Es war eine besondere Rückkehr für Francesco Piemontesi. Der Tessiner Pianist wuchs in Locarno in einem Umfeld auf, in welchem Konzertbesuche selbst verständlich waren, auch wenn niemand in der Familie eine Musikerlaufbahn eingeschlagen hatte. Erste Begegnungen mit den Sinfonien Beethovens oder dem Klavierspiel einer Alicia de Larrocha machte der Junge bei Konzerten der Settimane Musicali, die in Kirchen und Sälen in Ascona und Locarno stattfinden.
Seine Eltern hätten nie etwas forciert, sagt Piemontesi im Gespräch, er habe eine ganz normale Kindheit gehabt. Als nun mehr weltweit gefeierter Pianist mit einer eher leisen Karriere in kleinen, dafür umso nachhaltigeren Schritten, übernahm er 2013 die Leitung eben jenes Festivals, dem er prägende Eindrücke in seiner Jugend verdankt. Und auch als Intendant ist er nicht mit der Tür ins Haus gefallen, sondern hat ruhig und über legt seine Retuschen angebracht, ohne die grosse Tradition des 1946 gegründeten Festivals in frage zu stellen.
Nach dem Jubiläum zieht sich Piemontesi zurück
So ist ein wenig die Zeit stehen geblieben bei den Konzerten in der Locarneser Kirche, die erst noch seinen Namen – San Francesco – trägt, oder im kleineren Collegio Papio, wo man Kammermusik spielt.
Nach 2025, wenn das Tessiner Festival seine 80. Auflage feiern kann, wird Piemontesi sich von der Leitung zurückziehen. Dass das Bedauern darüber auf allen Seiten gross ist, ist ein ehrliches Kompliment an die Arbeit des Pianisten. Immerhin konnte ein Nachfolger mit grossem Renommee gefunden werden: Christoph Müller, der in den letzten 23 Jahren das Menuhin Festival in Gstaad geleitet und mit innovativen Ideen erweitert hat.
Aber auch nach über zehn Jahren an der Spitze der Settimane: Routine aus wachsender Erfahrung, das gibt es für Piemontesi nicht: «Jedes Jahr ist etwas ganz Neues. Die Erfahrung hat mich bloss gelehrt, das zu machen, was ich wirklich machen möchte. Und ich habe gemerkt, dass ich das Vertrauen des Publikums damit nicht verliere.»
Seine Geradlinigkeit und seine ehrliche Unauffälligkeit zeigen Wirkung. Und sie haben System, auch für den Pianisten Piemontesi. Zehn Jahre hat er an der grossen h-Moll-Sonate von Franz Liszt gefeilt, bevor er fand, er habe nun wirklich etwas Persönliches zu sagen in diesem Monument der Klavierliteratur.
Da ging er ins Studio und spielte das Werk ein. Die Ansprüche an sein Amt als künstlerischer Direktor seien stetig grösser geworden, sagt Piemontesi zu seinem Rückzug: «Um die gleiche Qualität wie heute im Kulturprogramm halten zu können, benötigt es über das ganze Jahr hinweg intensiven Einsatz und Überzeugungskraft. Meine Verpflichtungen als Musiker gegenüber den verschiedenen musikalischen Institutionen, mit denen ich zusammenarbeite, wachsen aber stetig. Aus diesem Grund hielt ich es für angemessen, mein Mandat zu beenden.» Er wird den Settimane aber als Botschafter auch ab 2026 verbunden bleiben, im Rahmen eines «künstlerischen Projekts», über das er noch nichts verraten will.
Die Tessiner eröffnen das Festival
Aber jetzt liegt der Fokus vor erst auf dem Programm von diesem Herbst. Mit einem Gratiskonzert eröffnet Francesco Piemontesi das Festival. Das Besondere daran: Es spielen neben ihm fünf Musikerinnen und Musiker, die alle ebenfalls aus dem Tessin stammen.
Auf dem Programm stehen das Streichquintett von Schubert und das Klavierquartett op. 34 von Brahms. «Denke ich an unseren kleinen Kanton als Geburtsort von vielen exzellenten Musikerinnen und Musikern, macht mich das stolz und zuversichtlich für die Zukunft», schwärmt Francesco Piemontesi.
Leider verstarb die Bratschistin Ambra Albek plötzlich. Sie wird ersetzt durch den Solobratschisten des Orchestra della Svizzera italiana, Ivan Vukcevic. Kein Tessiner, sondern Australier, aber einer, der seit über 20 Jahren im Tessin lebt. Zwei weitere Auftritte erlaubt sich Piemontesi am eigenen Festival: mit Jan Lisiecki im Konzert für zwei Klaviere von Mozart am 16. September mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter Gianandrea Nose da. Und mit Geiger Leonidas Kavakos am 22. September in einem Programm mit Sonaten von Johannes Brahms und Robert Schumann.
Konzerte
Settimane Musicali di Ascona
Sa, 31.8.–Di, 8.10.
Versch. Orte Ascona u. Locarno TI
www.settimane-musicali.ch
Alben
Francesco Piemontesi
Franz Liszt
(Pentatone 2022)
Francesco Piemon tesi, Jonathan Nott
Schoenberg, Messiaen, Ravel
(Pentatone 2022)
Drei musikalische Höhepunkte
Yulianna Avdeeva
Die russische Pianistin Yulianna Avdeeva spielt das zweite Klavierkonzert von Rachmaninow. Begleitet wird sie vom Weltklasse-Orchester aus London, dem Philharmonia Orchestra, das unter der Leitung des jungen, impulsiven Mailänders Daniele Rustioni steht. Webers «Freischütz»-Ouvertüre und die dritte Sinfonie «Eroica» von Beethoven ergänzen das Programm.
Mi, 4.9., 20.00 Kirche San Francesco Locarno
Francesca Dego
Nicht nur Tessiner Künstler, auch das einheimische Orchestra della Svizzera italiana spielt am Festival. In einem reizvollen italienischen Programm tritt es am 6. September unter der Leitung von Jader Bignamini mit der Geigerin Francesca Dego auf. Am 4. Oktober führt es unter seinem Chefdirigenten Markus Poschner Mahlers Vierte und ein Konzert für das uralte chinesische Instrument «Sheng» auf, das ein wenig an eine Handorgel erinnert.
Fr, 6.9., 19.30 Kirche, Collegio Papio Ascona
Fr, 4.10., 19.30 Kirche San Francesco Locarno
Renaud Capuçon
Der französische Geiger Renaud Capuçon ist in der Doppelrolle als Solist und Dirigent zu erleben: Zusammen mit dem Orchestre de Chambre de Lausanne spielt er das g-Moll-Violinkonzert von Max Bruch und leitet das Orchester in Beethovens «Egmont»-Ouvertüre und Mendelssohns «schottischer» Sinfonie.
Fr, 27.9., 19.30 Kirche San Francesco Locarno