kulturtipp: Helena Winkelman, Ihr Konzert «Gemini» konnte im September trotz Schwierigkeiten uraufgeführt werden. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Helena Winkelman: Sehr gute. Es war eines der schönsten Erlebnisse in meinem musikalischen Leben. Mit Patricia Kopatchinskaja zu spielen, war eine tolle Erfahrung. Die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Ivor Bolton war sehr angenehm, das Orchester hat sich enorm eingesetzt. Wir hatten so viel Glück, dass es dieses Zeit-Fenster gab. Das kommt mir heute fast vor wie eine Fata Morgana.
Dennoch hatte die Pandemie für Unsicherheiten gesorgt. Lange war nicht klar, wie gross das Orchester besetzt sein durfte. Und dann konnte auch Pekka Kuusisto, für den Sie dieses Konzert zusammen mit Patricia Kopatchinskaja explizit komponiert hatten, nicht nach Basel reisen.
Dass Pekka nicht reisen konnte, war nicht der Pandemie geschuldet. Sein Bruder war schwer krank. Aber es bestand einfach keine Option mehr, alles zu verschieben. So war es die einfachste Lösung, dass ich selber diesen Solopart übernommen habe. Normalerweise vermeide ich es, als Komponistin bei Uraufführungen selber zu spielen, weil immer noch kleine Justierungen in den dynamischen Feinheiten nötig sein könnten. Aber es hat mir dennoch viel Spass gemacht.
Das hört man. «Gemini» ist ein überaus witziges und kurzweiliges Stück.
Es ist eine Mischung aus Ernst und Spass. Das Duell der Schlagzeuger zum Beispiel ist natürlich lustig, aber es ist auch ein Duell, es geht um Leben und Tod. Solche Kontraste haben eine grosse Kraft. Ich mag es, mehrgleisig zu denken. Freude und Humor sind Aspekte, die uns als Menschen bereichern, das soll nicht ausgesperrt bleiben. Aber der erste Satz ist für mich eigentlich überhaupt nicht lustig, sondern ganz tiefer Ernst, noch verstärkt dadurch, dass er im Lockdown geschrieben wurde. Natürlich gibt es die jazzigen Elemente darin, die es ein wenig leichter machen, aber eigentlich sind auch sie nicht lustig.
Das ganze Stück ist geprägt von einer sehr hohen Ereignisdichte. Fast scheint es, als ob Sie unter allen Umständen vermeiden wollten, dass sich die Zuhörer langweilen könnten.
Da bin ich einfach auch egoistisch: Ich bin meine eigene erste Hörerin, und wenn ich etwas schreibe, bei dem ich meine eigene Geduld auf die Probe stelle, dann weiss ich, dass das nicht stimmt. Ich brauche selber eine sehr hohe Informationsdichte und gehe davon aus, dass etwas, das ich spannend finde, möglicherweise auch das Publikum spannend finden könnte.
Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die Ideen ausgehen könnten, wenn Sie so viele in ein einziges Stück verpacken?
Jedes meiner Stücke wird aus einem ganz eigenen inneren Feld entwickelt. Ich wiederhole mich nie. Ich beginne jedes Mal bei null. Das bedeutet, dass an jedem Anfang ein umfassender Prozess des Einarbeitens steht inklusive der entsprechenden Widerstände, weil ich mich wirklich auf das Nichtwissen einlasse. Aber vieles hängt auch von den Interpreten ab, für die ich schreibe. Je besser sie sind und je höher ich sie schätze, desto besser schreibe ich. Wenn ich dieses Vertrauen nicht habe, bin ich demotiviert.
Was passiert denn, wenn andere Interpreten das Stück spielen?
Natürlich soll das Werk jetzt ein paarmal mit den Musikern aufgeführt werden, für die ich es geschrieben habe. Aber danach ist es frei, und ich bin sehr gerne bereit, mit jedem Künstler über meine Ideen zu sprechen. Jeder hat andere Stärken, vielleicht setzt ein anderer Geiger andere Schwerpunkte. Aber klar: Pekka und Patricia haben viel Freude an theatralischen Elementen, sie lieben die Volksmusik. Das ist für die Genese des Stücks wichtig. Was danach passiert, ist offen, und ich würde nie sagen, dass man etwas nicht so oder so machen darf.
Ihr Konzert hat ein klares Programm: Es beginnt im Universum mit «Quarks, Magneten und Doppelsternen», im Mittelteil gibt es ein «Besäufnis» und eine «Liebesszene», am Ende das theatralische «Duell» der Schlagzeuger.
Solche Titel sind immer etwas zweischneidig. Man kann dem Zuhörer damit helfen, aber man kann das Hören auch einschränken. Ich habe auch da versucht, mehrdeutig zu sein. Das Universum, das zerbricht, kann man auch zwischenmenschlich verstehen. Das ganze Stück ist eine Annäherung von zwei Menschen bis zur wirklich physischen Auseinandersetzung am Ende. Die Liebesszene ist ein intimer Moment, der sich aber sofort wieder entpersonalisiert und auflöst in Naturlauten. Aus der individuellen Liebe wird eine allgemeine Liebe auf einer höheren Ebene, aus der sexuellen Beziehung entsteht eine Anspielung auf eine Naturgewalt, die weit grösser ist. Es ist ein Spiel mit Nähe und Distanz, das auch über menschliche Dimensionen hinausgeht.
Sie sind diese Saison Gastkomponistin beim Sinfonieorchester Basel. Was lässt sich von den geplanten Aufführungen noch realisieren?
Ich bin dem Orchester noch mein Stück «Goblins» für die Perkussionisten schuldig. Das hätte im Februar uraufgeführt werden sollen, jetzt können wir es vielleicht im Mai spielen. Ich bin froh, wenn ich noch ein wenig Zeit habe. Im Lockdown habe ich fast gar nicht schreiben mögen. Ich bin daran, die koreanische Schrift zu lernen, einfach so als Gehirnjogging. Ich musste einfach etwas anderes machen.
Was gibt es sonst für Projekte?
Ich schreibe ein Trompetenkonzert, «Icaros», das im Juni von Simon Höfele und vom Orchester I Tempi uraufgeführt werden soll. Höfele ist ein fantastischer junger Trompeter, der keine Limiten kennt, was ich natürlich nach Strich und Faden ausnützen werde. Ich schreibe sowieso am liebsten an den Grenzen des jeweiligen Instruments, aber so, dass es immer noch spielbar ist.
Radio
Winkelman, Liebermann, Brahms
Do, 11.2., 20.00 SRF 2 Kultur
Das Sinfonieorchester Basel unter Ivor Bolton spielt:
Rolf Liebermann: Geigy Festival Concerto
Helena Winkelman: «Gemini» (Uraufführung)
Johannes Brahms: Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 68
Radio und TV online
Das Konzert kann bis sieben Tage nach Sendetermin
nachgehört werden: www.srf.ch