Basel ist eine Kunststadt, aber Basel ist vor allem auch eine Musikstadt: Gleich vier städtische Orchester spielen international in höchsten Tönen mit. La Cetra ist spezialisiert auf Barock und die Basel Sinfonietta auf Neue Musik, das Kammerorchester Basel ist der wendige Alleskönner, und das Sinfonieorchester Basel spielt Oper und konzentriert sich auf grosssinfonische Werke.
Wer all diese Orchester hört, ist Aussenstehenden ein Rätsel. Oder wie wäre es in Zürich, wenn da neben dem Dampfer Tonhalle-Orchester auch noch ein Top-Barockorchester die Tonhalle belegen, ein Spitzenorchester für Neue Musik Präsenz zeigen würde und das Zürcher Kammerorchester keine One-Man-Show wäre, sondern nacheinander Solisten wie Igor Levit, Sol Gabetta, Fazil Say und Maria João Pires auftreten liesse?
«Wir sind für die Stadt Basel da»
Hans-Georg Hofmann, künstlerischer Direktor des Sinfonieorchesters Basel (SOB), lächelt beim Gespräch über diese Fantastereien. Der eine Grund für die Nonchalance liegt in der Unterschiedlichkeit der vier Basler Toporchester: Man konkurrenziert sich nicht, hat sogar eigene Konzertorte. Und wenn man vorlaut ein «Aber» einfügen will, erwähnt er den Leistungsauftrag: «Wir sind das Orchester der Stadt Basel, sind für die Stadt da.»
Das ist mit vielen Leistungen bis hin zur Musikvermittlung verbunden. Die wichtigste aber ist das Mittun im Theater: Das Sinfonieorchester Basel ist auch ein Opernorchester, die Musiker sitzen an knapp 70 Abenden im Orchestergraben.
Anders gesagt: Die Basler führen ihr Eigenleben recht vergnügt, ohne dauernd an Exzellenz und den nächsten Tour- neeort zu denken. Noch schöner wird das Bild, wenn man bedenkt, dass das Sinfonieorchester einen der drei prunkvollsten, besucherfreundlichsten und akus- tisch besten Säle der Schweiz bespielt.
Nach der 2020 beendeten Renovation, bei der die Architekten Herzog & de Meuron das Stadtcasino mit poppigen Pinselstrichen verzauberten, mehr als je zuvor. Spielen andere die üblichen Klassiker zum Saisonbeginn, war es in Basel Musik von Lili Boulanger, Ralph Vaughan Williams und Franz Liszt – zwei Komponisten und eine Komponistin, die es anderswo die ganze Saison nicht ins Repertoire schaffen.
Hans-Georg Hofmann sagt dazu: «Das Eröffnungskonzert sollte nun mal ein Statement sein, das auch die Fussballlänge, diese zweimal 45 Minuten, sprengt.» Liszts gigantische Faust-Sinfonie war ein Herzenswunsch von Chefdirigent Ivor Bolton.
An möglichen Dirigentenkandidaten fehlt es nicht
Bei aller Freude ist man in einer Phase der Veränderung. Oder eher einer möglichen Neuorientierung? Das SOB ist auf Brautbeziehungsweise Bräutigam-Schau, will bald einen neuen Chefdirigenten oder eine neue Chefdirigentin. Und da hört man sich die Gastdirigenten, diese möglichen Kandidaten, genauer an. Etwa den Polen Krzysztof Urbanski (* 1982).
Viel gefragt, lausbubenhaft gekämmt und am Pult ein Energiebündel mit Präzisionsanspruch: Ein Dirigent, der eine Stadt mitreissen könnte. Am 1. Juni war er im Stadtcasino, zeigte unter anderem mit Modest Mussorgskis «Bilder einer Ausstellung», wie nah ihm das Orchester schon ist. Jetzt kommt er wieder, dirigiert das Programm «Cello on the Rocks»: Zu hören ist als Schweizer Erstaufführung das Cellokonzert von Anders Hillborg (* 1954), danach Dmitri Schostakowitschs 10. Sinfonie von 1953. Hillborg ist der schillernde Basler Composer in Residence. Der Schwede kommt aus der elektronischen Musik, komponierte bereits für den Film, ja, auch Popmusik, und fand dank den Werken von György Ligeti zur klassischen Orchestermusik.
Ein Damoklesschwert schwebt über den Köpfen
Auf dem Basler Dirigenten-karussell, sogar in sehr guter Position, ist auch der Münchner Markus Poschner (* 1971): Er debütierte und triumphierte im Sommer in Bayreuth und leistet beim Orchestra della Svizzera Italiana eine hervorragende Arbeit. Bei allem Sonnenschein, den ein solches Dirigentenkaliber bald verbreiten könnte, ist da auch ein Damoklesschwert: die Initiative der IG Musik Basel. Sie verlangt, dass freie Musikschaffende künftig mindestens ein Drittel des Musikförderbudgets des Kantons Basel-Stadt erhalten sollen.
Ein radikaler Schnitt, gehen jährlich doch über 95 Prozent der Gelder in die Kassen der Institutionen, allen voran an die Klassik. Es wäre der Beginn einer Lawine, die auch das Musikleben in Zürich, Luzern und St. Gallen verändern würde. Die Initiative zeigt, dass den klassischen Institutionen schweiz- weit ein rauer Wind entgegenweht, dass nichts mehr gottoder stadtgegeben ist.
Noch spielt die Musik. Und dank der «World Orchestras»-Serie des Basler Konzertorganisators AMG gibt es auch eine internationale und nationale Orchesterkonkurrenz in der Stadt. Via gute alte CD misst sich das SOB ebenfalls mit den andern. Man rühmt sich gar, Albenpreise zu erhalten. Auch via Spotify erreicht das Orchester 60 000 Hörerinnen und Hörer monatlich – ein Zeichen, dass die tollen Raritäten von Gabriel Fauré oder Charles Koechlin auf Anklang stossen.
Und im September hatte man das Album der Stunde im Angebot, hatte das SOB doch zusammen mit anderen Werken die «Gloriana-Suite » von Benjamin Britten auf den Markt gebracht: Die Suite beruht auf der gleichnamigen Oper, die Britten als Auftragswerk für die Krönung von Königin Elisabeth II. schrieb. Die 89. Einspielung von Tschaikowskys 4. Sinfonie überlässt Hofmann anderen.
An den Foyerbars gibts Bier und Brezel
Wer an den eleganten Foyerbars im Stadtcasino ein Bier und eine Brezel bestellt, wird an die ungezwungenen Tage in der Zürcher Maag erinnert, an die Ausweichspielstätte der Ton- halle, als Zürcher Konzerte so selbstverständlich wie der Gang in den Biergarten waren. Utopie, gewiss. Klassik muss nicht selbstverständlich wie Biertrinken sein. Aber das Augenzwinkern, mit dem das Stadtcasino aufgepeppt wurde, tut ihr gut.
Der Versuch des Sinfonieorchesters Basel, diese optischen Ideen in Klang und Gesten umzusetzen, ist erfrischend. Beim nächsten Kunstausflug nach Basel sollte man daran denken.
CDs des Sinfonieorchesters Basel
Benjamin Britten - Our Hunting Fathers
Quatre Chansons françaises Symphonic Suite from Gloriana (Prospero Classical 2022)
Charles Koechlin - The Seven Stars’
Symphony op. 132 (Capriccio 2022)
Konzert
SOB mit Dirigent Krzysztof Urbanski
Mi/Do, 23.11./24.11., 19.30, Stadtcasino Basel