Machen Sie Witze?», sagt Kirill Serebrennikow auf die Frage, ob es wahr sei, dass er unter Druck alles Russische aus seiner Regie einer Oper von Alfred Schnittke entfernt habe. Die «NZZ am Sonntag» sorgte Mitte Oktober mit dieser Behauptung in einem Artikel unter dem Titel «Russland muss draussen bleiben» für eine Schlagzeile.
Der Regisseur hält allerdings klar fest: «Ich bin der Meinung, dass Unsinn und Gerüchte nicht kommentiert werden sollten. Aber falls Sie sich wirklich für unsere Arbeit interessieren, dann verrate ich es Ihnen.» Und darauf führt er im Detail aus, was in seiner Regie der Oper «Leben mit einem Idioten» in Zürich passieren wird.
Ein Text aus der Zeit der Perestroika
Die gleichnamige Erzählung des Autors Viktor Jerofejew (* 1947) ist eine Satire auf die Sowjetunion: Ein Schriftsteller muss einen Idioten, der Lenin gleicht, bei sich zu Hause aufnehmen – ein surreales und brutales Spiel beginnt. Der Text sei in der Zeit der Perestroika geschrieben worden, sagt Kirill Serebrennikow.
Alfred Schnittke (1934–1998) habe aber seine Oper, die auf dieser Geschichte basiert, erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion geschrieben, nämlich 1992. «Sowohl die Oper als auch die Geschichte sind Reflexionen des sowjetischen Menschen in Bezug auf die sowjetische Autorität. Selbst heute würde ich, der die späte UdSSR erlebt hat, es nicht wagen, den Europäern die Realitäten dieser sich auflösenden Zeit zu erklären.»
Deswegen hat sich Serebrennikow entschlossen, die Oper in Zürich in die Gegenwart zu übertragen, sie auf Deutsch aufzuführen und damit ihre DNS, wie er zugibt, völlig zu verändern. Alle Anspielungen auf die sowjetische Realität würden heute verdorben und überholt wirken: «Personen, die nicht mindestens 15 bis 20 Jahre in der Sowjetunion gelebt haben, würden die Zitate aus revolutionären Liedern oder aus anderen Quellen nicht erkennen. Alfred Schnittke selbst hat gesagt, dass es sich um ein offenes Werk handle. Jegliche Interpretationen seien erlaubt und sogar erwünscht.»
Serebrennikow ist bestimmt nicht jener Regisseur, der eine Inszenierung auf Wunsch von wem auch immer umgestalten würde. Eben hat er in Wien für einen «Don Carlo» gesorgt, der das Publikum spaltete, der bei der Premiere zu wilden Buhrufen führte, die vom Dirigenten besänftigt werden mussten. Serebrennikow geht seinen Weg.
Der Theater-, Opern- und Filmregisseur wurde 1969 in der Sowjetunion geboren und 2017 in Russland festgenommen. Der Vorwurf lautete, dass er staatliche Gelder unterschlagen habe. Am 26. Juni 2020 wurde er schuldig gesprochen und zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe verurteilt. Seit Januar 2022 ist er im Westen und arbeitet an den berühmtesten Häusern.
«Die Musik ist europäisch, sie ist völlig universell»
Auf die Frage, ob es nun in seiner Produktion gar keine Bezüge mehr zu Russland gäbe, antwortet er mit einer Gegenfrage: «Wenn die Oper jetzt auf Deutsch aufgeführt wird und die ganze Geschichte in der Familie der modernen Europäer spielt, was hat dann Russland damit zu tun?»
Die Hauptfigur werde nun «Ich» und seine Frau «Ehefrau» genannt, der Charakter, der Wowa hiess und als Lenin-Karikatur galt, wurde in der neuen Version ebenfalls umbenannt und wird am häufigsten als Schätzchen oder Darling bezeichnet.
Der Schritt ist zu verstehen. Heute, wo «Carmen» statt in Sevilla auf der Müllhalde, «La Bohème» statt in Paris auf dem Mond spielt, da kann ein Regisseur auch eine russische Oper in eine namenlose Welt versetzen. Doch da ist nun mal noch die Musik – kündet sie nicht von Russland?
Serebrennikow winkt ab: «Diese Musik ist europäisch, sie ist völlig universell. Man kann in ihr kaum auch nur die entferntesten Reminiszenzen an nationales, slawisches Flair finden. Die Musik dieser Oper ist vielschichtig und launisch. Darüber hinaus reichen die Absurdität und der Wahnsinn, die sie durchdringen, weit über die russische oder sowjetische Realität hinaus.»
Grosse Reiche würden aufsteigen und untergehen, aber der Wahnsinn begleite die Menschheit durch alle Zeiten. Und sarkastisch fügt er an: «Auch heute noch werden die Menschen in relativ wohlhabenden Ländern verrückt, und es gibt schreckliche Geschichten von unmotivierten Gewalttaten.»
Doch noch ein Einwand spricht gegen die Aktualisierung: Kein Mensch kennt hier Schnittkes Oper. Ist da diese Distanzierung der richtige Weg? Der Regisseur meint dazu, dass es jeweils seine Aufgabe sei, auf der Grundlage einer Oper eine interessante Aufführung zu schaffen: «Die Musik dieser Oper ist nicht so einfach, wie es scheint.
Das Werk auf Russisch zu singen, wäre eine Qual für die nicht russischsprachigen Sänger und für das Publikum, das zuhören muss. Und ich will mich hier nicht damit beschäftigen, sowjetischen Bullshit zu entschlüsseln.»
Aufführung in Russland «absolut unmöglich»
Deutlich wird Serebrennikow auch, wenn man fragt, ob es möglich sei, Schnittkes Oper jetzt oder in Zukunft wieder in Russland aufzuführen. «Heute ist es absolut unmöglich», sagt er, «es gibt eine sehr detaillierte Beschreibung des homosexuellen Aktes, und das fällt unter alle schwulenfeindlichen Gesetze der Russischen Föderation.»
Wenn nun doch jemand die Oper dort aufführen würde, könnte er diese Szene entfernen. Da bliebe aber ein weiteres Problem, so Serebrennikow: wenn der Regisseur beschliessen würde, den Idioten Wowa wie Putin aussehen zu lassen. «In diesem Fall könnte er sogar inhaftiert werden.» Aber ohne die Schwulenszenen und solch billige Politisierung könnte vielleicht jemand das Risiko eingehen, sie doch aufzuführen.
Leben mit einem Idioten
Bis So, 1.12., Opernhaus Zürich