kulturtipp: Luisa Sereina Splett, wie oft denken Sie pro Tag an Ihr Kind?
Luisa Sereina Splett: Seit Paul auf der Welt ist, vergeht kein Augenblick, in dem ich nicht an ihn denke. Manchmal laufen diese Gedanken im Hintergrund mit, aber es ist schlicht unmöglich, nicht an ihn zu denken.
Und wie oft denken Sie an Schubert?
Schubert ist momentan sehr präsent, aber auf einem anderen «Gedächtniskanal».
Sie sind Schubert-Liebhaberin, bald zweifache Mutter, Pianistin, Pädagogin – und Mitarbeiterin der Staatsoper Berlin. Was sind Sie noch?!
Zum einen bin ich Musikforscherin an der Universität: Ich forsche seit Jahren über den Schweizer Komponisten Emil Frey (1889–1946). Zum anderen Musikvermittlerin: Ich spiele oft Programme, die wenig gehörte Komponisten und Werke vereint, gerne arbeite ich auch an kunstübergreifenden Projekten. Ausserdem moderiere ich meine Konzerte seit ein paar Jahren, um so den Zuhörerinnen und Zuhörern einen persönlicheren Zugang zur Musik zu ermöglichen. Ich werde nun auch in die Schubert-Konzerte einführen. Das Publikum soll mich nicht nur «aus der Ferne» als eine Pianistin hören, die kommt, spielt und wieder geht. Die Konzertbesucher sollen mich auch als eine mit ihnen agierende und auf sie reagierende Künstlerin sehen und erleben. Und: Ich co-manage meine Familie, zum Glück nicht alleine, sondern in einer wundervollen Partnerschaft mit meinem Mann.
Muss alles unter einen Hut? Oder wollen Sie alles unter einen Hut bringen?
Um ganz ehrlich zu sein: Es passt nicht alles unter den einen Hut. Ich vergleiche es gerne mit einem etwas zu klein geratenen Spannbettlaken: An drei Ecken passt es gerade so, aber kaum will man die vierte noch auf die Matratze klemmen, spickt ein anderes Ende wieder ab. Nach schlaflosen Nächten entscheide ich jeweils, was ich gerade wieder etwas aufs Eis legen muss. Dann geht es wieder eine Weile gut.
Sind denn die verschiedenen Standbeine gewollt?
Das hat sich so ergeben. Es ist sehr schwierig, auf etwas zu verzichten, da ich alle meine Jobs so gerne mache und mir das eine beim anderen hilft: Wenn ich viel konzertiere, wird mein Unterricht professioneller. Wenn ich an der Staatsoper einen Opern-Workshop gebe und die Kinder nach vier Stunden tanzen, musizieren und schauspielern nochmals das Papageno-Papagena-Duett singen möchten, freut mich das genauso, wie wenn ich in einem Archiv ein neues Dokument über Emil Frey finde. Allgemein gilt: Je erfüllter und glücklicher ich bei meinen Arbeiten bin, desto glücklicher bin ich auch zu Hause. Meine absolute Lieblingszeit ist allerdings, wenn ich meinen kleinen Paul ins Bett bringe und in den Schlaf kuscheln darf.
Sie sind in Winterthur aufgewachsen, leben seit 2012 in Berlin. Warum?
Nach meinem Studium in Zürich, Santiago de Chile und St. Petersburg erschien mir Berlin eine spannende neue Metropole, ein Schritt «zurück Richtung Westen».
Vor Berlin waren Sie in St. Petersburg. Wird dort anders unterrichtet? Anders Musik gehört?
Mich hat in St. Petersburg die Suche nach einem perfekten Klang fasziniert. Im Konservatorium wird vorausgesetzt, dass technische Schwierigkeiten überwunden sind, und am Klang gearbeitet. Die Anforderungen sind sehr hoch: nie mit Noten zum Unterricht, alles auf Russisch. Und die Umstände – die Instrumente, der Lebensstandard im Studentenheim oder die Kälte – sind sehr schwierig. Das hat mich dickköpfig und stark gemacht, auch im Musikalischen. Die Russen sind ein sehr fanatisches und kritisches Publikum, sie haben die Besten gehört, und damit wird man verglichen.
Ist es heute nicht schwierig für Sie, Resonanz, sprich Konzerte, zu finden? Dort in Berlin oder Russland sind Sie die Schweizerin und hier in der Schweiz nicht mehr verwurzelt …
Ja, das stimmt. Ich würde gerne mehr auftreten. Aber das kommt ja vielleicht noch. Vielleicht wäre dadurch dann auch mein Spannbettlaken wieder etwas elastischer …
Es gibt Schweizer Pianisten, die sich erst im Ausland durchsetzen mussten, ehe sie hier Erfolg hatten. Aber ich will nicht so ganz an die Mär glauben, dass der Prophet im eigenen Land nichts zählt. Sie schon?
Nein, «Erfolg» zu haben, hängt meines Erachtens mit vielen verschiedensten Faktoren zusammen, die man selber gar nicht unter Kontrolle hat. Manchmal ist man zur richtigen Zeit am richtigen Ort, manchmal nicht. Ich finde es auch absolut kontraproduktiv, sich darüber aufzuregen, wenn «der/die schon wieder irgendwo solo spielt» – es sei ihnen gegönnt!
Zurzeit spielen Sie auf CD und im Konzert Schubert. Wie fest ist das Ihr Schubert, wie lange ist der in Herz, Kopf und Fingern gewachsen?
Tatsächlich spiele ich seine letzte Klaviersonate seit fast 20 Jahren! Ich war noch ein Teenager, als mich seine Musik, vor allem seine späten Werke, in einem unglaublich starken Sog mitriss. Beim Spielen seiner Musik hatte ich manchmal das Gefühl, er sässe neben mir. Diese Verbundenheit hat sich immer wieder bestärkt, und oft genug war er für mich ein «Wegweiser» in schwierigen Zeiten. Mich fasziniert bei seiner Klaviermusik auch immer mehr die Verwandtschaft zu seinen Liedern, die Fülle an Melodien, die Wanderungen durch harmonische Welten. In seiner Musik fühle ich mich geborgen, zu Hause, und so wird seine Musik auch die meine.
Wer Ihre CD hört, merkt, dass Sie Schubert über alles und alle lieben. Finden Sie das gut?
Aber klar! Ich finde es sehr geglückt, wenn Sie mir das sagen! Allerdings ist mein Herz gross, und wenn die nächste CD wieder Emil Frey gewidmet ist – oder vielleicht einer Reihe von Komponistinnen –, hoffe ich, dass auch meine Liebe zu diesen grossen Meistern gehört werden kann.
Schubert-Konzerte
Klaviersonaten D 894 und D 960 mit Luisa Sereina Splett
Mi, 29.1., 19.30 Centre Le Phénix Fribourg
Fr, 31.1., 19.30 Villa Boveri Baden AG
So, 2.2., 17.00 Stadthaussaal Winterthur ZH
CD
Franz Schubert
Letzte Klavierwerke
Mit Luisa Sereina Splett am Piano
(PrimTON 2019)