kulturtipp: Wer sich über die Lenzburgiade informiert, stutzt: Beginnt das Festival nun am 19. oder am 21. Juni?
Oliver Schnyder: Die beiden Eröffnungskonzerte finden am 21. Juni statt. Zwei Tage vorher bieten wir als Prolog einen Zapfenstreich. Auf einem musikalischen Spaziergang durch die Stadt und hinauf aufs Schloss kann auf Schritt und Tritt ein Minifestival im gemütlichen Schnelldurchlauf erlebt werden.
Wie würden Sie die Festivalausgabe 2022 charakterisieren?
Unser Festivalmotto lautet seit der ersten Ausgabe «Klassik und Folk». Wir bemühen uns, der Erwartungshaltung an stilistische Vielfalt in jedem einzelnen Programm gerecht zu werden. Paradoxerweise kann die so definierte musikalische Breite wiederum eine Begrenzung darstellen. Wir nehmen mit einigem Gefallen zur Kenntnis, dass Genregrenzen im Schlepptau gesellschaftspolitischer Umwälzungen um Themen wie Identität, Diversität und exklusionsfreiem Konsens zunehmend verwischen und sich auflösen. Meine Frau, die Geigerin Fränzi Frick, und ich planen seit unserem Antritt mit dem Argument, dass sämtliche qualitativ hochstehende Musik eines Tages «klassisch» wird und ihre Wurzeln gleichsam in der «Volksmusik» hat. So tummeln sich – und ich benutze hier zum besseren Verständnis die herkömmlichen Etiketten – in unseren Programmen klassische Musik, Folk, World, Jazz, Pop, Rock, Schlager und vieles mehr.
Wie sind die Aufgaben zwischen Ihrer Frau und Ihnen aufgeteilt?
Sie sind nicht streng aufgeteilt, wir ergänzen uns auf spielerische Weise. Fränzi ist die umsichtige Macherin und ein wahres Organisationsgenie. Ich bin eher der strategische Netzwerker. Sie ist eher Innenministerin, ich eher Aussenminister.
Wie bringen Sie sich als Co-Leiter in Ihr Festival ein? Oder anders gefragt: Wie wollen Sie sich als Pianist einbringen?
Ich bin als Co-Intendant für die Programme und die Musiker-Engagements mitverantwortlich. Dabei bringe ich das Gewicht meiner Erfahrungen und meines Netzwerks ein. Meine Frau und ich geben dem Festival ein Gesicht, begrüssen das Publikum und nehmen ihm den Puls. Und wir treten – möglichst massvoll – selber auf. Bei aller Bescheidenheit: Die Konzerte, in denen meine Frau und ich selber auf der Bühne stehen, sind stets sehr gefragt. Mag sein, dass hier die Faktoren «Aargauer und Aargauerin» und «Heimspiel» eine Rolle spielen. Andererseits muss ich ehrlicherweise sagen: Unsere eigenen Auftritte sparen uns Geld und geben uns einen etwas grösseren finanziellen Spielraum.
2022 treten Sie einmal vierhändig mit Lise de la Salle auf, ein anderes Mal mit Ihrem Trio und Tenor Daniel Behle. Warum sollte man keinen der Auftritte verpassen?
Beide Abende gibt es in dieser Zusammenstellung nur an der Lenzburgiade. Einmal und nie wieder. Sämtliche Lenzburgiade-Programme sind handverlesen und durchkuratiert. Jeder Programmpunkt ist ein Solitär. Und so kuratieren wir gewissermassen auch das Dilemma der Qual der Wahl. Es darf ruhig etwas wehtun, das eine zugunsten des anderen zu verpassen.
Die Lenzburgiade ist ein Open-Air-Festival. Inwiefern lenkt das die Programmgestaltung?
Seit 2021 sind wir dank überdachten Bühnen ein reines Open-Air-Festival. Auf unsere Programmgestaltung hat dies keinen Einfluss, denn dank unserem langjährigen Veranstaltungstechnikpartner müssen wir draussen keine akustischen Abstriche machen.
Ende Juni finden drei Aargauer Festivals gleichzeitig statt: der Boswiler Sommer, das Solsberg Festival und die Lenzburgiade. Haben Sie keine Angst, dass man sich gegenseitig das Publikum wegnimmt?
Starke Konkurrenz schafft – ob gewollt oder ungewollt – auch synergetische Effekte. Als Veranstalter schwimme ich lieber auf einem kulturellen Überangebot, als dass ich den einsamen Rufer in der Kulturwüste spiele.
Nach den zwei Coronajahren ist nach wie vor eine Zurückhaltung beim Publikum zu beobachten: Wie viele Besucher haben die zwei Jahre den Klassikbetrieb gekostet?
Das beobachten wir leider auch. Das Publikum hat sich daran gewöhnt, kurzfristiger zu entscheiden und sich mit einem Ticketkauf nicht langfristig den Kalender zu blockieren, nur um schliesslich zu erfahren, dass die Karte durch eine Virusmutation Makulatur geworden ist. Wir können das Zögern des Publikums gut nachvollziehen. Nun ist es an uns allen, neues Vertrauen zu wecken und mit unverwechselbaren Angeboten einen neuen Imperativ für das Liveerlebnis zu schaffen. Dazu brauchen wir wohl oder übel einen etwas längeren Atem. Und ein wenig Zuversicht.
Kaum ist die Lenzburgiade vorbei, gehts nach Ernen: Sie spielen mit dem Oliver Schnyder Trio in drei Tagen sieben Konzerte.
Wir sind Wiederholungstäter, spielen das Format «Kammermusik kompakt» nach 2014 bereits zum zweiten Mal. 2019 spielte ich in Ernen zudem ein «Klavier kompakt»-Programm. Nach dem Schlusskonzert am 3. Juli werde ich dann sagen können, dass Ernen mit exakt 20 Schnyder-Konzerten einen inoffiziellen Weltrekord hält …
Konzerte
Lenzburgiade mit Zapfenstreich
So, 19.6. & Di, 21.6.–So, 26.6. Schloss Lenzburg AG
www.lenzburgiade.ch
Musikdorf Ernen
Fr, 1.7.–So, 3.7.
Das Oliver Schnyder Trio spielt anlässlich von «Kammermusik kompakt» sieben Konzerte
www.musikdorf.ch
CDs
Richard Strauss
Unerhört
(Prospero 2021)
Ludwig van Beethoven
The Piano Trios
(Sony 2017)
Oliver Schnyder
1973 in Brugg geboren, studierte Oliver Schnyder in der Schweiz und in den USA. Seine intensive Konzerttätigkeit führt ihn als Solist mit führenden Orchestern und als Kammermusiker (Oliver Schnyder Trio) in die wichtigsten Konzertsäle Europas, Nordamerikas und Asiens. Zahlreiche Schallplattenproduktionen dokumentieren sein Schaffen. Schnyder ist Mitbegründer und künstlerischer Leiter des Klavierzyklus «Piano District» in Baden AG, Co-Intendant der Lenzburgiade sowie Künstlerischer Leiter des Kulturzentrums La Prairie in Bellmund BE.
www.oliverschnyder.com