Antonio Pappano ist gut gelaunt. Am Vorabend gab er seinen Abschied von Londons Opernhaus Covent Garden als Chefdirigent – eine Gala mit Umberto Giordanos «Andrea Chenier», der Titelheld kein Geringerer als Jonas Kaufmann.
Typisch für ihn: Wo Stars auftreten, ist auch Pappano. Kein Zufall, sagt er doch von sich selbst, dass er alte Schule sei: «Ich bin in der Oper aufgewachsen, weiss, wie die Sänger ticken: das Atmen, die Worte, Tempi, die Dramaturgie. Da gibt es ein gegenseitiges Vertrauen und deswegen langlebige Beziehungen.
Das macht mich glücklich. Ich sage nicht, dass ich immer mit Stars arbeiten muss. Aber die Möglichkeiten dieser Künstler faszinieren mich, sie haben und zeigen immer etwas Besonderes.» Es ist sehr schwierig, sie zu engagieren – alle reissen sich um sie, andererseits ist es kompliziert, da sie keine Zeit zum Proben haben. Das weiss und spürt auch Pappano bisweilen, aber er sagt, dass seine Beziehung zu den Stars immer gesund war. «Ich habe mit Anna Netrebko gerade in Salzburg ‹La Giocon da› aufgeführt und wirklich gut mit ihr gearbeitet.»
Er geht nie ohne Proben in den Orchestergraben
Mit Jonas Kaufmann habe er in London viel gemacht, Kaufmann habe viele seiner Rollendebüts mit ihm gewagt, erzählt Pappano. Das gegenseitige Verständnis sei enorm stark. «Wenn man genügend Proben erhält, kann eine solche Beziehung sehr speziell werden.» Er sei nun mal kein Abenddirigent, gehe nie nach Wien oder Berlin ohne Proben im Orchestergraben. Andere könnten das viel besser. «Ich bin glücklich, dass ich schon 34 Jahre – erst in Oslo, dann in Brüssel und schliesslich in London – je weils mein Opernhaus hatte.
Das wird nun ein Schock, wenn ich keines mehr habe.» Doch Pappano bleibt in London – nicht wegen der Stadt, sondern wegen seines neuen Amts: Chefdirigent des London Symphony Orchestra. Mit diesem Klangkörper kommt er im August nach Gstaad. Es ist in der Schweiz wahrscheinlich das am wenigsten bekannte der zehn berühmtesten Orchester der Welt.
Pappano lacht über die Bemerkung, meint, dass es schade wäre, wenn das tatsächlich so sei, und setzt zu einer Hymne auf das Orchester an: «Für mich ist es eines der wichtigsten Orchester der Welt, denn da herrschen eine besondere Energie und eine grosse Begeisterung. Meine Affinität zum Theater und mein Temperament passen sehr gut zu diesem Orchester: Die Musiker haben eine Theatralik in sich. Auf diese Art Musik zu machen, ist für mich am natürlichsten.»
In Rom hatte er ab 2005 eine klare Aufgabe: Er sollte das Orchestra di Santa Cecilia wieder gross machen. Das Orchester in London aber ist schon gross – was soll er da tun? Weil das Orchester so gut sei, erklärt er, könne er schneller arbeiten, die Programme anders planen und das Repertoire ausbauen. «Diese Musiker haben eine breite emotionale Intelligenz, um die Musik noch reicher zu machen: Und so ist dieses Orchester flexi bler als andere.»
Pappano kennt die Schweizer Festivalwelt
Eine der grössten Aufgaben des Orchesters sind seine vielen Tourneen. Halb scherzend sagt er: «Könnten wir in Zukunft noch etwas mehr in der Schweiz sein, wäre das wunderbar.» Da bei trat er diesen Sommer zweimal in Verbier mit dem Festivalorchester auf, bald folgen zwei Auftritte am Gstaad Menuhin Festival mit dem London Symphony Orchestra.
Kurz: Pappano kennt die Schweizer Festivalwelt, aber liebt er diese Sommerfestivals auch? Die Atmosphäre empfindet er anders als während der Saison. «Die Leute sind entspannter, an Festivals herrscht jeweils eine natürliche Freude.» Allerdings betont er, dass er kein Fan von Open-Air-Veranstaltungen sei, da die Akustik dort immer heikel ist. Lieber dirigiert er in Sälen.
In Gstaad muss er aller dings mit den Zelten vorliebnehmen, die auch nicht optimal für die Akustik sind. Das stimme zwar, sagt Pappano, aber das Zelt sei in Ordnung. An den Festivals in Luzern und in Gstaad gibt es Leitungs wechsel, in Verbier zeichnet sich auch eine Götterdämmerung ab.
Einen Rat für die Neuen, wie ein Klassikfestival in der Zukunft aussehen könnte, hat er nicht, aber er sagt: «Festival heisst grosse Namen, Risiko und Offenheit.» Mit Risiko meint er das Repertoire: «Wir dürfen nicht immer die selben Stücke spielen. Und bei der Offenheit geht es darum, Möglichkeiten zu schaffen, dass nicht nur die Eliten zum Konzert kommen.»
«Ein Festival sollte inklusiv sein»
Deshalb wünscht er sich auch, dass es Konzerte gebe, bei denen die Karten nicht so viel kosten, sagt aber: «Ich kenne die Situation in Luzern oder Gstaad nicht genau, weiss nicht, wie viel dort die Karten kosten müssen, damit das Budget im Lot bleibt. Ich will unter keinen Umständen eine Polemik entfachen. Aber ein Festival sollte – jedenfalls teilweise – inklusiv sein: Alle sollten mit dabei sein können.» Und solche Konzerte sollten im Hauptsaal und nicht auf irgendeiner Nebenbühne oder auf einem Open-Air-Platz stattfinden, sagt er mit Nachdruck.
Apropos Risiko: Seine zwei Programme für Gstaad lösen das ein: Ein Programm mit Elgars Violinkonzert und dann eines mit Strauss’ «Burleske» sowie Holsts «Planeten» sind nicht die Kassenschlager. Er aber schwärmt von Elgars Violinkonzert, das die Schweizer kennenlernen sollten. Und er ist erstaunt, dass die «Planeten» hier nicht oft gespielt werden, und sagt selbstbewusst: «Wir sind das London Symphony Orchestra, wir bringen etwas aus England mit in die Schweiz.»
Antonio Pappano und London Symphony Orchestra
Dall’Inferno al Paradiso
Mit Violinistin Vilde Frang
Fr, 30.8., 19.30
Sound of Planets
Mit Pianist Bertrand Chamayou
Sa, 31.8. 19.30
Festival-Zelt Gstaad BE