«Bitte leise, CD-Aufnahmen», ermahnt ein Schild bei der ersten Konzertsaal-Pforte. Am Ende der schönen Eingangshalle heisst es ultimativ: «Stopp, kein Durchgang, CD-Aufnahmen.» Umso verblüffender dann, dass trotz der Warnung im Sperrgebiet der Zürcher Tonhalle heitere Stimmung herrscht.
Im improvisierten Produktionsraum hat nämlich der Assistent den Kohlensäure-Gehalt einer Rivella-Flasche so sehr unterschätzt, dass die Partitur von Franz Schuberts 4. Sinfonie erst mal gereinigt werden muss. Die lachenden CD-Produzenten Simon Eadon und Chris Hazell erzählen die Geschichte brühwarm dem Chefdirigenten David Zinman. Als dieser dann nach dem Intermezzo im Aufnahmezimmer vor dem Orchester im grossen Saal einen «sprudelnden Klang» verlangt, lachen im Aufnahmezimmer alle nochmals auf.
Würdiger Abschluss
Heiter ist die Stimmung und gross die Anspannung, denn das Zürcher Orchester wagt sich unter David Zinman zum letzten Mal an ein grosses CD-Projekt. Was in den 90ern mit den Sinfonien von Ludwig van Beethoven sowohl bei der Kritik wie beim Publikum triumphal begann, soll nun einen würdigen Abschluss finden. CDs sind für das Orchester ein Prestigeobjekt, stärken das Selbstvertrauen, ja, im Ausland gibt es kaum eine bessere Visitenkarte. Für manche Tonhalle-Tournee dürften die CDs Türen geöffnet haben. Nach Beethoven kamen Mozarts Violinkonzerte, Schumanns Sinfonien, sinfonische Dichtungen von Richard Strauss, Mahlers zehn Sinfonien sowie jene vier von Brahms hinzu. Und nun erscheint mit den acht Sinfonien Franz Schuberts noch ein viel gehörter, oft eingespielter Klassiker. «Es kommt gut», weiss der legendäre Produzent Chris Hazell schon jetzt in eigener Sache. «Das Orchester ist top.»
Hazells Präsenz treibt die Zürcher Musiker geradezu an. Der Hochdruck ist förmlich zu spüren. Doch wer dem Produzenten über die Schulter schaut, merkt schnell, dass der Weg vom schönen Konzert zur tollen CD weit ist. In der Vorwoche der Aufnahmesitzungen spielte man die Sinfonien Nr. 3 und Nr. 4 vor
Publikum. Sowohl NZZ wie «Tages-Anzeiger» erfreuten sich zwar an lebendigen Tempi, am «drängenden Taumel», hörten aber auch verwischte Einsätze und Unschärfen. Und als im Februar in der DRS-2-Radiosendung «Diskothek im 2» die bereits vorliegende Aufnahme der 7. Sinfonie diskutiert wurde, flog sie in der ersten Runde bereits raus. «Zu statisch», hiess es da.
Die 7. Sinfonie ist im Kasten, jetzt gehts an die Nr. 4 und
Nr. 3. Hazell weiss, wie es nun tönen soll, singt die Einleitung, noch ehe Dirigent Zinman den Stab hebt. Kaum hat er es tatsächlich getan, ist schon Schluss. «Uups!», kommentiert Hazell die intonatorische Entgleisung im Aufnahmezimmer laut. Nach einem Knopfdruck sagt er über Mikrofon in den Saal kurz und deutlich: «Nochmals!»
Ohr als Hauptakteur
Ein Bildschirm und zwei Boxen verbinden die drei Produzenten mit dem Orchester – und unzähligen akustischen Signalen. Doch Hauptakteur ist nicht die Technik, sondern Hazells Ohr. Nichts scheint ihm zu entgehen. «Hast du das kleine Crescendo in Takt 308 gemacht, David?» Die Antwort des Dirigenten ist zwar ein nicht eben freundliches «Ja», aber das nächste Mal wird das Crescendo deutlicher klingen. Sagt Hazell an einer heiklen Stelle für einmal nichts, fragt der Dirigent auch mal etwas unsicher: «Was brauchst du, Chris? Es tönt, als ob die Bläser drücken.»
Wenig später sind die Rollen umgekehrt: «Ich kann das Diminuendo nicht hören!», sagt der Produzent, worauf der Dirigent antwortet: «Ich mache auch keines.» Bei allem Ernst ist immer etwas Spass dabei. Wird mal eine Stelle eine Spur lauter als vorgegeben gespielt, meint Hazell trocken: «Betrügen gehört zum Spiel.» Und als er einwirft: «Jemand eilt!», antwortet Zinman lächelnd: «Wahrscheinlich ich.»
Hazell klinkt sich allerdings auch mal aus, wenn Zinman dem Orchester erklärt, was er auf welche Art gespielt hören will. «Das geht mich nichts an. Ich muss nur zuhören und sagen, wie das Resultat ist.»
Dieses «nur» ist ein kolossales Understatement, macht Hazells Arbeit zu klein. Denn er ist eine Art zweiter Dirigent. Davon will er aber nichts hören, sondern entgegnet lächelnd: «Dirigieren ist nicht mein Job. Ich bin zufrieden so. Ich bin Davids Ohr. Er soll Musik machen, ich genau hinhören.» Zinmans Vertrauen ist bewundernswert. Kein Wunder: Hazell weiss immer, woran es gerade fehlt. Und vor allem: Er kann auch erklären, was nicht gut ist. 1973 begann Hazell bei Decca seine Karriere. Seither hat er mit allen grossen Dirigenten Aufnahmen gemacht.
Menschliches spielt mit
Trotz des Duos Hazell/Zinman und des Top-Orchesters: Der Erfolg ist nicht garantiert. Denn Menschliches spielt mit hinein. Die ersten zwei Stunden am Morgen seien nicht so gut gewesen – die Musiker sind aus dem Wochenende gekommen und hatten sechs Monate keine Aufnahmen gemacht. «Aber die wissen schon, wies geht, sie können ihre Probleme selber lösen. Jetzt am Abend fliesst alles.»
Skurril wird die Szene, wenn «Ambiente» eingefangen werden muss. Dann heisst es, für die tonfreien Momente auf der CD zu schweigen. Hazell lächelt zum Assistenten: «Jetzt lassen wir sie eine halbe Stunde so sitzen und gehen ein Bier trinken!», kaum gesagt, bedankt er sich artig beim erlösten Orchester fürs Schweigen.
Wir haben genug gehört, besprechen im Vorzimmer mit der Marketing-Frau zwei, drei Details wegen der Bilder, worauf wir prompt scharf ermahnt werden, leise zu sein …
[CD]
Tonhalle-Orchester Zürich/David Zinman
Sinfonien Nrn. 1/2
(RCA/Sony 2012).
[/CD]
[CD]
Tonhalle-Orchester Zürich/David Zinman
Sinfonie Nr. 7
(RCA/Sony 2012).
[/CD]