Die einen haben moderne Bauten, die anderen frisch reno-vierte altehrwürdige Häuser: Ein Schweizer Konzertsaal ist prächtiger als der andere, jeder ein Prunkstück. Aber ob KKL, LAC, (Stadt)-Casino oder Tonhalle(n): Diese Säle erzählen von der Vergangenheit, sind gebaut, damit die Sinfonien von Beethoven und Mahler erklingen können. In den Klangkathedralen blüht das Klassikbusiness mit der Wiederholung des Ewiggleichen: Yuja Wang und Paavo Järvi rein, James Gaffigan und Martha Argerich raus. Doch die klassische Musik braucht Biotope, wo neue Formate entstehen, andere Zugänge geschaffen werden, wo unangenehme Fragen zum Betrieb gestellt werden. Orte, wo es keine Eintrittsschwellen gibt und wo es neuste technische Möglichkeiten zur Reproduzierbarkeit von Musik gibt. Erstaunlicherweise entstanden in Basel und Luzern fast zeitgleich solche Biotope.
Inspirierender Blick auf den Pilatus
Und wer sich fragt, warum das Residenzorchester des KKL ein Orchesterhaus braucht, kennt das KKL schlecht: Jean Nouvels Ikone ist gemacht, damit sich ein grosses Publikum bei Konzerten, nicht aber ein Orchester wohl fühlt. Im KKL-Probesaal ist es eng, er hat kein Tageslicht, und er ist akustisch schlecht. Der Orchestersaal im neuen Orchesterhaus hingegen ist eichenholzgolden und öffnet den Blick durch ein gewaltiges Fenster auf den Pilatus.
Kaum standen Musiker und Musikerinnen dort drin, so erzählt es LSO-Intendant Numa Bischof mit leuchtenden Augen, hatten sie wilde Ideen, was man dort Verrücktes und Tolles anstellen könnte. Zu einer kulturbefruchtenden Atmosphäre tragen auch die Studierenden der Musikhochschule bei, die gleich nebenan beim Konzertlokal Südpol zu Hause ist.
Sicht in Garten fördert kreative Ideen in Basel
Fast das Gleiche sagt auch Musikmanager Christoph Müller in der entweihten Kirche Don Bosco in Basel, die sich in einen spektakulären Probesaal verwandelt hat: «Musiker, die kreativ mitdenken, hatten hier sofort Ideen. Sie wollen das ganze Gebäude ausnutzen, schwärmen drauflos und sagen: ‹Wir müssen den Garten einbeziehen!›.» Müller ist Geschäftsführer und Initiant dieses Musikzentrums.
Nicht nur Traditionen und Intendanten sorgen für die Ausrichtung eines Orchesters, sondern auch sein Zuhause, sein Saal. «Die moderne und vielfältige Infrastruktur ist ein Ideenlieferant: Gerade in dieser Coronakrise sehen wir, dass es neue Kanäle geben muss, Musik zu verbreiten. Die Digitalisierung schreitet voran», sagt Christoph Müller. Wer im Don Bosco Musik in Basel aufzeichnen will, muss nicht viel mehr machen als den Stecker einstecken. Alles ist vorbereitet, die Technik vom Feinsten. Im aktuellen Streaming-Zeitalter ein enormer Vorteil.
Der Basler 11-Millionen-Bau ist zudem von angenehmer Ästhetik, und 520 Leute finden dort Platz. Man füllt somit die Lücke zwischen dem prächtigen Stadtcasino mit 1400 Sitzplätzen und den akustisch wie ästhetisch schlechten Kirchengemeindesälen. Was erst als Probehaus gedacht war, ist ein Konzertsaal geworden. Anfang März fand die «Basel Composition Competition» dort statt, das Kammerorchester, die Sinfonietta und das Sinfonieorchester Basel spielten auf.
In Luzern hat man im neuen Orchesterhaus sogar schon zwei Mal (gestreamte) Konzerte gespielt. Der Saal könnte ab 2022 auch für das Lucerne Festival eine Option werden.
Das Zürcher Kammerorchester (ZKO) besann sich in der Krise auf sein Probehaus. Musste das Kleinorchester in der Vergangenheit in der Tonhalle beziehungsweise in der Tonhalle Maag schauen, welche Daten es neben dem Platzhirsch Tonhalle-Orchester erhielt, könnte man nun, wo kein Publikum erlaubt ist, im ZKO-Haus draussen im Seefeld drauflos spielen. Nach einem herbstlichen Eifer ist man nun jedoch still geworden.
Ob Probe- oder Konzerthaus, ist nur ein Aspekt: In Basel wie in Luzern wollte man Orte der Offenheit schaffen. Etwas hochtrabend heisst es auf der Website des Luzerner Orchesterhauses: «Ein Ort der Inklusion, der Innovation und der Vernetzung – ein Ort, an dem Räume für Begegnungen und Kreativität geschaffen werden.» Trotz Wortgeschwurbel: Die neuen Säle in Basel und Luzern erfüllen genau diese Punkte.
Zürich verschläft seine Zukunft als Kulturstadt
Zürcher Tonhalle-Orchestermusiker und -musikerinnen schauen neidisch nach Basel und Luzern, verschwindet doch die weltweit bewunderte Ausweichspielstätte der Tonhalle: die bei Musikern beliebte Tonhalle Maag. Der nach Zukunft duftende Bau stand für eine Demokratisierung der Klassik. Der Bezug zum musizierenden Nachwuchs war geschenkt, lag die Musikhochschule doch in der Nachbarschaft. Es war zudem ein Saal, wo neue, Corona-taugliche Konzertformate wie selbstverständlich wirkten. Der Saal wurde aufgegeben, wird bald gar abgerissen, weil in Zürich die Politik nicht weiter als bis zu den nächsten Wahlen schaut und die Kulturverantwortlichen mutlos sind. Zürich verschläft seine Zukunft als Kulturstadt.
Genf gibt sich mit «Cité de la musique» visionär
Ganz anders die Stadt Genf. Bis 2025 soll dort ein von Privaten bezahltes 300-Millionen-Musikbiotop gebaut werden, eine Cité de la musique. Der Anklang an den 2015 eröffneten Pariser Prachtbau von Jean Nouvel ist nicht zufällig. In die Genfer «Cité» verpackt sind ein grosser Saal mit 1580 Plätzen und sechs kleinere Säle. Musikhochschule und Spitzenklassik treffen sich am selben Ort.
Eine der ersten Erklärungen, warum es den neuen Saal brauche, lautet: «Er entspricht in der Infrastruktur, der Technologie und im Komfort den Anforderungen der Orchester von heute.» Es ist mit Sicherheit ein Ort, wo die Klassik gefeiert, aber auch neu gedacht wird.
Livestreams
Felix Mendelssohn: Ein Sommernachtstraum
Paavo Järvi mit Tonhalle-Orchester aus der Tonhalle Maag Zürich
Fr, 26.3., 19.30
Preis: 9.90 Euro
www.tonhalle-orchester.ch
Werke von Francisco Coll (*1985) und Ludwig van Beethoven
James Gaffigan mit dem Luzerner Sinfonieorchester aus dem Orchesterhaus
Do 1.4., 19.30
Preis: Kostenlos
www.sinfonieorchester.ch