Sebastian Bohren ist Weltklasse: Seine jüngsten Auftritte in der Dresdner Frauenkirche, in Budapest, Thessaloniki oder Timisoara oder mit dem Beethoven-Violinkonzert mit dem Luzerner Sinfonieorchester unter Michael Sanderling zeugen davon.
Sein Album mit Geigenkonzerten von Mozart wurde von den führenden Klassikrezensenten in Deutschland und England in den höchsten Tönen gelobt. Zu Beginn seiner Karriere profilierte er sich vor allem im barocken und im klassischen Repertoire, in letzter Zeit aber hat er sich auch mit
Aus der Konzertreihe wird ein Festival
Sebastian Bohren ist aber auch Aargauer mit Leib und Seele. Der 36-Jährige hat in seiner in Pendlerdistanz zu Basel, Zürich und Bern liegenden Stadt Brugg mitgeholfen, ein Gegengewicht zu den grossen Kulturzentren zu setzen. Seine Konzertreihe «Stretta Concerts» gibt es seit 2007, und jetzt wird ihr ein Festival an die Seite gestellt.
Seit Bohren in Zürich wohnt, radelt er wohl nicht mehr mit dem Velo zu den Konzerten. Näher hat es der Pianist Benjamin Engeli aus Aarau, der sehr gern Fahrrad fährt. Und sein Pianistenkollege Oliver Schnyder wohnt in Ennetbaden. Auch die Mitglieder des Stradivari-Quartetts oder der Chamber Artists (Chaarts) müssen keine Flüge buchen, um in Brugg zu spielen.
Hochkarätige Klassik garantiert
Die Klimabilanz des neuen Festivals dürfte mit den Musikern und Ensembles aus der Region ziemlich gut aussehen, selbst wenn der eine oder andere sich mit dem SUV in die stauberüchtigte Bahnhofskreuzung bei Brugg getraut.
Künstler aus der Nachbarschaft bedeutet aber keineswegs, dass man es beim Festival quasi mit Hauskonzerten zu tun hat. Schnyder, Engeli, Bohren: Das sind Namen von Solisten, die man weit über die Landesgrenzen hinaus kennt. Es zeigt, dass auch in der Aargauer «Provinz» hochkarätige Klassik zu Hause ist.
Das mag man in Zürich oder Basel noch nicht so umfassend realisiert haben, und auch deshalb engagiert sich Sebastian Bohren stark für die Region: Sein neues Festival ist nur einen Steinwurf vom Ziel entfernt, Brugg zu einem Schweizer Klassik-Hotspot zu machen.
Zielstrebig war Bohren schon immer. Zwar musste er als Junge von seinen Eltern noch mit Tricks und Ausdauer zum Üben angehalten werden. Sein Musiklehrer Markus Lehmann wurde dann aber sein grosses Vorbild. Sebastian beschloss, Konzertgeiger zu werden. Zürich war die logische Ausbildungsstätte, er studierte bei Jens Lohmann und Zakhar Bron – oder bei Igor Karsko in Luzern und Ingolf Turban in München.
Lange war auch der legendäre Hansheinz Schneeberger in Basel ein wichtiger Mentor, dem er immer wieder vorspielte und dessen Rat er einholte.
Akzente mit selten aufgeführten Werken
Zwar möchte Bohren sich in der Programmierung seines Festivals gern mit Repertoire-Raritäten, mit Neuer Musik und auch mit Musik aus der Region profilieren. Im ersten Jahr aber bleibt er noch vorsichtig und lockt das Publikum mit bekannter Klassik. So spielt er selber Vivaldis berühmte «Jahreszeiten» sowie Geigensonaten von Beethoven. Julia Hagen ist Solistin in einem Haydn-Cellokonzert, Konstantin Lifschitz interpretiert Bachs «Goldberg-Variationen», zur Eröffnung gibt es die Streicher-Serenade von Dvorák.
Aber das Programm weist auch spezielle Akzente auf: Die in der Schweiz lebende Saxofonistin Valentine Michaud spielt selten aufgeführte konzertante Werke von Glasunow und Frank Martin, oder der Klarinettist Reto Bieri bringt eines der atmosphärisch dichten Stücke des georgischen Komponisten Giya Kancheli mit.
Und sogar einen Komponisten aus Brugg kann Bohren präsentieren: Friedrich Theodor Fröhlich, der sich 1836 mit einem Sprung in die Aare das Leben nahm und dennoch in seinen 33 Lebensjahren über 700 Werke geschaffen hatte. Der Geiger Dmitry Smirnov aus Basel spielt zusammen mit Benjamin Engeli dessen Violin-Fantasie.
Diesen «Vitaminstoss» für Brugg, wie es Bohren nennt, hindert das Energiebündel aber kein bisschen daran, seine internationale Solistenkarriere weiter voranzutreiben. Die Fokussierung auf das Wesentliche sei eine seiner Stärken, sagt der Geiger.
Eine Eigenschaft, die er durch das jahrelange Engagement eines Mentaltrainers ausbaute: «Das hat mir geholfen, weniger Zeit mit unwichtigen Dingen zu verlieren.» Sich ständig zu verbessern sei sein Ziel, und er setzt sich auch gleich den Fahrplan dafür fest: «Ich denke, ich werde in zehn Jahren mein persönliches Maximum erreicht haben.»
Konsequente Vorbereitung und Erfahrung
Die Mischung aus Erfahrung und konsequenter Vorbereitung ist sein Erfolgsrezept. Einen wie ihn können kurzfristige Triumphe nicht blenden. Seine Vorbilder unter den grossen Geigern sind nicht die Virtuosenstars: «Ich bewundere Nathan Milstein und Yehudi Menuhin. Ihr ruhiges Stehen und das Konzentrieren auf die Musik hatte etwas sehr Edles.» Und Ida Haendel, eine der prägenden Geigerinnen des 20. Jahrhunderts, inspirierte Bohren zu seinem jüngsten Album «La Folia». Corellis berühmtes Geigenthema steht im Zentrum dieser Hommage. Sie verfolgt weitere Spuren dieser Melodie nicht nur in der Barockzeit, sondern auch bis weit ins 20.Jahrhundert, etwa bei Respighi oder Kreisler.
Brugg Festival
Sa, 2.9.–Sa, 9.9.
www.bruggfestival.ch
Stretta Concerts
www.strettaconcerts.com
Album
Sebastian Bohren
La Folia
Mit Chamber Artists
und Stringendo
Zürich (Avie 2022)