Vor einigen Jahren polarisierte er auf höchstem Niveau. «Ein früher Beckham des Pianos» war nur eines der sich übertrumpfenden Attribute, die Ivo Pogorelich angeklebt wurden. Kein Wunder: Bereits der Aufstieg dieses Ausnahmekönners am Klavier war spektakulär. Am Warschauer Chopin-Wettbewerb 1980 schied der damals 22-jährige Kroate früh aus, worauf die argentinische Pianistin Martha Argerich die Jury verliess. Skandal! Im selben Jahr heiratete Pogorelich seine 14 Jahre ältere Klavierlehrerin Aliza Kezeradze.
Ein Star unter vielen Langweilern
Die Deutsche Grammophon Gesellschaft nahm ihn unter Vertrag. Weltweit flogen dem Künstler mit den langen Haaren und dem Seidenschal die Mädchenherzen zu. Pogorelich aber wurde exzentrisch, spielte, als müsse er einen Teil von sich selbst dem Publikum abgeben. Der Ruhm machte das Leben schwerer. Als 1996 seine Frau starb, brach seine Welt zusammen. Ab und zu tauchte er wieder auf – um noch länger abzutauchen.
Alles falsch, sagt er im Hamburger Hotel Vier Jahreszeiten beim Interview: Möglich wird das Gespräch, da er bei Sony eine CD eingespielt hat – und wieder auftritt. Er ist nach wie vor ein Star unter vielen Langweilern, aber kein Selbstläufer.
Über seine Abwesenheit sagt er: «Eine Saison lang trat ich nicht auf: Im Jahr 2000. Es ist alles dokumentiert, letztes Konzert in Eriwan am Rostropowitsch-Festival Ende Juni, und ein Jahr später im September spielte ich in Soria wieder. Laut Ihren Kollegen wurden aus diesem Jahr plötzlich zwei, dann fünf, dann zehn, dann vierzehn Jahre. Das Blabla dehnte alles aus, es stoppte erst, als es absurd wurde.»
Mitten im Gespräch zeigen wir ihm seine allererste LP, darauf ein junger Mann, eine Krawatte als Schal um den Hals gebunden. Wer das sei, fragen wir. Und Pogorelich antwortet leise: «Es ist einer, der es mag, gut Klavier zu spielen: Nichts anderes wollte und will er im Leben. Damals und heute. Ich musste unglaubliche Anstössigkeiten erleben, sie rollten wie eine Lawine über mich hinweg. Ich war so jung, 22, als diese Schlagzeilen über mich kamen. Irgendwann musste ich das negieren.»
Er führt aus, dass ein Künstler in seiner Haltung konstant zu sein habe, seine Prinzipien nicht verraten dürfe, und sagt: «Dieser Mann auf dem Bild musste unglaubliche Dinge von sich lesen und hören. Es wurden mir verrückte Dinge vorgeschlagen: etwa ein Hollywood-Film, in dem ich mich selber spielen sollte. Oder ich sollte mit Barbra Streisand eine Aufnahme machen. Die Plattenfirmen wollten etwas Pogorelich, etwas Karajan, etwas Tschaikowsky – das geht nicht! Ich lernte, Nein zu sagen.»
Der Schönheit zugewandt
Dass er nun erneut mit Sony einen Vertrag abgeschlossen hat, findet er völlig in Ordnung. «Ich sehe die Aufnahmen als Dokumente an. Als ich allerdings damals mit der Deutschen Grammophon arbeitete, war das eine völlig marktorientierte Firma: Der Dirigent Herbert von Karajan war daran schuld. Er machte zwei Aufnahmen pro Woche! Was hat das mit Kunst zu tun? Er tat es nur, um viel Geld zu verdienen. Sie können nicht zweimal pro Woche eine künstlerische Arbeit abliefern.»
Wie eigenwillig Pogorelich als Interpret zuweilen ist, zeigt der LP-Text von 1981. Zu Pogorelichs Empörung steht da: «Kontraste werden ausgespielt, wobei aber nicht der Notentext, sondern höchstens die Gefühle konservativer Hörer verletzt werden.» Er findet diesen Vergleich unglaublich: «Gewalt gehört nicht zu meinem pianistischen Repertoire», sagt er. «Wenn Sie einen Lufthansa-Piloten interviewen, fragen Sie dann etwa: ‹Herr Pilot, haben Sie eine Lizenz?› Ich habe ein Diplom! Die Leute vergassen, dass ich ein Examen gemacht hatte, Gewalt wurde da nicht gelehrt: Ich bin zertifiziert, um Konzerte zu geben. Nur weil ich Klavierstar bin, ist dieser Teil nicht ausgegrenzt. Warum interessiert sich niemand für das Normale?»
1980, als er am Chopin-Wettbewerb in Warschau berühmt wurde, war er da nicht «normal»? Er erlaubt keinen Widerspruch und sagt: «Ich war es!»
Als der Journalist ihm gesteht, dass er ihn das letzte Mal 2008 in Zürich hörte und seine Kritik beendete mit: ‹Hier steht ein Künstler, ihr habt zugehört, aber gespielt habe ich nur für mich›, sagt Pogorelich: «Sie haben das Recht, Ihre Eindrücke zu schildern. Es gibt eine Wahrheit aus Ihrer Perspektive, eine aus jener des Kellners und eine aus meiner. Die Disziplin, Konzerte zu geben oder Aufnahmen zu machen, muss da sein. Mein Ziel ist es, einen persönlichen Beitrag zum Verständnis der alten Werke zu geben. Dafür investiere ich all meine Energie. Ich bin der Schönheit zugewandt, der Erfindung, der Schöpfung – ich bin davon geradezu beseelt. Das ist der Anfangspunkt. Dann folgen Arbeit, Analyse, Üben, Erfahrung.»
Liebt er das Publikum vielleicht doch? «Ich spiele für die Zuhörer», sagt er. «Mein Spiel muss sie sofort fesseln, ich brauche ihre Aufmerksamkeit von der ersten Note an. Ich packe sie, und dann gehen wir zusammen los: zu den Bildern und Emotionen, in die Philosophie und Psychologie. Ich lade sie durch das Spiel dazu ein. Sie dürfen nicht mehr an ihren Autoschlüssel denken!»
Aber das Konzert sei nicht mehr das Wichtigste in seinem Leben, sagt er doch: «Ein Auftritt kann mich befriedigen – oder auch nicht. Aber macht mich ein Konzert glücklich? Da braucht es schon einiges mehr als einen einzigen Auftritt.»
Konzerte
So, 17.11., 17.00 Tonhalle Maag Zürich
Sa, 14.3., 17.00 Zentrum Paul Klee Bern
CDs
Ivo Pogorelich
Rachmaninow, Beethoven
(Sony 2019)
Ivo Pogorelich
Complete Recordings
14 CDs
(DG 2015)