kulturtipp: Etienne Reymond, in Zürich oder Luzern dirigiert Riccardo Muti seit Jahren nicht mehr. Wie holt man einen so grossen Dirigenten in eine so kleine Stadt wie Lugano?
Etienne Reymond: Riccardo Muti war vor drei Jahren mit seinem Jugendorchester hier in Lugano. Er fand unseren Saal wunderbar und sagte, dass er am liebsten alle seine Aufnahmen hier machen würde. Und er versprach, auf der nächsten Tournee mit seinem Orchester aus Chicago in Lugano vorbeizukommen. Ich bin rot geworden und war sehr geehrt.
Schön und gut, aber er macht das ja nicht gratis.
Für das Konzert mit Muti hatte ich einen privaten Gönner.
Aber da bleiben einige andere sehr grosse Namen und Orchester in Ihrem Programm!
Ich hatte etwas Glück. Kaum waren die ersten Saisons budgetiert, band die Nationalbank den Franken an den Euro. Und da ich die Gagen in Euro bezahle, war da plötzlich Geld auf der hohen Kante. Ich diskutierte mit dem Stiftungsrat, der sagte: «Das Geld ist für Sonderprojekte.» Ich zahle nicht schlecht, aber ich zahle keine verrückten Summen.
Wie hoch ist denn das Budget?
Drei Millionen – die Hälfte erreichen wir durch Subventionen, und zwar das meiste von der Stadt und nur sehr wenig vom Kanton, 30 Prozent kommen vom Kartenverkauf, 20 Prozent von Sponsoren und Mäzenen. Lugano Musica sorgt für 17 Konzerte im grossen Saal: neun mit Orchester, acht Rezitals. Im kleinen Saal bieten wir weitere 25 bis 30 Abende: Streichquartette, Filme, elektronische wie Neue Musik. Und im Juni wird im grossen Saal Oper gespielt, alle drei Jahre eine selbst produzierte.
Sie setzen auf sehr berühmte, populäre Werke. Warum?
Wir fragten uns lange: boutique oder populär? Die Luganesi sagten uns aber wohl zu Recht, sie hätten 220 Millionen für dieses Haus beigetragen und möchten dort drinnen auch mal eine «Traviata» hören – Mailänder Scala hin oder her. Das Publikum hier entdeckt sein Repertoire. Und die Tessiner entdecken ihr eigenes Tessiner Orchester neu, sie wussten gar nicht, dass es so gut tönt. Die Akustik verleiht dem Orchester Flügel.
Wie lautet an Sie der Auftrag des Stiftungsrates, der ja vom Stadtpräsidenten angeführt wird?
Ich sollte mein Adressbuch mitbringen und für tolle Konzerte sorgen. Und ich hoffe, ich habe den Auftrag erfüllt.
Das kann man wohl sagen. Mariinsky aus St. Petersburg, Gewandhaus aus Leipzig, Santa Cecilia aus Rom, Birmingham, Chicago – fünf weltberühmte Orchester in einer Saison! Kann es so weitergehen?
Es ist nicht einfach, die Latte ist hoch gelegt. Aber ich brauche jetzt neue Ideen – das spornt an. Gewisse Orchester werden auch zurückkommen. Ja, ich versuche, dass die grossen Dirigenten alle drei Jahre hier auftreten. Und es gibt einen berühmten Dirigenten, der drei Saisons hintereinander hierherkommen wird – mit drei verschiedenen Orchestern. Von zweien ist er der Chef.
Lassen Sie mich überlegen …
Nein, nein, das ist noch geheim!
Wie gut läuft es denn, wenn nicht gerade die Wiener Philharmoniker im Saal auftreten?
Auch schwierigere Konzerte sind zu 80 Prozent besucht. Der Saal zählt 986 Plätze. Aber am Ende muss das Publikum sagen, ob ich mit meinem Programm und Denken recht habe oder nicht.
Werden wir bald mehr Konzerte hören?
Man muss in dieser Musikwelt gut überlegen, was man tut: Es geht nicht nur darum, ob sich etwas verkauft, sondern auch darum, warum man es macht. Wie kann ich dem ganzen Zauber einen Sinn geben? Ich will keine Aneinanderreihung von Konzerten, sondern suche Bindungen zu Künstlern, will mit jedem Konzert eine kleine Geschichte erzählen. Wenn Ende April der Schlagzeuger Simone Rubino nach Lugano kommt, setze ich auf dessen rhetorisches Talent: Rubino wird das Konzert moderieren und vorher eine Meisterklasse führen, dort kann jeder vorbeischauen.
Das LAC ist kein Selbstläufer wie die Elbphilharmonie. Woher kommen die Besucher?
80 Prozent des Publikums stammen aus Lugano und der Region, 10 Prozent aus dem übrigen Tessin, je fünf Prozent aus der Schweiz und aus Mailand. An Ostern steigt die Zahl der Touristen oder Deutsch- und Westschweizer auf 25 Prozent an, dann biete ich auch konzentriert Konzerte an, das Orchestra Mozart spielt Sinfonie- wie Kammerkonzerte.
Sie machen ein Festival!
Nein, dieses Wort wäre falsch. Ich sage «Concerti di Pasqua», basta. Aber klar wäre es schön, wenn wir auch sonst Deutschschweizer hier hätten. Bald wird man eine Werbekampagne starten, will doch der neue Kulturdirektor Lugano als Kulturstadt vermarkten. Da bin ich natürlich mit im Boot.
Theoretisch kann hier jeder Konzerte organisieren. Haben Sie keine Angst vor Konkurrenz?
Neben den Konzerten von Lugano Musica sind im LAC zehn Abende für das Orchestra della Svizzera Italiana reserviert. Wir arbeiten aber sehr freundschaftlich miteinander. Konkurrenz gibt es ausser im Herbst in Locarno weit und breit nicht. Die Mailänder Scala hat sehr selten Gastorchester, meist sind es dann Galas oder Benefizkonzerte, aber es gibt dort keine Reihe für Gastorchester. Und einen anderen Veranstalter gibt es in Norditalien sowieso nicht. Man kann den Saal mieten, aber es ist sehr schwierig, an Daten ranzukommen. Wir machen unsere Konzerte, das Orchestra della Svizzera Italiana seine – aber das Schauspiel belegt mehr als 100 Abende.
Konzerte im Sala Teatro LAC Lugano Arte e Cultura
Britten: Il piccolo spazzacamino So, 1.3., 16.00
Gautier Capuçon (Cello), Jérôme Ducros (Klavier) Mi, 4.3., 20.30
City of Birmingham Symphony Orchestra (Mirga Grazinyte-Tyla) Mo, 23.3., 20.30
Infos unter: www.luganolac.ch