kulturtipp: Zakhar Bron, ich habe noch nie einen Lehrer gesehen, der so wenig über Musik redet und so viel selber auf dem Instrument vorzeigt – das Geheimnis Ihres Erfolgs?
Zakhar Bron: Ich habe selbst grosse Geiger als Lehrer gehabt wie Igor Oistrach. Und ich selbst bin nicht bloss Lehrer, sondern auch Geiger. Wie könnte ich als Schüler einem Pädagogen glauben, wenn er etwas nur behauptet und nicht beweist?
Ihre Interpretation überträgt sich auf diese Weise. Fürchten Sie nicht, Ideen eines Schülers dadurch zu verdrängen?
Jeder, der lernt, kopiert gewisse Dinge seiner Lehrer, jedenfalls zeitweise. Erst mit den eigenen Erfahrungen kommt ein Musiker auf seine eigenen Interpretationen. Bei einem Kind von neun oder zehn Jahren ist das alles Spiel und Nachahmen. Aber mit 16 oder 17 muss die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit einsetzen. In diesem Alter muss die technische Basis schon gelegt sein, sonst ist es zu spät. Die Pianisten schimpfen immer mit mir, wenn ich das sage, aber für die Geige ist der Ton nicht vorproduziert. Es ist etwas vom Elementarsten, diese Tonqualität und die Kontrolle darüber zu lernen. Auch ein Zehnjähriger lernt viele Elemente der künstlerischen Phrasierung und das muss so sein. Aber woher soll er das haben, wenn nicht von seinem Lehrer?
Was tun Sie als Lehrer, um die Entwicklung eigenständiger Erfahrungen zu fördern?
Ich habe nichts dagegen, wenn ein begabter junger Mensch
Ideen mitbringt. Manchmal gebe ich selber Varianten für gewisse Stücke mit und lasse dem Schüler die Wahl. Ich muss ihm auch beibringen, wie er selber auf solche Varianten kommt und ein Gefühl für ihre Qualität entwickelt. Wenn ein Schüler mit Ideen zu mir kommt, dann will ich nichts weiter als eine gute Begründung dafür. Was nicht geht, ist heute so und morgen anders. Aber mein Ziel ist immer, den Schüler eine eigene Persönlichkeit entwickeln zu lassen. Vergleichen Sie doch die russischen Violinisten Maxim Vengerov und Vadim Repin: Beide waren von klein auf bei mir, beide haben dieselben Übungen gemacht. Beide wurden zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten und Geiger.
Was braucht es für eine solche Karriere?
Begabung und Fleiss. Aber auch ein bisschen Glück gehört dazu. Und gute Beziehungen sind nötig, so läuft das überall – wieso sollte es in der Musik anders sein? Wichtig ist auch die Gesundheit. Und noch etwas: Kluge Eltern mit Engagement, die Vertrauen in ihr Kind wie in den Lehrer haben.
Können Sie bei einem Zehnjährigen schon sagen, ob er eine Weltkarriere machen wird?
Nein. Zu viele Elemente spielen eine Rolle. Auch Sie als Journalist gehören dazu. Diese Teenies spielen im Konzert und die Kritiker jubeln sie in den Himmel. Was soll ich da noch sagen? Wenn ich mehr verlange, kommen sie mir mit diesen Kritiken: Bitte, Herr Professor, das Publikum ist doch begeistert! Wir haben so tolle junge Geiger. Warum freuen wir uns nicht einfach darüber, wie toll und wie verschieden sie sind? Bei jedem Jungen sagt man: Der neue Vengerov, die neue Mutter. Aber jeder ist sich selbst, sonst wird er bestimmt kein grosser Geiger.
Zum Thema Wettbewerbe: Wie stehen Sie dazu?
Wettbewerbe sind eine zwiespältige Sache: Einer wird Erster, ein anderer muss Zweiter sein. Andererseits sehe ich keine andere, wirklich passable Möglichkeit für junge Solisten, mit der Anspannung und der Herausforderung als Solist vertraut zu werden. Für eine gewisse Stufe der Entwicklung sind Wettbewerbe wichtig. Aber ich sage immer: Ein Wettbewerb ist eine Entscheidung für heute, gefällt von einer bestimmten Jury. Das bedeutet wenig für ein anderes Publikum und für die Zukunft.
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Zakhar Bron Chamber
Impressions
(Ars Produktion 2013).
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