Vollenden konnte es Mozart nicht, sein Requiem. Unglaublich packende Musik findet sich dennoch in dieser Totenmesse: Die düstere Introduktion, das dramatische «Confutatis», das himmlische «Lacrimosa», über dem Mozarts Feder für immer eingeschlafen sein soll. Sein Requiem ist Sternstunden-Musik und hat Künstler aller Kulturen immer wieder dazu animiert, sich damit auseinanderzusetzen. Kein Wunder, haben nicht nur führende Dirigenten ihre Version dieser Musik für die Ewigkeit festgehalten.
Auch auf der Musiktheater-Bühne hat man immer wieder versucht, die Kraft und Dramatik szenisch umzusetzen. Einer, der dafür prädestiniert erscheint, ist Romeo Castellucci. «Mozart lebt immer noch, er ist mitten unter uns», sagt der italienische Regisseur und Bühnenkünstler, der seit über 40 Jahren die europäische Theaterlandschaft prägt. 1981 gründete er seine «Socìetas Raffaello Sanzio», benannt nach dem Renaissancemaler.
Der heute 63-Jährige begann als Bühnenbildner, seine Arbeiten gehen stets vom Optischen aus: Bildgewaltige, symbolhafte Szenen, oft ohne Text und Dialoge, zeichnen sein Theater aus.
Mit verstörender Direktheit
Surreale Traumwelten, Fleischund Knochenberge, sehr gerne nackte Menschenmassen, in denen das Individuum verschwindet, sind typische CastellucciMerkmale. Er erschafft Bilder von ätherischer Schönheit, von archaischer Kraft – oder auch von verstörender Direktheit. Er nutzt die Kraft bekannter Chiffren aus der Antike oder aus dem Christentum, um sie in neuem Kontext umzudeuten.
Das hat ihm schon mal den Vorwurf der Blasphemie eingebracht. Militante Katholiken störten Vorstellungen, die teilweise nur unter Polizeischutz stattfinden konnten. In «Requiem» sucht Castellucci nicht den Skandal. Eine «Feier des Lebens» wolle er aus der Totenmesse machen, sagt er zu seinem Mozart-Abend, der 2019 beim Festival in Aix-en-Provence zum ersten Mal zu sehen war und seither an zahlreichen weiteren Orten, unter anderem bei den Salzburger Festspielen, gezeigt wurde.
Jetzt endlich, nach Corona-Turbulenzen, kommt die Produktion, die vom Theater Basel mitproduziert wurde, am Rheinknie an.
Im Rückwärtsgang vom Tod bis zur Geburt
Starke Bilder erfand Castellucci auch für Mozarts Requiem: Ein Knabe spielt Fussball mit einem Totenschädel, ein Mädchen wird mit Honig und Blut übergossen, am Ende äugt ein Baby in den Zuschauerraum. Zwar geht es um das Sterben, aber nur am Anfang. Danach öffnet sich ein Kreislauf des menschlichen Lebens quasi im Rückwärtsgang vom Tod zur Geburt.
Jesus ist tot, der Mensch lebt. Solisten, Chor und Ballett verschmelzen zur ritualisierten Choreografie, mal folkloristisch, mal archaisch und abstrakt, stets grundiert durch suggestive Bühneneffekte. Castellucci arbeitet nicht intellektuell, sondern assoziativ. Zur Vorbereitung eines neuen Stücks hört er es sich Hunderte von Malen an, bis er sich darin verliert: «Man vergisst alles, was man gelernt hat.» Für ihn verliert der Tod den Schrecken, auch wenn er präsent bleibt: «Die Kunst erinnert uns daran, dass wir alle zum Sterben da sind», so Castellucci.
«Die Schönheit ist ja deshalb schön, weil sie flüchtig und zerbrechlich ist. Währte die Schönheit ewig, es wäre grausam.»
Requiem
Premiere: Sa, 20.4., 19.30 Theater Basel