Die Bewunderung alter Musikerinnen und Musiker hat nicht immer etwas mit der musikalischen Leistung gemein. Die Person an sich fasziniert: ihre Aura, Ausstrahlung und ihr Lebenswerk – bisweilen auch die Zerbrechlichkeit. Als allerdings Daniel Barenboim beim Lucerne Festival diesen Sommer sichtlich greis und krank vor dem West Eastern Divan Orchestra im KKL stand, konnte von Dirigieren nicht mehr die Rede sein. Noch trauriger war es, im Oktober den einst bewunderten und verehrten Pianisten Maurizio Pollini in der Zürcher Tonhalle zu erleben:

Ein verwirrter, pianistisch miserabler Pollini war da zu sehen. Doch es gibt Ausnahmen – und die sind weiblich. Wie wunderbar war es, im Sommer Maria João Pires am Lucerne Festival zu hören! Auch sie sollte nun am Klavierfestival spielen, leider musste diese dritte Grande Dame aber kurzfristig absagen. An ihrer Stelle spielt Mikhail Pletnev das Eröffnungskonzert.

Nicht fern ist auch die Erinnerung an Martha Argerich am Klavierfest 2023, ebenfalls im KKL: unglaublich die Spielfreude, grandios die Spielkunst. Über die neuen Aufnahmen von Elisabeth Leonskaja kann man ebenfalls nur staunen.

Früchte einer langen Zusammenarbeit

Am Klavierfestival des Luzerner Sinfonieorchesters treten nun also «nur» zwei Grandes Dames des Klaviers auf. Intendant Numa Bischof Ullmann brachte das Kunststück fertig. Zufall sei es nicht, sondern eher ein «erarbeitetes Glück», pflege das Sinfonieorchester doch seit Langem eine Zusammenarbeit mit den drei Pianistinnen: «Mit Martha Argerich hat unsere Institution in den letzten zwei Jahrzehnten zahlreiche Schlüsselmomente erleben dürfen.»

Ebenso gibt es lange Verbindungen mit Maria João Pires und mit Elisabeth Leonskaja. So nahm das Luzerner Sinfonieorchester im Frühling die Klavierkonzerte von Robert Schumann und Edvard Grieg mit Leonskaja auf. Daraus ergab sich der Wunsch einer Live-Aufführung.

Nun kann das Luzerner Sinfonieorchester das Album am Klavierfestival präsentierten, wie der Intendant sagt: «Dass diese drei grossen Damen des Klaviers nun beinahe am Klavierfest 2024 gemeinsam aufgetreten wären, kann als eine Frucht unseres über viele Jahre bestellten Klaviergartens gesehen werden.» Auf die Frage, was diese älteren Pianistinnen besser als die jungen können, weicht Bischof zuerst aus und sagt: «Sie sind Jahrhundertfiguren in der Klavierwelt.

Was für eine Chance fürs Publikum, gerade für die Jungen, sie einmal live zu hören!» Aber auch für die jungen Kolleginnen und Kollegen, die am Festival auftreten, seien solche Begegnungen inspirierend. Es gehe nicht nur ums Können, sondern auch «um das gesammelte Wissen, ihre Erfahrung und die Tradition». Martha Argerich habe in jungen Jahren ebenfalls Begegnungen mit Legenden wie Arthur Rubinstein, Annie Fischer und Friedrich Gulda gesucht, so Bischof.

«Das prägt und fördert. Wir hoffen, dass wir durch die Mitwirkung von Pianistinnen und Pianisten aller Generationen genau solche Momente ermöglichen.» Veranstalter sind froh, wenn sie Argerich einmal in fünf Jahren buchen können. In Luzern tritt sie innerhalb einer Woche sage und schreibe fünf Mal auf. Bischof ist stolz darauf. Partnerschaften entstünden im Dialog, sagt er: «Ich habe die Freude und das Privileg, mit Martha Argerich seit bald 20 Jahren in vertrauensvollem freundschaftlichen Austausch zu stehen.»

Einen Weltstar, der alles im Leben erreicht habe, könne man nicht einfach so gewinnen, schon gar nicht mit einem zusätzlichen Konzertangebot. «Aber wenn es gelingt, gemeinsam Ideen zu entwickeln, die Freude und Lust machen, kann genau das passieren, was wir jetzt erleben.» Etwas erstaunt schaut man allerdings auf den letzten, dreiteiligen Festivalabend: Ein junger Pianist spielt Liszt und eine Uraufführung, in der Mitte ist Schuberts «Winterreise» dran, und am Ende hat Martha Argerich eine Carte blanche.

Eine Überforderung? Der Intendant schüttelt den Kopf und sagt: «Ein Festival ist doch genau dafür da, ungewöhnliche Dinge zu erfahren, neuen Sichtweisen Raum zu geben und Grenzen auszuloten. Der Abend ist für mich einer der faszinierendsten und zeigt, wie ‹organisch›, also aus dem Inneren, wir solche Programme entwickeln.»

Am 20. Januar wartet etwas Besonders

Zuerst sei klar gewesen, dass man den «Totentanz» von Liszt aufführe. Dass Pianist MarcAndré Hamelin dazu noch ein neues Werk mit dem Titel «Hexensabbat» schrieb, so Bischof, hätte nicht passender sein können. Die «Winterreise» mit ihrem magischen «Leiermann im Delirium» sei der Hauptakt. Und dann eben «La Martha». Mit dem letzten von drei Werken nimmt sie gewissermassen den Anfangspunkt von Liszt nochmals auf.

Zuerst war das Programm der Carte blanche ein Geheimnis, nun, als Zückerchen oder als Trostpflästerchen wegen der Pires-Absage, kommunizierter Programmpunkt: Martha Argerich wird – was in den letzten Jahren äusserst selten passierte  – ein Werk solo aufführen und Bachs Partita Nr. 2 in cMoll spielen. Zusätzlich spielt sie mit langen Weggefährten Prokofjews «Symphonie Classique» und Maurice Ravels «La Valse» in Fassungen für zwei Klaviere.

Le Piano Symphonique
Di, 16.1.– So, 21.1., KKL, Lukaskirche und Schweizerhof Luzern
www.sinfonieorchester.ch