreuen Musiker reden, sprechen wir nicht von einer politischen Neigung, wir reden von mit Unterschrift besiegelter Unterstützung für Wladimir Putins Politik. Als Putin 2014 die Krim besetzte, als er 2015 seinen Krieg gegen die Ukraine begann, da standen Hunderte von Künstlern mit ihrer Unterschrift zu ihrem Präsidenten. Allen voran Russlands berühmtester Dirigent und der wohl reichste klassische Musiker der Welt: Valery Gergiev.
Teuerste Konzertsäle und Eliteorchester als Dank
Wenn, wie bei Gergiev geschehen, einem Dirigenten ein Musikreich mit millionenteuren Opern- und Konzertsälen mitsamt einem Eliteorchester aufgebaut wird, würden wohl noch manch andere Dirigenten Danke sagen. Und gerne kommentiert man dann: Besser, die Millionen gehen in die Musik als in die Rüstung. Aber Gergiev geht weiter. Er dirigiert für Putin auf dem Roten Platz oder im syrischen Palmyra, das 2016 vermeintlich dank der Russen vom IS «befreit» worden war. Solchen Gehorsam zeigten auch deutsche Dirigenten in der Zeit des Nationalsozialismus. Gergiev ist Russlands musikalischer Botschafter in der Welt. Kaum ein Lucerne Festival geht vorbei, ohne dass die Russen dort gespielt hätten.
«Kunst muss auch in schwierigen Zeiten die Rolle des Verbindenden spielen, muss sich über das Politische hinwegsetzen können», sagte Michael Haefliger, Intendant des Lucerne Festivals, vergangene Woche. «Wir Menschen müssen Acht geben, dass zwischen uns eine Verbindung besteht. Aber wir sind zutiefst betroffen und verurteilen den Angriff auf die Ukraine und auf unschuldige Menschen aufs Schärfste.» Die für den August geplanten Konzerte des Mariinski-Orchesters unter Valery Gergiev wurden inzwischen abgesagt. Gergiev wurde auch in New York und Mailand ausgeladen, die Stadt München hat ihn als Chefdirigenten der Philharmonie abgesetzt.
Anna Netrebko unterstützt Separatisten in Donezk
Bei der Eröffnung von Olympischen Spielen oder bei ähnlichen Prunkanlässen in Russland steht Dirigent Gergiev oft Anna Netrebko zur Seite. Die Primadonna unserer Tage spendete 2014 auch für das Opernhaus im ostukrainischen Donezk, zeigte sich alsbald mit einem Separatistenführer und der grossrussischen Fahne in der Hand – diese Fahne von Noworossija ist ein Symbol für die Zugehörigkeit der Ostukraine zu Russland.
Opernhaus: Reaktion nach langem Zögern
Wenig später sang Netrebko im Opernhaus Zürich, und Direktor Andreas Homoki bekundete damals: «Anna Netrebko hat gesagt, dass sie nicht wusste, welche Fahne sie in der Hand hielt.» Damit war das Thema abgehakt, obwohl jedes russische Kind diese Fahne kennt. Der «Verein Schweiz–Ukraine» protestierte 2015 gegen ihren Zürcher Auftritt: «Steuergeld für eine Botschafterin des Hasses?» lautete der Titel eines Schreibens.
Am 26. und 29. März hätte Netrebko erneut in Zürich auftreten sollen. Die Russin war vorgesehen für die Rolle der machtgeilen Lady Macbeth, die über Leichen geht. Noch nach der russischen Invasion in die Ukraine meinte Intendant Homoki: «Uns liegen keinerlei Informationen darüber vor, wie sich Frau Netrebko zur Ukraine-Krise insgesamt und zur aktuellen Lage positioniert.» Das Opernhaus habe einen bindenden Arbeitsvertrag mit ihr. Und es gebe keine rechtliche Grundlage, Angestellte «nach ihrer politischen, religiösen oder sexuellen Orientierung zu befragen». Mittlerweile hat sich Anna Netrebko gegen den Krieg ausgesprochen, in ihrer Botschaft allerdings kein Wort gegen Putin gesagt. Nach langem Zögern hat deshalb das Zürcher Opernhaus reagiert und die Auswechslung der Rolle von Lady Macbeth bekannt gegeben. «Wir müssen feststellen, dass unsere entschiedene Verurteilung von Wladimir Putin und seinem Handeln einerseits und Anna Netrebkos öffentliche Position dazu andererseits nicht kompatibel sind», liess Intendant Homoki verlauten. Netrebko selbst zitierte er mit dem kurzen Statement: «This is not a time for me to make music and perform.» Ihr aktueller Post am Dienstag auf Instagram spricht Bände: in Jubelpose mit Valery Gergiev.
Vor allem Verbier unter russischem Einfluss
Die russische Kulturhochburg in der Schweiz ist das Verbier Festival. Putins Intimus Gergiev ist Chefdirigent des Festivalorchesters, und die Neva-Stiftung gehört zu den Hauptförderern. Das Geld kommt aus dem Imperium des Genfer Rohstoffhändlers und Milliardärs Gennadi Timtschenko. Strippenzieher und enger Freund von Gergiev ist Festivalleiter Martin Engström. Wer das Festival unterstützen will, findet eine Ansprechperson für die «russisch sprechenden Nationen». Doch selbst das Verbier Festival hat sich von Gergiev distanziert, kurzerhand seinen Rücktritt gefordert und gleich auch umgesetzt.
Auch der Russisch sprechende Intendant Michael Haefliger hatte nahe Beziehungen zu Russland. Heute distanziert er sich vom politischen Staat. Das Lucerne Festival hat keine russischen Sponsoren oder Förderer – das Luzerner Sinfonieorchester (LSO) hingegen durchaus. Als man das im Mai stattfindende Festival «Zaubersee» ins Leben rief, das die russische Musik feiert, waren darunter Sponsoren, die alsbald im Gefängnis oder wegen Sanktionen von der Schweiz verbannt waren. Jetzt unterstützen Viktor Vekselberg und seine Stiftung das Festival. Für LSO-Intendant Numa Bischof Ullmann Grund genug, die aktuelle Ausgabe von «Zaubersee» abzusagen. Mit Bedauern zwar, weil das Festival coronabedingt auch 2020 und 2021 ausgefallen ist. Doch in der «Luzerner Zeitung» begründete Bischof Ullmann die Absage mit klaren Worten: «Wir sagen das Festival ab in Solidarität mit der Ukraine und als Zeichen dafür, dass wir den Angriff durch Russland aufs Schärfste verurteilen.» Zudem werde man die «Spende» von Viktor Vekselberg für die aktuelle Festivalausgabe zurückerstatten.
Selbst die Konzertreihe Migros-Classics handelt. Ihr aktuelles Programm hätte das Russische Nationalorchester unter Michail Pletnev eröffnen sollen mit Konzerten in Zürich, Bern und Genf. Alle drei sind abgesagt.
Stand bei Redaktionsschluss Di, 1.3.