kulturtipp: Kai Bumann, Sie sind ein erfahrener Dirigent. Was reizt Sie an der Arbeit mit einem Jugendorchester, bei dem Sie mit jedem Programm wieder mit neuen Musikern von vorne anfangen müssen?
Kai Bumann: Es ist ein Kontrapunkt zu meiner sonstigen Arbeit. Man braucht mehr Geduld, aber kommt manchmal auch zu enormen Ergebnissen. Die jungen Musiker strahlen eine Entdeckerfreude aus, die auch auf mich selber übergeht. Ich lese manche Werke, die ich seit Jahren kenne, wieder ganz neu. Und es ist schön, diese grosse Lust und Freude zu spüren, die im Alltag eines Berufsorchesters doch manchmal nicht so vorhanden ist.
Gerade wenn Sie mit einem Stück wie Beethovens Fünfter kommen.
Ja, das haben die Profis oft schon zehnmal gespielt. Beim SJSO begegnen fast alle Musiker solch viel gespielten Stücken zum ersten Mal und zeigen grosses Interesse auch am Umfeld dieser Werke. Sie erfahren, wie man einen Orchesterklang aufbaut, wie man lernt, aufeinander zu hören. Das braucht mehr Zeit als bei den Profis, aber sie lernen schnell, es herrscht eine positive Energie, und oft geht es auch sehr lustig zu bei den Proben.
Wie weit kann man mit einem Orchester in dieser Konstellation kommen? Was ist schwierig zu erreichen?
Die grösste Herausforderung ist die klangliche Balance, die manchmal nicht so gut gelingt. Es fehlt an Erfahrung, es fehlt an Kraft. Manchmal setzen zudem technische Barrieren gerade bei den Blasinstrumenten Limiten, manchmal fehlt die Zeit, alle auf dasselbe Niveau zu bringen. Ein Orchester ist so gut wie das schwächste Glied. Das muss man akzeptieren und versuchen, Sicherheit zu geben, damit das Resultat dennoch überzeugend wird.
Sie monieren fehlende Kraft bei Jugendlichen, das erstaunt.
Schauen Sie sich unsere 16 ersten Geigen an: Da spielen viele junge Frauen. Da fehlt wirklich rein physisch manchmal die Kraft, dazu kommen Vorsicht und Zurückhaltung. Aber vor allem fehlt die Erfahrung, wie man als Orchester einen satten Klang produziert. Das Blech macht schon Krach, wenn man das braucht. Je besser die Orchester aber sind, desto weniger heisst laut spielen auch rau spielen. Aber dafür bekommt man anderes: Das SJSO spielt leiser, fragiler als viele Orchester. Die Bereitschaft, an Grenzen zu gehen, ist grösser, weil es noch nicht um alles geht, weil es kein Renommee zu verteidigen gibt. Bei Berufsorchestern ist oft ein Sicherheitsnetz quasi eingebaut.
Unterscheidet sich die Sprache Ihrer Anweisungen beim Jugendorchester von derjenigen bei den Profis?
Ich rede sicher mehr. Je besser das Orchester ist, desto weniger muss man sagen. Ab einem gewissen Niveau ist es möglich, aus dem Moment heraus frei zu musizieren. Beim Jugendorchester könnte ich mir aber nicht erlauben, eine Passage völlig anders zu dirigieren als in den Proben.
Sind Sie beim SJSO mehr Moderator und Psychologe als sonst?
Das ist man als Dirigent sowieso. Meine Frau ist Orchestermusikerin und sagt: Ein Dirigent hat vier Berufe: Musiker, Psychologe, Pädagoge und Diplomat. Und diese Mechanismen sind bei Berufs- und Jugendorchestern eigentlich genau dieselben.
Gibt es ein Repertoire, das für ein Jugendorchester besonders geeignet ist?
Das hängt vom Niveau ab. Immer schwer ist Mozart oder Haydn, das meide ich nach Möglichkeit. Diese Musik ist so heikel, dem müssen wir uns nicht aussetzen. Am meisten mögen die Musiker das spätromantische, schwere Repertoire wie Mahler, Richard Strauss, Schostakowitsch und ein bisschen Strawinsky. Und das funktioniert meistens erstaunlich gut.
Im aktuellen Programm haben Sie auch ein Bassposaunen-Konzert von Daniel Schnyder. Geht Rhythmus-betonte Musik leichter mit den Jungen?
Eher schwerer. Vor allem, weil im Zusammenspiel die Erfahrung fehlt. Rhythmische Stabilität, die bei Profis automatisch herrscht, stellt sich nicht ohne Weiteres ein. Im Orchester herrschen andere Regeln, manchmal heisst es einfach: Geradeaus durch, daran muss man sich auch gewöhnen. Wir werden das Schnyder-Konzert sicher hinbekommen, aber wir werden es oft proben müssen, damit sich die nötige Sicherheit einstellt.
Wie wählen Sie die Programme aus?
Es gibt eine Musikkommission aus dem Orchester, es gibt periodisch eine Hitliste, in die jedes Mitglied Favoriten eintragen kann. Der Stiftungsrat denkt bisweilen auch ans Publikum, von den Veranstaltern kommen Wünsche. Daraus mache ich Programme und schlage sie der Kommission vor. Aber es ist klar, das Orchester muss die Stücke spielen wollen, sonst macht es keinen Sinn. Das SJSO ist für mich keine Plattform, um meine Träume auszuleben.
Was wären denn Ihre persönlichen Träume?
Ich hatte das Glück, fast alles, was mir am Herz liegt, machen zu können. Und über die wenigen Wünsche, die bisher nicht erfüllt worden sind, rede ich bewusst nicht.
Die SJSO-Tournee
Fr, 24.10., 19.30 St. Johann Schaffhausen
So, 26.10., 11.00 Stadtcasino Basel
So, 26.10., 17.00 Temple Farel La Chaux-de-Fonds NE
Mi, 29.10., 19.30 Tonhalle Zürich
So, 2.11., 11.00 KulturCasino Bern
So, 9.11., 17.00 Casino Frauenfeld
So, 16.11., 17.00 Mittenza Muttenz BL
Programm
Carl Maria von Weber:
Ouvertüre zur Oper «Der Freischütz»
Daniel Schnyder:
Bassposaunenkonzert «Subzero»
Ludwig von Beethoven:
Sinfonie Nr. 5 op. 67
Solist: Domenico Catalano, Leitung: Kai Bumann