kulturtipp: Piotr Beczala, trotz Virus und ungewisser Situation: Sie müssen sehr weit im Voraus planen. Stimmt es, dass es auf Ihrem Niveau mittlerweile bis fünf Jahre sind?
Piotr Beczala: Ja, und das ist sogar eine kleine Hilfe, da ich sehr genau überlegen muss, was ich wann will – und was ich kann. Aber als ich meine Karriere begann, war es noch nicht so. Damals um die Jahrtausendwende in Zürich plante ich auf zwei Jahre im Voraus …
… und sollten aber für sich wissen, was Sie in fünf singen würden?
Ich arbeitete von Beginn weg mit einem Gesangscoach zusammen. Mit ihm ging ich gewisse Szenarien durch. Ich bin mir sehr bewusst, was ich kann. Und viel wichtiger: Was ich nicht kann. Ich habe viele Dinge ausprobiert und merkte: Ich muss diesen Betrieb sehr sachlich betrachten. Die Gesangskunst und die Emotionen gehören auf die Bühne, und das, was man in den Kalender schreibt, sozusagen die Karriere, das ist eine andere, eine rationale Geschichte. Das kann man nicht mit Emotionen angehen, sonst bezahlt man schwer dafür.
Sie tönen nun recht gelassen.
Ich war es auch immer. Es gibt durchaus Überraschungen im Leben eines Tenors, und ich probiere ja mit der Stimme auch einiges aus wie etwa verschiedene Techniken. Aber ich hatte vor 20 Jahren sicher keinen «Lohengrin» geplant.
Sie waren damals der junge Tenor, standen in Zürich neben Stars auf der Bühne. Da hofft man doch, dass man Ähnliches erreicht, dass es immer höher geht und der Ruhm gross wird.
Ich war ein Mozart-Tenor mit verschiedenen Möglichkeiten. Wenn man bedenkt, dass mein grosses Vorbild, Fritz Wunderlich, bis zu seinem letzten Atemzug Mozart-Rollen sang, dann ist man gewarnt, wird vorsichtig. Er war damals 36 und hatte unbegrenzte Möglichkeiten. Ich war in dieser Phase in Zürich, wusste zwar durchaus, dass ich irgendwann den Cavaradossi in Puccinis «Tosca» singen würde, aber mir war klar: Das wird irgendwann sein. Die Gespräche mit Sopranistin Edita Gruberova, Dirigent Nello Santi und anderen Grössen öffneten mir Horizonte, aber man kann die Karriere als Tenor nicht planen. Ich war im Jahr 2000 bloss ein Ensemblemitglied, meine Erwartungen waren damals bescheiden, was nicht heisst, dass ich nicht Ambitionen hatte. Mir fehlte es noch nie an Geduld.
Das tönt jetzt so, als ob Ihre Traumkarriere von alleine kam.
Nein, das ist ein falscher Eindruck. Ich habe jeden Schritt meinem Gesang oder besser gesagt meinen Auftritten zu verdanken. Ich musste nicht viel zum Vorsingen antreten, ich wurde in Vorstellungen gehört und erhielt Gastaufträge. Ich sprang damals oft ein, rettete Vorstellungen – auch in Zürich war es so. Von allein kommt nichts. Es kann auch etwas schiefgehen, und dann wird man zurückgeworfen. Ich nahm nur jene Rollen an, die passten und bei denen ich wusste: Ich werde sie gut singen.
Sie wichen dem Risiko aus?
Nein, auch das ist falsch: Jede Vorstellung ist ein Risiko, und den Elvino in Bellinis «Sonnambula» neben Edita Gruberova zu singen, war ein grosses. Ich hatte ja keine Erfahrung mit so grossen Belcanto-Rollen. Ich freute mich über das Vertrauen der Chefetage, aber das kostete mich sehr viel Arbeit.
Sie werden im Dezember 54: Ist das für einen Tenor alt?
54 ist bloss eine Zahl. Klar, es kostet heute mehr, mich in Form zu halten, ich muss etwas gesünder essen. Es war in meinem zweiten Jahr in Zürich, da hörte ich am Montag Luciano Pavarotti in einem Liederabend, am Dienstag Placido Domingo in «I Pagliacci», am Mittwoch Alfredo Krauss als Enrico in einer seiner letzten «Lucia di Lammermoor»-Vorstellungen und schliesslich am Freitag auch noch Francisco Araiza als Faust. Das war eine Woche, von der ich in der ganzen Welt erzählte, auch um zu zeigen, wie grossartig das Opernhaus Zürich damals war. Und Alfredo Kraus hatte als 70-Jähriger eine Superfigur und eine Superstimme: Da wusste ich, es gibt als Tenor keine Grenzen. Aber klar, wenn man sich einen grauen Bart wachsen lässt, hat man ein Problem als jugendlicher Liebhaber. Wenn man sich pflegt, auf den Körper schaut, geht es.
Wegen des Corona-Virus waren die Opern drei Monate lang geschlossen. Nun schauen wir speziellen Konzerten entgegen: In Salzburg singen Sie in einem Hochsicherheitstrakt, in Zürich wird bald das Orchester via Elektronik ins Haus gebracht. Wie sehen Sie diesen Konzerten entgegen?
Ich hatte mich damit abgefunden, dass alles gestrichen wird, meine Frau und ich genossen das Leben in unserem Haus in Polen. Und plötzlich kommen diese Lockerungen, die zwei Zürcher Gala-Konzerte, dann Budapest, Salzburg … Es ist eine Zeit des Übergangs.
Sie sind gelassen, singen mal eine Gala da, eine dort …
Ich rege mich niemals über Sachen auf, auf die ich keinen Einfluss habe. Ich kann damit umgehen. Was kann ich machen? Ich bin in der schönen Situation: Sobald irgendwo gespielt wird, erhalte ich ein Angebot. Als klar war, dass die «Aida» in New York für diesen Herbst wegfallen würde, erhielt ich Anrufe für neue Produktionen. Nun singe ich in Warschau eine «Werther»-Premiere.
Schön für Warschau! Andere klagen …
Ich weiss, dass diese Zeit für viele Kollegen schwierig ist. Wenn einer gerade ein Haus gekauft hat und Geld braucht, dann gibt es ein Problem. Damit muss man aber auch umgehen können.
Piotr Beczala
Der Tenor wurde 1966 in Polen geboren, nach dem Studium in Kattowitz erhielt er Engagements in Linz (1992–1997) und Zürich (ab 1997). Gleichzeitig startete seine internationale Karriere, und die besten Opernhäuser der Welt rissen sich um ihn: Salzburg, Berlin, Wien, London. 2018 debütierte er als Lohengrin in Bayreuth.
Konzerte
Operettengala mit Camilla Nylund & Piotr Beczała
Sa, 11.7., 19.00 & So, 12.7., 18.00
Opernhaus Zürich
CDs
Vincero!
(Pentatone 2020)
The French Collection
(Deutsche Grammophon 2015)
DVD
Giuseppe Verdi
Un ballo in Maschera
149 Minuten
(Unitel Classica 2017)