«Wenn die musikalische Qualität stimmt, kann eine Solistenkarriere erst mit 25 beginnen», sagt der Geiger und Pädagoge Alexander Gilman, der zusammen mit seiner Frau Marina Seltenreich das LGT Young Soloists Orchester gründete und leitet. Schöne Aussichten …
Im Untergeschoss des Zürcher Musikhauses Jecklin steht gleich ein Dutzend Solistenkandidaten im Halbkreis – angereist aus der ganzen Welt: Geiger, Bratschisten, Cellistinnen und ein Kontrabassist. Obwohl alle hochbegabt sind und seit Jahren fast nichts anderes als Bach, Mozart oder Tonleitern im Kopf haben, machen sie einen munteren Eindruck: Es wird gemault und geschmollt, ein Vorschlag wird diskutiert und dann grossartig harmoniert. Der Klang dieser Formation hat eine unheimliche Kraft und in seiner Dichte eine geradezu suggestive Wirkung.
Bei Jecklin haben sich die LGT Young Soloists zu einer Probe gefunden. Sie bilden einen Klangkörper, der jungen Musikern die Möglichkeit geben will, das Konzertleben kennenzulernen. Man will sie auf den Kampf um einen Platz an der Sonne – aufs spätere Solistenleben – vorbereiten. Doch bevor sie Konkurrenten werden, müssen sie lernen, als Gemeinschaft zu harmonieren. Kurios und grossartig, diese Idee.
Das Wort «Konkurrent» wollte die heute 17-jährige Schweizer Geigerin Elea Nick, die vor zwei Jahren kurze Zeit bei den LGT Young Soloists mitspielte, damals nicht hören. «Den Konkurrenzkampf führen die Eltern. Aber die sind beim LGT meist nicht mehr mit dabei.» An ihrer Stelle gibt es einen väterlichen Kumpel und eine mütterliche Freundin: der zitierte charmante Alexander Gilman und seine Frau Marina Seltenreich, eine Pianistin mit herzlich verschmitztem Lächeln.
Gilman weiss, was ein junger Solist fürs Konzertleben braucht, hat der 35-Jährige doch vor nicht allzu langer Zeit selber versucht, sich als Solist in der Klassikwelt zu behaupten – mit Hochs und Tiefs. Jetzt leitet und lehrt er die 20 Jahre jüngeren LGT-Solisten, kann bereits auf zwei in Zürich aufgenommene CDs, eine DVD und Welttourneen zurückblicken.
Süsse Erinnerungen an die ersten Male
Lächelnd erinnert Gilman sich daran, wie bei seinem Musterschüler David Nebel bei einem der ersten LGT-Auftritte der Bogen vor lauter Nervosität zitterte. Wer Nebel heute bei einem Solostück in erhaben-stolzer Geigerpose auf der Bühne sieht, erkennt, wie viel der 21-Jährige dank LGT in drei Jahren gelernt hat. «Dieses Auftritts-Privileg haben die meisten 15-Jährigen nicht», sagt Nebel. «Ich erhielt unglaublich viel Bühnenerfahrung – das ist das Allerwichtigste.» Eine enorme Repertoire-Erweiterung kommt für alle hinzu – und zu lernen, auf Tournee unter Jetlag aufzutreten, ist für die Musiker kein Nebenaspekt.
Einen Dirigenten braucht es bei dieser Kleinbesetzung nicht, dafür gute Ohren: Wer sich in einem grossen Orchester mit 80 Musikern durchaus mal verstecken kann, wird damit in einem Rund von einem Dutzend Musikern nicht durchkommen. Der junge israelische Bratscher Gerald Karni sagt es direkt: «Einmal danebengegriffen, hören es alle, dann ist die Bratschenstimme kaputt: Wir sind ja nur zwei, keiner hilft dir.» Doch in dieser Selbständigkeit liegt die Kernidee dieses besonderen Orchesters: Hier will und muss jeder im Vordergrund stehen – so klingt die Formation denn auch.
Flexibilität muss dazugehören
24 Musiker gehören zum Pool, der Kern besteht aus 12 Streichern – für einen Fünftel ist Gilman der Hauptlehrer, die anderen haben ihre Professoren in der ganzen Welt. «Als Solisten können die Studenten stilistisch tun, was sie wollen: Bei uns gibt es auch mal zwei Geiger, die dasselbe Stück aufführen – und zwar völlig verschieden. Das Orchester muss dann reagieren, nur so erreicht man die gewünschte Flexibilität.»
Das LGT-Orchester als langfristiges Projekt
Dank dem Geld der liechtensteinischen LGT-Bank ist die Hälfte des Budgets gesichert. Man spricht von einem langfristigen Projekt, Orchesterleiter Gilman wäre es zu wünschen. Die Musiker scheinen genauso wie ihr Leiter begeistert mit dabei zu sein, reagieren geradezu empört, wenn man fragt, ob sie denn kein Geld für ihre Auftritte haben möchten. Sie verziehen allerdings die Miene, wenn man sie fragt, ob anstatt der Solokarriere auch eine Zukunft als Orchestermusiker für sie infrage komme – statistisch die Realität für die meisten angehenden Musiker.
Für die LGT-Mitglieder scheint es nur ein Ziel zu geben: als Solist ganz vorne zu stehen. Gilman unterstützt dieses Denken, auch wenn er einräumt, dass das Leben als Streichquartett-Mitglied oder Orchestermusiker genauso schön sein könne.
CD der LGT Young Soloists
Russian Soul
Tschaikowsky, Arensky, Rachmaninow u.a.
(RCA/Sony 2017).
Italian Journey
Bazzini, Mascagni,
Morricone, Paganini, Respighi u.a.
(RCA/Sony 2015).
Konzerte
So, 2.7., 19.30 Tonhalle Zürich
LGT Young Soloists, Zürcher Sängerknaben
Leitung: Howard Griffiths