kulturtipp: David Nebel, Sie waren ein Aushängeschild bei den LGT Young Soloists, einem Kammerorchester voller angehender Solisten und Solistinnen. War der Abschied von den LGT der Sprung ins freie Solistenleben?
David Nebel: Ich war fünf Jahre mit dabei, konnte unheimlich viele Erfahrungen sammeln: auf der Bühne, als Solist und als Kammermusiker. Ich hatte Einblick in alle Facetten des Geigerlebens. LGT versucht, die Mitglieder auf das Solistenle-ben vorzubereiten. Ein Aspekt dieses Lebens sind etwa die Tourneen, wo man vom Flugzeug zum Bus und dann in den Konzertsaal rennt, immer wieder mal mit wenig Schlaf auskommen und dennoch Höchstleistungen erbringen muss. Ich lernte, flexibel zu sein und meine Kräfte einzuteilen. Es war aber kein abruptes Ende, sondern eher ein Übergang in meinen Aufbauprozess.
Wurde der Aufbauprozess von Corona gestoppt?
Ja, es kostet mich Konzerte. Die Kulturstadt London, wo ich wohne, steht momentan immer noch still. Aber es tut sich durchaus etwas in der Musikwelt: Plötzlich kam ich zu anderen Konzerten – auch in der Schweiz. Man förderte lokale Künstler.
Haben Sie keine Angst, dass die Sinfonieorchester nun vermehrt auf grosse Namen statt auf junge Geiger setzen?
Es gibt weniger Konzerte – und dazu lädt man die Etablierten ein. Aber in dieser schwierigen Zeit lassen sich gerade mit jungen Musikern neue Dinge ausprobieren. Die Orchester müssen experimentierfreudig werden und schauen, was man lokal auf die Beine stellen kann. Viele internationale Musiker können nicht reisen, und so müssen sich die Orchester anpassen. Einen Joshua Bell kann man aus New York nicht mehr einfliegen lassen. Die Krise öffnet neue Türen.
Sie klingen in dieser Hinsicht sehr optimistisch.
Ich entschied mich vor 15 Jahren für die Musik: Dafür muss ich in schwierigen wie in guten Zeiten kämpfen. Musik ist meine Leidenschaft, es gibt für mich keine Alternative. Ich muss mir meinen Weg bahnen. Ich nutzte den Lockdown, um Neues auszuprobieren, spielte auch moderne Werke, hörte viele alte Aufnahmen und studierte Werke fern des Geigenrepertoires. Es war interessant, ja inspirierend. Aber ich will diese Zeit überhaupt nicht verklären. Nun freue ich mich sehr, dass ich wieder Auftritte habe.
Bald spielen Sie in der Schweiz im Trio und Duo: Woher kommt diese Kammermusikliebe?
Kammermusik muss für jeden Musiker essenziell sein! Man passt sich an, hört zu, ist nicht der Solist, dem es mehr oder weniger egal ist, was hinter ihm passiert. Es ist in der heutigen Zeit die falsche Einstellung, zu sagen: «Ich bin Solist, basta.» Und ganz simpel gesagt: Ich habe den Plausch, mit Kollegen zu spielen. Als Solist ist man oft allein, und in Kammermusikformationen kann ich mich menschlich und musikalisch austauschen. Die grossen Solisten gehen ans Verbier Festival und spielen dann zusammen im Oktett.
Im Kern aber möchten Sie solistisch wirken, warten und hoffen auf Engagements von Sinfonieorchestern?
Das ist richtig, das ist mein Hauptziel. Aber auch Rezitals mit Klavier gehören dazu, das ist fast wieder solistisch.
Sie präsentierten kürzlich Ihr CD-Debüt mit Violinkonzerten von Strawinsky und Philip Glass: Mutig! Zu mutig?
Es ist mutig, aber die CD zeigt Charakter. Ein junger Geiger kommt auf den Markt und nimmt Bruch und Mendelssohn auf: Wen interessiert das? Warum nicht mal etwas Neues? Die Auswahl erfolgte zusammen mit Dirigent Kristjan Järvi.
Sie sind viel mit Kristjan Järvi, dem Bruder von Paavo, unterwegs. Wie kam es zu dieser musikalischen Partnerschaft?
Ich habe ihn beim Menuhin Festival in Gstaad kennengelernt. Wir kamen ins Gespräch, und es entwickelte sich eine Freundschaft. Wir waren zusammen auf Tournee, die uns in tolle Säle in Helsinki und Sankt Petersburg brachte. Für einen jungen Künstler ist eine solche musikalische Freundschaft ein Traum. Dafür bin ich Kristjan ewig dankbar.
Sie haben auch auf seinem Nordic-Album mitgespielt, wo mit Elektronik gearbeitet wird. Ist das nicht Kitsch?
Es ist Geschmacksache, viele Leute mögen diese Art Musik sehr. Wir können nicht immer nur Beethoven und Mozart spielen, müssen offen sein: Ich spiele auch Minimal-Music, führte Werke von Philip Glass und Kristjan Järvi auf. Das kam beim Publikum sehr gut an.
Ist es schwierig, wenn Sie mit Ihnen unbekannten Dirigenten und Orchestern debütieren?
Die erste Probe ist jeweils eine Herausforderung, man muss sich erst kennenlernen. Meistens geht das schnell. Ein gelungenes Konzert ist ein Zusammenkommen von unterschiedlichen Musikern. Ich muss immer versuchen, die Musik zu geniessen. Vieles geht automatisch: Ich darf nicht zu viel forcieren und mir einreden, ich müsse dies oder das tun. Es ist spannend, andere Persönlichkeiten zu treffen.
Ein Risiko?
Musik ist ein Risiko, das macht den Beruf des Musikers aus. Ich will auf Risiko spielen, nicht auf Nummer sicher. Ich gebe alles, nehme es in Kauf, dass mal etwas nicht perfekt gelingt. Aus diesem Geist entstand meine CD.
Konzerte
Sa, 7.11., 19.30 Tonhalle Maag Zürich
So, 8.11., 17.00 Druckerei Baden AG
Mo, 9.11., 19.30 Stadtcasino Hans-Huber-Saal Basel
CD
Igor Strawinsky/Philip Glass – Violin Concertos
David Nebel, Kristjan Järvi
(Sony 2020)