Das ist eine Ansage. Ein internationales Schweizer Klassikfestival macht nicht «Israel», «Italien» oder irgendetwas Abstraktes, ja Verrücktes zum Thema, sondern die Schweiz: ihre Orchester und ihre Komponisten. Kleinensembles, Solisten und Solistinnen und sieben Orchester sind beim Septembre Musical in die Kränze gekommen – locker hätten es auch zwölf sein können, ohne dass ein internationaler Besucher über die Qualität eines Orchesters viel geklagt hätte.
Unbändiger Wille zu originellen Programmen
Denn längst sind es nicht nur das Tonhalle-Orchester Zürich oder das Orchestre de la Suisse Romande, die in der Welt draussen oder zumindest über die Kantonsgrenzen hinaus gehört werden sollten: Die einen Orchester fallen immer wieder durch originelle Programme auf, wie etwas das Orchester des Theaters Biel Solothurn. Die anderen durch einen unbändigen Willen, mit den Grossen mitzuspielen, wie etwa das Luzerner Sinfonieorchester.
Mit dabei in Vevey und Montreux sind das Orchestra della Svizzera Italiana (OSI), das Sinfonieorchester Basel (SOB), das Kammerorchester Basel (KOB), die Camerata Bern, das Tonhalle- Orchester Zürich (TOZ), das Luzerner Sinfonieorchester (LSO) und naturgemäss das Orchestre de la Suisse Romande (OSR).
Kultur in der Gesellschaft fördern
Eine prächtige Auswahl, die der künstlerische Leiter Mischa Damev zusammengestellt hat. Es geht ihm mit dem ganzen Festival allerdings mehr als um schöne Musik, voller Pathos sagt er kämpferisch: «Meine Idee, die Schweizer Musikkultur in den Fokus des Septembre Musical 2021 zu rücken, wurde mir von den unzähligen Widrigkeiten der Pandemie auf unsere Kultur in der Schweiz förmlich durch eine schreiende Selbstverständlichkeit diktiert.»
Seit Beginn der Pandemie höre er immer öfter: «Wir Schweizer sind halt keine Kulturnation und deshalb fehlt sie uns auch nicht so sehr.» Das könne er nicht akzeptieren. «Meine Wahl für die Schweiz ist keine strategische oder taktische, sondern ein Aufschrei, ja eine Kampfansage gegen die schwindende Wertschätzung der Kultur. Ich bin mehr denn je von der Wichtigkeit der Kultur(en) in unserer Gesellschaft überzeugt und finde, dass man sich heute und nicht erst morgen mit allen Mitteln dafür einsetzen muss, auch wenn dies nicht allen Politikern und selbsternannten Influencern gefällt.»
Die Orchesterlandschaft kann sich sehen lassen
Dank dieser Ballung an Schweizer Orchestern wird klar, was da zwischen St. Gallen und Genf alles klingt. Plötzlich merkt man: Wer von Osten nach Südwesten fährt, muss jeweils kaum 30 Kilometer warten, bis er auf ein Orchester stösst, das sich mit geschwellter Brust der nächstliegenden Konkurrenz stellt. Die St. Galler sind für eine unglaublich grosse Region sinfonischer Grundversorger. Das Musikkollegium Winterthur ist im Aufwind, will wieder vermehrt zeigen, dass es zu den Grossen gehört. Und in Zürich herrscht dank Dirigent Paavo Järvi und Musikdirektor Daniel Hope ein befruchtender Wettkampf zwischen Tonhalle- und Zürcher Kammerorchester – das Philharmonia mit Gianandrea Noseda will da nicht klein beigeben. In Aarau erhält das Argovia Philharmonic Ende Oktober seinen neuen Top-Saal. Und das Luzerner Sinfonieorchester bekommt mit Michael Sanderling einen neuen Chefdirigenten. So geht diese Reise weiter via Bern und Lausanne nach Genf, nicht zu vergessen Lugano.
Wurden für das «Septmus», wie der Septembre Musical liebevoll genannt wird, die sieben besten Orchester ausgewählt? Kaum. Aber danach fragen wir nicht, auch wenn alle Schweizer Orchester nach Exzellenz beziehungsweise an irgendeine undefinierte Spitze streben. Nur so viel: Hätte Mischa Damev eine Hitparade angestrebt, hätte er wohl das Zürcher Kammerorchester mit seinem künstlerischen Leiter und «Hansdampf in allen Gassen», Daniel Hope, einladen müssen.
Und das Musikkollegium Winterthur mit dem neuen Chefdirigenten Roberto Gonzales-Monjas dazu? Schwierig zu sagen – und schwierig zu messen, auch wenn man einige Parameter hat: das Budget, die Anzahl Konzerte oder die der Abonnenten. Aber schon bei der Orchestergrösse kommen wir ins Absurde, da die Kammerorchester naturgemäss kleiner, ihre Reputation und die internationale Präsenz in Basel oder Zürich aber enorm gross sind. Selbst die kleine Camerata Bern ist dank der künstlerischen Leiterin Patricia Kopatchinskaja ein Ereignis – und überall in der weiten Klassikwelt gerne gesehen.
Auch mit Aufnahmen international präsent
In Sachen CD sind das Kammerorchester Basel und das Zürcher Kammerorchester überaus aktiv. Sowieso setzen sich die Schweizer Orchester erstaunlich oft ins Studio, archivieren ihr Können: Das Tonhalle-Orchester Zürich, das Luzerner Sinfonieorchester, das Orchestra della Svizzera Italiana und das Orchestre de la Suisse Romande zeigen noch und noch neue Aufnahmen, die international mithalten können.
Der Septembre Musical stellt nicht nur die sieben Orchester, sondern das ganze Schweizer Musikschaffen ins Zentrum. Gerade jetzt verdient es ganz besonders viel Aufmerksamkeit.
Septembre Musical Montreux/Vevey VD
Sa, 18.9.–Do, 30.9.
www.septmus.ch