Corona? Klagen? Jammern? Gar verzweifeln? Nichts davon ist von Daniel Behle zu hören, würde man ihn nicht explizit darauf ansprechen. Dieser Tenor sprudelt vor Ideen, erwähnt Arbeiten an CDs, Streams und Kompositionen, als gäbe es da draussen keine Pandemie. Mit etwas Glück umgeht er sie geradezu, konnte er doch 2020 zwei sehr wichtige Opernproduktionen singen – oder, wie er sagt, «etwas Geld nach Hause bringen»: Als in Wien im Herbst eine Mozartoper anstand, war die Staatsoper gerade wieder offen, im Opernhaus Zürich sang er im März kurz vor dem Lockdown in «Arabella».
Ob er im Sommer in Bayreuth singt, weiss Behle immer noch nicht. Er ist gelassen, bedauert aber das Schicksal von Kollegen, die fast ausschliesslich Opern singen würden, denen nun alles fehle. «Ich hingegen fuhr immer breit, habe den Liedgesang, die CD, das Komponieren und die Oper. Und ich habe Zeit. Es ist viel geplant – unabhängig von der Pandemie: Mein Weg wird sich nicht verzögern.»
Mit Edeltitel «deutscher Mozarttenor»
13 Rezitals aus 13 Jahren stehen im CD-Regal – und es sind nicht mal alle. Wie schafft er das? Und vor allem: Warum macht der 1974 in Hamburg geborene und in Basel lebende Tenor das? Vielleicht ist die CD-Arbeit für Behle dazu da, um den Ruhelosen zur Ruhe zu bringen. Er selbst sagt: «Für mich ist es schön, einmal im Jahr zu fragen: Wo bin ich mit der Stimme?» Mit einer gut vorbereiteten CD-Produktion legt er somit den Fokus auf das Wesentliche – und muss dabei nicht mal schön aussehen, wie er bekennt.
Vielleicht steckt hinter Behles Studio-Eifer auch der Wille, der Welt zu zeigen, wie breit aufgestellt er ist. Als Freiberufler, der er nach Jahren an Theatern in Oldenburg, Wien und Frankfurt seit 2010 ist, durchaus ein Problem: Opernsänger werden immer in eine Schublade gesteckt. Und weil Behle den edlen Titel «deutscher Mozarttenor» trägt, sind ihm viele Türen verschlossen. Für italienische Opern wird er kaum mehr gebucht, dafür aber vielleicht bald für Werke von Richard Wagner.
Vom Wagnis, den «Lohengrin» zu singen
Daniel Behle, der im Liedgesang Massstäbe setzt, der schelmisch lächelnd Repertoireschranken überwindet, will sich nun nach grossen Jahren als lyrischer Mozartsänger mit Wagner beschäftigen, vom Mittel- zum Schwergewicht wechseln. Seine Liebe zu Wagner ist so gross geworden, dass er es wagte, den «Lohengrin» zu singen. Als Resultat davon steht nun die Wagner-Pforte, so gewaltig gross und schwer sie auch ist, ziemlich weit offen. Noch sagt Behle, er werde sie nur durchschreiten, wenn er danach weiterhin Mozart singen kann.
Das aber behaupteten in den letzten 40 Jahren alle Tenöre – kaum einer schaffte es. Das süsse Zaubertimbre von Francisco Araiza (*1950), einst Publikumsliebling in Zürich, verschwand nach seinem «Lohengrin» in kurzer Zeit. Und auch der Legende Nicolai Gedda (1925–2017) bekam der Schwanenritter nicht gut. Jonas Kaufmann (*1969) hingegen, momentan auf dem Tenor-Thron sitzend, genoss den Wechsel von Mozart zu Wagner, fühlte sich danach hörbar befreit.
War der Schritt zu Wagner ein Risiko für Behle? Würden sich die Warnungen bewahrheiten: «Ein Takt ‹Lohengrin› und deine Mozartkarriere ist dahin»? Behle jedenfalls hat sich vorgenommen, immer wieder zu Mozart zurückzukehren. Doch die Angst vor «Lohengrin» war berechtigt, denn als Daniel Behle einst Humperdincks «Königskinder» gesungen hatte – eine Oper, in der man gegen grosses Orchestergeschütz ansingen muss –, merkte er, dass ihm die Leichtigkeit der Stimme abhandengekommen war. «Guck, Behle, jetzt hast du draufgehauen!», musste er sich sagen.
«Was kann ich? Was kann ich nicht?»
Und 2018 in Bayreuth (er sang im «Tannhäuser» Walter von der Vogelweide) zeigte sich am Anfang der Probenphase ein Ödem an den Stimmbändern: «Überanstrengung!», hiess es damals. «Ich war selber schuld, habe ich doch nach anstrengenden Probentagen an anstehenden Partien gearbeitet. Wäre das Ödem geblieben, wäre Schluss gewesen. Mir wurde wieder klar, dass eine Stimme nicht gottgegeben ist, sondern auch Pausen braucht.»
Was kann ich? Was kann ich nicht? Diese Frage dreht im Kopf von Behle bei allem Selbstbewusstsein und aller Kenntnis über seine Fähigkeiten weiter. Klar aber ist, dass er neue Rollen nur auf der Bühne ausprobieren kann. Doch die Frage war für ihn nicht, ob er «Lohengrin» singen könne, sondern wie. Behle war und ist nicht gewillt, seine schillernden Farben und sein samtenes Bouquet für die Tragkraft der Stimme einzutauschen. Kurz: Er gibt nicht die Schönheit für eine Trompete her. «Da sage ich lieber: ‹Leck mich Wagner, dann halt nicht. Ich mache es so, wie ich es will.›» Es ist sein Lebensziel, einen nötigen heldischen Strahl zu erzeugen, ohne den lyrischen Aspekt zu verlieren. Rollenunabhängig.
Ziel, irgendwann vielleicht, ist Wagners Tristan. Doch noch widmet sich Behle auch der Operette, bald etwa Léhars «Giuditta» in der Regie von Christoph Marthaler. Und seinem eigenen Werk, der Operette «Hopfen und Malz»: Im Lockdown hat er so intensiv daran gearbeitet, dass er nun bereits im Finale steckt und mit zwei grossen Theaterhäusern in engem Kontakt steht. Behle gibt es als Sänger zur Komposition dazu.
Der nächste Coup ist geplant
Typisch Behle: Er belässt es nicht bei «Hopfen und Malz», die nächste Operette ist schon am Entstehen. «Ich habe richtig Blut geleckt», sagt er spitzbübisch. Thema wird das Richard-Wagner-Mekka Bayreuth sein, Librettist erneut der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer, der Titel soll «Ein Königreich für ein Drama» heissen. Ein Gefangenenchor der Kritiker ist bereits skizziert. Der mögliche Uraufführungsort? Geschenkt.
CD
Un-Erhört
Daniel Behle/Oliver Schnyder (Klavier): Richard Strauss
(Prospero 2021)
Mein Hamburg
Daniel Behle & Schnyder Trio
(Berlin Classics 2016)
Franz Schubert: Winterreisen
Daniel Behle & Schnyder Trio
(Sony 2014)