Kaum hat das Orchester die ersten Takte wundersam weich geschnurrt, unterbricht eine glas-klare Stimme die melancholische Heiterkeit: «Stopp! Ihr spielt langsamer als gestern. Nochmals ab Takt zwölf.» Und siehe da! Die Musikerinnen und Musiker wiederholen das kleine Klangwunder artig, diesmal eine Spur schneller. Für sie ist es Routine, als Beobachter aber fällt man beim Unterbruch aus dem siebten Himmel und landet in der Zürcher Kirche Oberstrass hart auf dem Ohr.
Als damals im März 2021 geprobt wurde, war man besonders feinfühlig geworden, war doch das erste Corona-Jahr gerade vorbei, die Aussichten auf Konzerte düster. Da erfreute jeder Live-Ton. Aber eben: Man hörte damals kein Konzert, sondern lauschte einer CD-Aufnahme, wo jeder Ton auf die Silberwaage gelegt wird. Und so war es denn sehr interessant, was diese glasklare Stimme für Einwände hatte. Aber da war bei aller Sympathie für die Musiker und Musikerinnen auch gleich klar, dass sie das Recht hatte und das Recht genoss, über den Kopf des Dirigenten hinweg den Daumen nach oben oder nach unten zu halten.
Das Urteil via Mikrofon aus gesundem Abstand
Die Hamburger Tonmeisterin Karola Parry wusste das exakt – und hat in ihrem Leben genügend Erfahrung gesammelt, um trotz Unerbittlichkeit auch in der Art einer Unparteiischen zu sprechen. Parry urteilte via Mikrofon aus gesundem Abstand, sass sie doch in ihrem mobilen Tonstudio draussen auf dem Kirchenvorplatz. Von dort sah und hörte sie jedes akustische Signal im Detail. Kaum war das Orchesterschnurren wieder im Gang, bat Parry die Oboen, exakter zu spielen. «Cool bleiben, Ruhe bewahren», beruhigte sie und sagte alsbald aufmunternd: «Da ist viel Gutes dabei.» Parry wusste mit Understatement zu spielen. Noch standen viel zu viele Aufnahme-Sitzungen an, als dass man die Wahrheit aussprechen konnte, die da lauten würde: «Das war gut!»
Damals spielte die Camerata Schweiz unter der Leitung des Dirigenten Howard Griffiths Mozarts 1. Violinkonzert wunderbar gelöst, der Geiger Stephen Waarts zeigte sich als Solist mutig verspielt, sogar eigene Kadenzen hatte er geschrieben. Waarts eröffnete vor einem Jahr ein Projekt, das nichts weniger als die Aufnahme sämtlicher Instrumentalkonzerte von Mozart beinhaltet: 34 Werke, auf 17 CDs verteilt. Es ist das grösste CD-Projekt in der 30-jährigen Geschichte von Orpheum, einer Stiftung, die die Förderung junger Solisten auf ihre Fahne geschrieben hat und für das Projekt Geld der Zürcher Stiftung «Eppur si muove» zur Verfügung hat. Möglichst viele unterschiedliche Musikerinnen und Musiker sollten im Laufe der langen Aufnahmezeit drankommen: Drei Hornisten waren allein für die vier Hornkonzerte ausgesucht, fünf Geiger gar für die fünf Violinkonzerte.
Chance auf dem Solistenmarkt erhöhen
In der ersten Aufnahme-Sitzung von achtmal drei Stunden standen Hornist Ivo Dudler (*1994), Pianist Can Çakmur (*1997) und Stephen Waarts (*1996) im Mittelpunkt – alle drei keine No-Names. Doch Orpheum-Geschäftsführer Thomas Pfiffner betont, dass man sich der Solistenförderung verschrieben habe: «Die Kandidaten müssen auch eine berechtigte Chance auf dem Solistenmarkt haben.» Anders gesagt: Sie müssen bewiesen haben, dass sie solistisch bestehen können.
Die CD-Idee entstand in der Coronazeit – und doch unabhängig davon. «Es war uns wichtig, den Musikern in dieser schwierigen Zeit etwas offerieren zu können», sagt Pfiffner. Er betont, dass die CD-Aufnahmen kein Ersatz für ausgefallene Konzerte seien. Im Sommer führte Howard Griffiths, langjähriger künstlerischer Leiter der Orpheum-Stiftung, das Projekt in Salzburg mit dem Mozarteum Orchester weiter, im Herbst in Wien mit dem Radiosinfonieorchester Wien.
Und der Dirigent schwärmt von dieser Zeit mit den vielen Musikern und Musikerinnen: «Es war ein sehr interessanter und spannender Gedankenaustausch. Alle waren gut vorbereitet. Jeder hatte eine persönliche Vorstellung von Mozart, und das wollte ich auch fördern.» Dennoch konnte nicht jeder so spielen, wie es ihm passte, verweist Griffiths doch darauf, dass Mozart bestimmte Parameter in Bezug auf Tempo, Phrasierung, Balance, Rubato und Klang verlange, besonders heikel sei etwa der Einsatz von Vibrato bei Streichersolisten und im Orchester. Doch Griffiths musste nur selten eingreifen, freut sich nun, dass man den individuellen musikalischen Charakter jedes Solisten hören und fühlen kann.
Genügend Zeit für die feinsten Details
Griffiths selbst musste sich allerdings auch anpassen, hatte er doch in der langen Aufnahmespanne mehrere Orchester vor sich. Entscheidend sei, dass am Ende mit allen ein transparenter Mozart-Klang entstanden sei. «Sicherlich war einer der Vorteile dieses Projekts die Zeit, die uns zur Verfügung stand, um mit grosser Sorgfalt die feinsten Details sowohl mit den Solisten als auch mit dem Orchester vorzubereiten.»
Konzert
Next Generation Mozart
Soloists
Sa 26.3., 19.30 Casino Bern
www.orpheum.ch
CD
W. A. Mozart
Concertos for Violin, Piano & Horn
(alpha 2022)
W. A. Mozart
Concertos for Violin, Bassoon & Piano
(alpha 2022)