Niemand kann so tun, als wäre diesen Sommer am Davos Festival alles normal. Da präsentiert ein neuer Intendant sein Programm – und der nächste künstlerische Leiter steht bereits in den Startlöchern. Die skurrile Situation ergab sich, da Oliver Schnyder letztes Jahr Davos freudig zusagte, als man ihn zum Nachfolger des Klarinettisten Reto Bieri erkoren hatte. Kurz darauf warf Schnyder schon das Handtuch.
Trotz Ungemach – das Davos Festival trumpft auf
Der Schweizer Pianist merkte, dass seine Solokarriere und der grosse Aufwand, den das Davos Festival erfordert, nicht zu vereinen waren. Er sagte ab – und wurde künstlerischer Leiter des Aargauer Festivals Lenzburgiade, das er im Juni 2019 bereits zusammen mit seiner Frau kuratierte. Und damit nicht genug Ungemach für Davos: Das Festival im benachbarten Klosters baut seine Aktivitäten munter aus, bietet just in den zwei Wochen vor dem Davos Festival eine geballte Ladung an hochkarätig besetzten Konzerten.
Egal? In Davos strahlt man jedenfalls dem Sommer 2019 entgegen, Schnyder ist guten Mutes. «Es ist eine Premiere und Derniere zugleich», sagt er. «Ich kam mir aber nie wie eine Lame Duck vor, erhielt viel Unterstützung von der Festivalführung.»
Mit dem Festivalmotto «Einschnitt» schliesst er ans letztjährige an, das «Heute Ruhetag» hiess. «Nach einer so grossartigen Ära ist unser Motto geradezu Programm», so Schnyder. Er weiss, dass alle Neuerungen für das Publikum ein Einschnitt sein werden. Oder gar: Ein Schnitt …
Schnyder war bemüht, attraktive, verspielte und anspruchsvolle Konzerte zu programmieren, und er war begeistert, dass so viele junge Musiker mit Freude seinen Ideenfaden aufnahmen.
Meisterkurse in neuer Form
Das Motto «Einschnitt» ist auf mehreren Ebenen Programm. «Zahlreiche Stücke sind Lieblingsstücke von mir, aber ich komme viel zu selten dazu, sie zu spielen. Das Schöne am Intendanten-Dasein ist ja genau das: Man kann die Werke programmieren und sie so endlich hören, wenn nicht gar selbst spielen.»
Wer das Programm betrachtet, erkennt, dass der entdeckungsfreudige Davoser Geist bewahrt bleibt, dass aber auch neue Ideen gewachsen sind. Etwas vom Auffälligsten: Schnyder führt die Mentoren-Idee ein, die vor allem im angelsächsischen Raum Schule gemacht hat. Die klassische frontale Meisterkurs-Idee soll jedoch aufgebrochen werden, die Mentoren sollen vielmehr die «Primi inter pares» spielen. Mal stehen sie selbst im Zentrum, mal diskret als Ideengeber im Hintergrund. Ihre Hauptaufgabe ist es, mit jungen Musikern Programme zu erarbeiten. «Es ist viel besser, wenn man beim Zusammen-Musizieren Erfahrungen sammelt», ist Schnyder überzeugt.
Pianist András Schiff als «Ehrenmentor»
Typisch Davos: Auch junge Musiker dürfen sich «Mentor» nennen. Es sind allerdings Künstler, die den entscheidenden Schritt auf die grossen Bühnen bereits geschafft haben: Pianistin Yulianna Avdeeva, Cellist Maximilian Hornung oder Bratschist Nils Mönkemeyer. Einer der grössten lebenden Musiker unserer Zeit darf sich gar «Ehrenmentor» nennen: «Pianist András Schiff wird uns und den Musikern ein Beethoven-Trio näherbringen. Er wird das in seiner unvergleichlichen Art tun, Musik in Worte zu fassen.»
Auch Literaten kommen zum Zug
Zu den «Young Artists» kommen nun auch die «Very young Artists» hinzu. In einem Pilotversuch können sich begabte Kinder fünf Tage lang im Ensemble-Spiel weiterbilden. «Es geht darum, dass man Kinder auf eine spielerische Art auftreten lässt, aber sie professionell führt. So sehen sie, was sie mal erwarten könnte, wenn sie erfolgreich weitermachen.»
Schnyder bringt, wie bei den Mentoren zu sehen ist, alte Freunde mit nach Davos. Der Pianist hat sie aber nicht nur unter den Musikern, sondern auch bei den Literaten gefunden. Sein treuer Wegbegleiter Alain Claude Sulzer hat das Festivalprogramm geschrieben. Die Schriftstellerin Lea Singer, die als Eva Gesine Baur Musiker-Biografien schreibt, wird in einem neuen Gesprächsformat zu hören sein. Über den «Goldenen Schnitt in der Musik», den «Abschied», den «Tod» wie den «Krieg» wird sie sprechen. Alles dunkle Themen? «Trotz des Ernstes: Die Komik funkelt auch in Schwarz», sagt Schnyder lächelnd. Stolz ist der Ein-Sommer-Intendant, dass die Aargauer Komponistin Stephanie Haensler für Davos ein Streichquintett geschrieben hat. Zudem wird es eine Jazz-Night, Kinderkonzerte sowie einen Musikzug mit Turbo-Klezmer geben.
Beim Eröffnungskonzert kokettiert Schnyder mit dem Motto des letztens Jahres «Heute Ruhetag». Dazu bietet sich «Après le silence» von Komponist Dieter Ammann an. Zum Festivalschluss erklingt Gioachino Rossinis «Petit messe solennelle». Schnyders designierter Nachfolger Marco Amherd dirigiert den Chor – Schnyder selbst gibt als Einspringer sein Debüt als Chor-Begleiter und spielt den Klavierpart: «Die Stabsübergabe findet auf der Bühne statt, schöner hätte ich mir das nicht denken können.»
Davos Festival
Sa, 3.8.–Sa, 17.8.
www.davosfestival.ch
CD-Box
Classic Music Festival in Switzerland Davos, Ernen etc.
13 CDs (Sony 2018)