Als der Gründer des Boswiler Festivals, der Cellist Andreas Fleck, 2023 nach über 20 Jahren ziemlich abrupt die Leitung niederlegte, war zuerst einmal improvisieren angesagt. Das gelang mit Teamgeist und Ideen ganz gut. Und mit dem Tonhalle-Cellisten Benjamin Nyffenegger und der Weltklasse-Geigerin Julia Fischer waren bald zwei neue künstlerische Leiter gefunden.
Bloss: Deren Agenden für den Sommer 2024 waren bereits komplett gefüllt, und so improvisierte man auch dieses Jahr wieder ein bisschen: Fischer und Nyffenegger, die seit 14 Jahren zusammen Streichquartett spielen, planten zwei verlängerte Wochenenden in Boswil.
Nach dem Motto «Begegnungen» im Frühling hat der Herbst in Boswil mit «Entdeckungen» ein Etikett bekommen, das eigentlich auch schon im Frühling gepasst hätte.
Wahre Raritäten der Kammermusik
Schon damals stöberten die beiden gründlich im riesigen Kasten der Kammermusik-Literatur und förderten etwa mit dem grandiosen Oktett von George Enescu auch Raritäten ans Tageslicht. Das wird nun nochmals intensiviert, und die Programme, die Fischer und Nyffenegger zusammengestellt haben, bieten in sechs Konzerten wahre Trouvaillen.
Da ist zum Beispiel ein Sextett in gemischter Streicher-Bläser-Besetzung plus Klavier von Ernst von Dohnányi, ein Quartett für vier Geigen oder ein Streichorchesterstück von der polnischen Komponistin Grazyna Bacevicz.
Zwei eher selten in den Kammermusik-Programmen vertretene Komponisten fallen besonders auf: Max Bruch und Ottorino Respighi. Gleich drei späte Werke des Spät-Romantikers Bruch sind zu hören, ein Streichquintett und ein Klavierquintett sowie das erst vor 30 Jahren wiederentdeckte Oktett. Und von Respighi gibt es sein «Concerto a cinque» und das «Doppio Quartetto» für doppeltes Streichquartett.
Unter Freunden ist das Zusammenspiel vertraut
Julia Fischer und Benjamin Nyffenegger ist es nicht schwergefallen, für diese Werke die passenden Mitmusiker zu finden. Zusammen mit Freunden an einem solchen Ort konzentriert zu arbeiten, sei ein Glücksfall, sagt Fischer: «Wenn sich 15 Musiker für mehrere Tage an einem Ort zusammenfinden, dann entstehen dabei ja mehr als nur die Konzerte.
Es gibt Gespräche und Austausch, und diese Inspirationsquellen brauchen wir alle. Denn in der Hektik des Konzertlebens, wo wir für ein paar Stunden irgendwohin kommen, ein Konzert spielen und wieder abreisen, nimmt man nicht viel Energie mit, sondern man gibt viel.» Die beiden sind selber in jedem Programm engagiert. Dazu kommen der Bratschist und Streichquartett-Partner Nils Mönkemeyer und weitere langjährige Freunde wie die Geigerin Lena Neudauer oder der Cellist Maximilian Hornung.
Auch bei den Blasinstrumenten fallen hochkarätige Namen auf wie der Hornist Ivo Gass oder der phänomenale Klarinettist Matthew Hunt, und von den Pianisten findet unter anderem auch der Genfer Louis Schwizgebel den Weg nach Boswil.
Zusätzlich zu den sechs Festival-Konzerten erhalten junge Talente ein Podium. Die Vertrautheit sei ein zentrales Element beim Musizieren in einem solchen Umfeld, sagt Benjamin Nyffenegger. «Man geht in einem ganz anderen Geist an die Arbeit und auf die Bühne.
Bei Musikern, die ich sehr gut und lange kenne, sind viele Gesten und Signale vertraut. Es gibt eine Körpersprache und bekannte Muster: Wie jemand den Arm bewegt bei einem Auftakt, wie geatmet wird, was eine Kopfbewegung bedeutet.»
Mit fremden Künstlern müsse man diese Körpersprache zuerst lernen und verstehen. «Das tiefere Verständnis stellt sich erst nach längerer Zeit gemeinsamen Zusammenspiels ein.»
Im steten Austausch mit dem Publikum
Wie sich das anfühlt, wenn Musiker-Freunde miteinander in den Proben umgehen, das kann man in Boswil auch erleben: Jeweils von Donnerstag bis Samstag sind die Proben von 14 bis 17 Uhr für das Publikum zugänglich. Auch das passt zum Festivalkonzept.
Es geht den Veranstaltern nicht nur darum, ihre persönlichen Freundschaften zu pflegen, sondern auch auf allen Ebenen Möglichkeiten für Austausch und Verbundenheit zu kreieren, auch mit dem Publikum. «Musik verbindet– über Nationalitäten, Religionen und Geschlechter hinweg», sagt Julia Fischer. «Das immer wieder zu vermitteln, ist, glaube ich, die grosse Aufgabe von Musik.»
Boswiler Herbst
Do, 10.10.–So, 13.10.
Künstlerhaus Boswil AG
www.kuenstlerhausboswil.ch