kulturtipp: Cecilia Bartoli, es scheint, als habe ein Genie an Ihrer Karriere gearbeitet: kein Fehltritt, alles perfekt, steil bergauf bis zur Primadonna assoluta. Wie schafft man eine solch märchenhafte Karriere?
Cecilia Bartoli: Eine Karriere ist immer etwas völlig Unerwartetes. Ich war ein kleines Mädchen, liebte die Musik und begann, Unterricht zu nehmen. Aber klar: Ich hatte als Kind sehr viel Musik um mich herum, wurde in eine Familie von Musikern hineingeboren. Dann ging ich ans Konservatorium in Rom und studierte Gesang und Klavier.
Alles noch ohne Ziele?
Ja, glauben Sie mir! Ich hatte ganz einfach den Wunsch, Musik oder vielmehr Kunst zu machen. Das war schon sehr früh in mir. Aber nicht einmal der Gesang war gegeben. Ich tanzte ja auch Flamenco, suchte irgendeinen künstlerischen Weg. Dann wählte ich doch den Gesang, da mich meine Mutter, eine Sängerin, fördern und beraten konnte. Schliesslich machte ich rasch Fortschritte, sogar etwas mehr als die anderen am Konservatorium.
Aber man kann doch nicht einfach drauflos singen und eine Weltkarriere machen. Es braucht einen Plan.
Ja, das stimmt schon: Ich profitierte von der Erfahrung meiner Eltern. Sie kannten die Musikwelt sehr gut, kannten viele Sänger, hatten die Möglichkeit, andere Karrieren zu beobachten. So begann ich mit meinem Typ Stimme in einem ganz bestimmten Repertoire: Gioachino Rossini war mir nicht nur ein Lieblingskomponist, sondern ein grosser Lehrer meiner Vokaltechnik. Da war alles drin, was zu meiner Stimme passte. Daneben war Mozart ein Schlüsselkomponist. Diese zwei geben einem Sänger den Weg vor, der das ganze Leben Bestand haben sollte: Aber je nach Stimmtyp darf man diesen Weg nicht verlassen. Der Karriereplan, wenn Sie so wollen, wurde für meine Stimme gemacht. Sie gab mir das Repertoire vor – und tut es weiterhin.
Und die Stimme hat dann immer gemacht, was Sie wollten?
Nein, ich mache immer, was die Stimme will! Wer eine Stradivari hat, setzt doch auch keine elektronische Verstärkung an dieses Instrument. Man will damit keine Heavy-Metal-Musik machen. Aber leider hören viele Sänger nicht auf ihren Körper und lassen dann zum Beispiel Rossini links liegen. Doch wer Rossini für Puccini liegen lässt, der kann nicht mehr zurück. Das ist eine Einweg-Entscheidung. Die Stimme verliert dann ihre Leichtigkeit und ihre Beweglichkeit.
Sind Sie in dieser Opernwelt eine Person mit Macht?
Macht? Nein, ich sehe sie nicht. Macht bezieht Positionen. Zugegeben: Ich bin künstlerische Leiterin der Salzburger Pfingstfestspiele und habe da die Möglichkeit, Künstler einzuladen und jedes Jahr unter einem neuen Thema etwas Schönes zu schaffen. Es ist wichtig, dass man Künstler hat, die sich da integrieren, das Thema lieben, daran teilhaben.
Das heisst: Erst die Intendantin hat Macht in der Musikwelt, nicht die einzelne Sängerin?
Oper ist immer eine Teamarbeit. Aber auch ein einzelner Sänger kann Ideen haben. Ich äussere sie – und daraus entwickelt sich bisweilen etwas. Ich rede oft mit dem Intendanten des Salzburger Sommerfestivals, mit Markus Hinterhäuser. Es ist ein Vergnügen, mit Intendanten zu arbeiten, die auch Musiker sind. Das ist selten. Da kommt es zu einem Austausch von Ideen. Aber habe ich Macht? Es geht mehr ums Wünschen.
Aber Sie haben die Macht zu sagen: «Ich singe im Mai 2021 ‹Tancredi›!», eine Rarität von Rossini. Jedes Opernhaus dieser Welt rollt Ihnen dafür den Roten Teppich aus.
Ich habe das ja gemacht: In Zürich haben wir Rossinis «Otello» aufgeführt. Aber es war schon schwierig, dafür eine Besetzung zu finden.
Welche Wünsche haben Sie für die nächsten Jahre? Wie wärs mit einer alten Idee, Georges Bizets «Carmen» – meinetwegen eine angeblich originalgetreue Aufführung mit einem Dirigenten wie Teodor Currentzis?
Die «Carmen»… ich bewunderte diese Oper, aber ich glaube, Bizet hat die schönste Musik nicht für die Titelheldin, sondern für Don José und für Micaela geschaffen: Carmen ist als Figur faszinierend, ihre Musik aber ist es weniger. Und diese Oper braucht wirklich grosse Schauspieler.
Solche wie Sie.
Danke, aber es braucht einen Regisseur, der rund um Carmen herum die Sinnlichkeit dieser Frau erschaffen muss. Die anderen Personen erschaffen quasi Carmen. Sie selbst hat es nicht nötig, zu zeigen, dass sie Carmen ist.
Was gibts sonst für Zukunftsideen?
Sicher ist: Ich muss auf die Stimme achten. Mit Rossinis «L’italiana in Algeri» habe ich lange gewartet: Das ist eine reife Frau, die kennt das Leben.
Es ist für Sie zwar ein neues Werk, aber auch eine Rückkehr zu Gioachino Rossini. Wir sprachen zu Beginn über Ihre perfekte Karriere, die so viele Überraschungen brachte. Soll das in den nächsten zehn Jahren so weitergehen?
Das Alter und die Erfahrung öffnen ganz neue Rollen: Eine 25-jährige Sängerin kann als Alcina nicht die Arie «Ah, mio cor» singen: Darin ist so viel Angst und Schmerz über den Liebesverrat. Das braucht eine gewisse Reife – nicht nur stimmlich, sondern auch intellektuell.
Wird Ihr Opernleben mit dem Alter also interessanter?
Sicher (lacht heftig)! Das wollten Sie also wissen.
Konzerte
Gioachino Rossinis
«La Cenerentola»
Fr, 14.9., 20.00
Fondation Pierre Gianadda Martigny VS
Am Lucerne Festival:
So, 16.9., 17.00 KKL Luzern
Vivaldi
Do, 15.11., 20.00
Fondation Pierre Gianadda Martigny VS
CD
Cecilia & Sol
Dolce Duello
(Decca 2017)
DVD
Rossini: Le Comte Ory
Opernhaus Zürich
(Decca 2014)