kulturtipp: Kristiina Poska, Sie sind am Theater Basel Chefdirigentin für ein Jahr. Was kann man bewirken in so kurzer Zeit?
Kristiina Poska: Natürlich sind alle Fragen, welche die zukünftige Planung betreffen, ausgeschlossen. So gesehen sind die Möglichkeiten begrenzt, aber darum geht es mir nicht. Ich war bisher zurückhaltend beim Annehmen von Chefpositionen. Jetzt habe ich zum ersten Mal wirklich verantwortungsvolle Stellungen, zum einen hier in Basel für ein Jahr und zum anderen beim Sinfonieorchester Flandern. Ich wollte immer schon Verantwortung übernehmen, aber die Bedingungen müssen stimmen. Erst wenn man sich wohlfühlt und Lust auf eine Aufgabe hat, kann man gut arbeiten. In Basel war es der Operndirektor Pavel Jiracek, der mich für Strawinskys «Rake’s Progress» in die Stadt holte. Und da habe ich mich verliebt in Basel.
In die Stadt?
In diese Verbindung von geografischer Kleinheit und kultureller Grösse – eine Balance, die einfach zum Verlieben ist. Das Theater steht auf einem sehr hohen Niveau und strahlt dennoch eine tiefe menschliche Atmosphäre aus, die es sehr angenehm macht, hier zu arbeiten. Zudem kenne ich von zwei Konzertprogrammen auch das Sinfonieorchester Basel, dessen Musiker mich von ihrem hohen Niveau ebenfalls überzeugt haben. So wusste ich schon, dass ich gerne hier arbeiten würde.
Sie dirigieren am Theater Basel Giacomo Puccinis «Bohème» und Benjamin Brittens «Peter Grimes», zwei sehr unterschiedliche Stücke des 20. Jahrhunderts. Hatten Sie Einfluss auf die Wahl dieser Werke?
Das weiss ich nicht mehr so genau. Aber es war klar, dass ich beides unbedingt machen wollte. «Peter Grimes» ist ein Wunschstück von mir, das ich noch nie dirigiert habe. Die «Bohème» hingegen war damals mein erstes Operndirigat, aber ich habe sie seither nie mehr geleitet.
Welche Gedanken machen Sie sich, bevor Sie nun vor das Basler Orchester treten?
Man sollte die «Bohème»-Partitur ernst nehmen. Das Stück ist allgemein zwar tragisch und endet traurig, aber es hat auch sehr viele lustige und komische Seiten. Das sind ganz normale Menschen mit ihren alltäglichen Sorgen, und die Musik bringt das sehr brillant zum Ausdruck. Natürlich werden die Gefühle ausgekostet, aber nicht, um möglichst extrem zu sein, sondern als Teil des realen Lebens. Es ist eine Verismo-Oper, die Puccini hier schreibt, dafür sollte man die Augen offenhalten und nicht schon in die schnellen, quirligen ersten beiden Akte zu viel hineininterpretieren wollen.
Welche Rolle spielen in «Peter Grimes» die Emotionen aus dem Orchester, im Gegensatz vielleicht zu Puccini?
Auch bei Puccini kommt vieles aus dem Orchester. Es ist nicht nur ein Roter Teppich, der den Sängern ausgerollt wird, dieser Teppich ist ein Perser mit einem wunderschönen Muster. In «Peter Grimes» kommen essenzielle Aussagen aus dem Orchester. Vieles, was von den Personen nicht ausgesprochen wird, sagt das Orchester, und die berühmten «Sea Interludes» sind wirklich musikalische Schwerpunkte dieser Oper. Aber das ist ja auch gerade das, was ich an der Musik liebe: dass sie Dinge sagen kann, die nicht so eindeutig sind, die man hinterfragen kann und bei denen auch nach langem Nachdenken immer noch Fragezeichen bleiben. Je mehr Dimensionen, desto besser, je komplexer es ist, desto mehr fordert mich ein Stück heraus.
Aber Sie dirigieren auch das Basler Neujahrskonzert, das vor allem operettenselige gute Laune verbreiten soll?
Das scheint ein Widerspruch zu sein, aber ich muss gestehen, dass ich die Wiener Operette einfach ganz tief und innig liebe. Ich suche nie Unterhaltung in der Musik, existenzielle Fragen, die Psychologie komplizierter Charaktere, die grossen Fragen der menschlichen Existenz, das sind eigentlich meine künstlerischen Themen. Und dennoch packt mich ein Dreivierteltakt irgendwo ganz tief drin. Vielleicht hat das mit dem Tanz zu tun, der meiner Meinung nach als solches eine ganz wichtige Ausdrucksform der menschlichen Seele ist. Ich bin, glaube ich, auch ein wenig eine verloren gegangene Tänzerin.
Die Wiener behaupten, nur Wiener können Wiener Walzer.
Wie sie es können, ist sicher unglaublich schön, aber ich habe gemerkt, dass man das auch nachmachen kann. Man kann diese Lässigkeit, sich als Wiener zu fühlen, auch lernen, man kann analysieren, wie sich in den kleinsten und vielseitigsten Nuancen die Tempi verändern. Tatsächlich aber wird die Operette oft ein bisschen unterschätzt. Das ist kein leichtes Repertoire, es soll bloss leicht klingen, und man soll auf keinen Fall hören, wie schwierig es wirklich ist.
Aufführungen mit Kristiina Poska am Dirigentenpult
La Bohème – Oper von Giacomo Puccini
Regie: Daniel Kramer
Bis Sa, 2.5. Theater Basel
Neujahrskonzert
Operettengala mit dem Sinfonieorchester Basel und Chören des Theaters Basel
Mi, 1.1., 17.00 Theater Basel
Peter Grimes – Oper von Benjamin Britten
Regie: Thomas Wise
Premiere: Fr, 27.3., 19.30 Theater Basel