«Warum Beethoven mit Gulasch um sich warf» heisst eines der Kinderbücher, die den Weltklasse-Cellisten Steven Isserlis von einer unüblichen Seite zeigen. Die grossen klassischen Komponisten bringt er darin seinem jungen Publikum auf erfrischend unkomplizierte Weise näher. Auch sonst ist der Brite nicht nur ein Mensch der Musik, sondern auch der Sprache.
Vielseitiger Cellist und Freund des Sprachwitzes
Die Texte in seinen CD-Booklets schreibt er selber und beweist dabei musikwissenschaftliches Wissen. Zudem liest er leidenschaftlich gern, und zwar alles, was ihm in die Finger kommt, die Klassiker, aber auch entlegenere Bücher, die er dann auf seiner Webseite empfiehlt. Diese Webseite ist ohnehin eine besondere Fundgrube, zum Beispiel amüsiert sich Isserlis gern damit, seinen Besuchern witzige Musik-Quizfragen zu stellen.
Aber bei allem Sprachwitz und vielfältigen Interessen: Steven Isserlis ist und bleibt einer der besten und interessantesten Cellisten unserer Tage. Er pflegt das Cello-Repertoire in seiner ganzen Breite, vom Barock bis ins 21. Jahrhundert, vom Solokonzert bis zur Kammermusik. Und findet das völlig natürlich: «Als Cellist kann man sich eigentlich nicht spezialisieren, dafür ist das Repertoire dann doch zu klein. Ich liebe das 18. Jahrhundert, aber auch die späteren Jahrhunderte. Ich würde keines weggeben wollen.» Tatsächlich hat er die bisher grösste mediale Aufmerksamkeit mit einem modernen Stück erreicht: 1989 führte er bei den Londoner Proms das Cellokonzert «The Protecting Veil» von John Tavener auf und machte das Werk, seinen Komponisten und sich selbst weit über die üblichen Klassik-Kreise hinaus bekannt.
Wenn Steven Isserlis spielt, dann ist ihm die emotionale Bewegung deutlich anzusehen, man spürt förmlich seine Begeisterung für die Musik, die er gerade interpretiert. Seine Konzerte haben immer einen Anteil an Unvorhergesehenem. Für Isserlis bedeutet es nicht Sicherheit, wenn er ein Werk exakt so wie in den Proben spielen kann. Sicherheit äussert sich bei ihm im Vertrauen darauf, dass im Moment der Aufführung die passenden Ausdrucksnuancen in sein Spiel einfliessen werden.
«Ich darf ruhig auch mal einen Ton verhauen»
Dabei geht es nicht um die Klippen technischer Schwierigkeiten, daran denkt er beim Spielen nicht: «Wenn man sich davor fürchtet, einen Ton zu verpassen, dann hat man ihn schon verpasst, egal, ob man ihn trifft oder nicht, weil der Gehalt einer Phrase auf jeden Fall darunter leidet. Einen Ton zu verfehlen, ist nicht annähernd eine so grosse Katastrophe wie die Atmosphäre einer Phrase zu zerstören.» Technik hat bei ihm mit Vertrauen zu tun: «Ich mag den Gedanken, dass ich ruhig auch mal einen Ton verhauen darf, ohne dass die Welt gleich untergeht.»
Auch bei der Ausrüstung seines Instruments hebt sich der Cellist von seinen Kollegen ab: Er verwendet in 90 Prozent seiner Auftritte Darmsaiten. Trotz der «historischen» Sichtweise gilt Steven Isserlis nicht explizit als «Originalklang»-Cellist. Zum Beispiel spielt er immer mit dem Stachel am Instrument. Es geht ihm kein bisschen um die Rekonstruktion historischer Gegebenheiten, sondern darum, die Musik möglichst adäquat zum Sprechen zu bringen: «Es geht um die Klangfarben und Artikulationen.» Für klassische Musik benutzt er den klassischen Bogen mit seiner eigenen Form. Das helfe zusätzlich, die richtigen Phrasierungen zu finden. «Und was ich wirklich liebe an Darmsaiten und Klassik-Bogen: Man kann auf einem solchen Instrument keinen hässlichen, aggressiven Klang hervorbringen. Der Bogen selber will tanzen, nicht pressen.»
Wenn Isserlis im Juni in Luzern Schumann spielt, dann hat er sicher Darmsaiten aufgezogen. Ob er das auch bei seinem Auftritt im Rahmen des Zaubersee Festivals im Mai tut, ist unsicher.
Aber egal mit welcher Ausrüstung, spannend ist sein Programm mit dem Pianisten Olli Mustonen allemal: Cellosonaten von Prokofjew, Kabalewsky und Schostakowitsch, die letzten beiden hat er für Hyperion erst gerade eingespielt. Isserlis ist ein Geschichtenerzähler ersten Ranges, der alle Register zieht, mal flüstert oder haucht, unvermittelt schreit und die erschreckten Zuhörer mit einer zuckersüssen Melodie wieder besänftigt.
Konzerte mit Steven Isserlis
«Das russische Cello»: Cello-Sonaten von Prokofjew, Kabalewsky, Tschaikowsky, Sibelius und Schostakowitsch. Mit Olli Mustonen (Klavier).
So, 26.5., 18.30 Hotel Schweizerhof Luzern
Steven Isserlis spielt die Romanzen op. 94 von Schumann mit Radu Lupu (Klavier) und dirigiert das Klavierkonzert Nr. 23 von Mozart (Lupu), das Violinkonzert Nr. 2 von Mozart (Christian Tetzlaff) und Bachs Brandenburgisches Konzert Nr. 3
CD
Schostakowitsch & Kabalevsky
Steven Isserlis und Olli Mustonen
(Hyperion CDA 2019)