Selbst im Konzert, noch mehr wenn man ihm persönlich begegnet, und sogar auf vielen Fotos: Cédric Pescia wirkt oft etwas verlegen, fast schüchtern. Neugierig zwar, mit offenem Lächeln und einer Spur von Schalk in den Augen. Stets wirkte er jünger, als er wirklich war, und wenn er in charmant französisch angehauchtem Akzent auf Youtube über Bach spricht, gibt man ihm seine unterdessen 43 Jahre nicht ohne Weiteres. Dabei sagt er in diesem Clip nichts Belangloses, sondern bringt klug und reflektiert in wenigen Sätzen die wesentlichen Aspekte seines Bach-Bilds auf den Punkt.
Ein Liebhaber des strukturellen Denkens
Ein Intellektueller also, könnte man meinen, einer, der sich gerne vertieft und grübelt. Zwar hat Cédric Pescia einiges davon, seine Neugier ist unersättlich, und wenn er sich mit Schumann oder Bach beschäftigt, dann will er alles über diese Komponisten wissen. Er mag strukturelles Denken, das er bei Daniel Barenboim gelernt hat: «Es gibt keinen, der so sehr vom Aufbau und von der Struktur an die Musik herangeht wie er», sagt Cédric Pescia. Auch sonst liest er sehr gerne und viel: Franz Kafka, Thomas Bernhard und Robert Musil, er schwärmt von unbekannten ungarischen Autoren oder vom Chilenen Roberto Bolaño. Er verfolgt die Berliner Theaterszene, mag Filme von David Lynch oder von den historischen Grössen Bergman, Antonioni und Godard.
Der schüchterne Charme bleibt spürbar
Aber wenn Cédric Pescia am Klavier sitzt oder man seinen CDs etwa mit Musik von Robert Schumann zuhört, dann offenbart sich noch einmal ein ganz anderes Gesicht dieses Pianisten: voll von Schönheit und einer bezwingenden Eleganz. Lang geschwungene, duftige Melodiebögen, eine Vermeidung klecksender Extreme und die farbenreiche Illumination musikalischer Linien sind seine hervorstechenden Qualitäten. Der schüchterne Charme ist immer noch spürbar dabei, den Klaviertitanen hat Cédric Pescia nie spielen wollen, die grosse Geste vollgriffiger Tastendonnerer ist ihm suspekt. Aber ein grübelnder Exzentriker ist er auch nicht und will es nicht sein. Originalität um ihrer selbst willen interessiert ihn kein bisschen, dafür Ehrlichkeit und Schönheit. Sie stehen fett gedruckt im Booklet zu seiner Gesamt-Einspielung von Bachs «Wohltemperiertem Klavier», die letztes Jahr beim kleinen französischen Label «La Dolce Volta» erschienen ist.
Ausführlich äussert sich Pescia im Booklet zur Einspielung dieses pianistischen Kompendiums, in dem Bach den Spieler durch alle Tonarten führt: «Zwei Komponisten stehen seit meiner Kindheit im Herzen meines Repertoires: Schumann und Bach. Die Präludien und Fugen des ‹Wohltemperierten Klaviers› habe ich als Teenager gelernt und mit meinen verschiedenen Lehrern erarbeitet – und nahm dann Abstand von ihren Auffassungen, um meinen eigenen Weg zu finden.» Mit 18 spielte Pescia beide Bände zum ersten Mal öffentlich, der Beginn einer fundierten Auseinandersetzung: «Ich habe im Laufe der Zeit Bachs gesamtes Klavierwerk erarbeitet, ich habe Cembalo und Clavichord gespielt und verbrachte ein Jahr damit, alle seine Kantaten zu studieren – unverzichtbar, wenn man Bach verstehen will. Dann gab es eine Phase von etwa zehn Jahren, in denen ich das ‹Wohltemperierte Klavier› nicht mehr aufgeführt habe, und erst als ich 2012 Professor an der Genfer Musikhochschule wurde, habe ich es wieder hervorgeholt. Es ist das Werk, das ich am häufigsten zum Unterrichten benutze, und ich lerne immer noch viel dadurch.»
Vorliebe für exotische Instrumente
Nachdem er ab 2016/17 beide Bände mehrmals im Konzert gespielt hatte, war der Zeitpunkt gekommen, eine Gesamteinspielung vorzulegen. Bach steht im Moment im Fokus von Pescias Konzertleben. Neben dem «Wohltemperierten Klavier» hält er in zwölf Programmen auch alle anderen Klavierwerke Bachs bereit, darunter die «Goldberg-Variationen», die er auf seiner Debüt-CD einspielte. Mit der Geigerin und Lebenspartnerin Nurit Stark, mit der er bereits mehrere CDs mit teils rarem Repertoire von Bloch, Busoni und Enescu eingespielt hat, will er sich den Sonaten von Mozart widmen. Und neben zwei Komponisten des 20. Jahrhunderts, Luigi Nono und Gérard Grisey, möchte er seine Kenntnisse im Jazz und seine Fertigkeiten im Improvisieren vertiefen. Und nicht nur die Tasteninstrumente Clavichord und Cembalo, auch exotische Instrumente interessieren den Lausanner Pianisten. Die jüngste Leidenschaft: Er lernt Tabla, eine indische Handtrommel.
Akustisches Juwel
Die 127. Saison der traditionsreichen Konzertreihe der Société de Musique in La Chaux-de-Fonds schafft es immer wieder, auch verwöhnte Klassikstars in den hohen Jura zu locken. Dabei kann sie mit dem akustischen Juwel ihres Salle de Musique auftrumpfen, in dem schon zahlreiche CD-Produktionen entstanden sind. In der laufenden Saison sind hier etwa Khatia Buniatishvili, das Nash Ensemble, Les Vents Français oder der Klarinettist Andreas Ottensamer zu hören.
Konzerte
Cédric Pescia spielt die beiden vollständigen Bände des «Wohltemperierten Klaviers» von J.S. Bach
Sa, 8.2., 19.30 So, 9.2., 17.00 Salle Faller La Chaux-de-Fonds NE
Öffentlicher Meisterkurs
Mo, 10.2., 10.00–18.00
Salle Faller La Chaux-de-Fonds NE (Eintritt frei)
CD
Cèdric Pescia
J.S. Bach: Das Wohltemperierte Klavier
4 CDs
(La Dolce Volta 2019)