Salomes «Schleiertanz» wurde zu einer Ikone des erotischen Theaters. Bei der Salome der US-amerikanischen Sopranistin Heather Engebretson aber ist alles Tanz: Ein normales menschliches Gehen kennt diese Figur nicht – und gleicht darin einem Kinde. Und nicht nur darin. Sie wirkt blutjung und überaus zierlich, hat eine ungekünstelte Gestik und eine ausdrucksvolle Mimik. So sind Kinder: Man sieht ihnen sofort an, was sie denken und fühlen. Aber Vorsicht! Dieses Mädchen hat gelernt, wie man sich verstellt, sie hat erfahren, dass Trotzen und Quengeln oft nicht reichen, um ihren Wunsch durchzusetzen. Das Verstellen zu lernen war nicht schwer bei diesen Eltern – einem Königspaar wie aus dem Psychiatrie-Bilderbuch. Und so kommt es, wie es kommen muss: Salome kriegt, was sie will.
Ein Regisseur mit Hang zu Übertreibungen
Ob sie diesen Jochanaan wirklich will, ist dabei sekundär. Es genügt die Laune einer Sekunde, um die brüskierende Zurückweisung von seiner Seite in sein Todesurteil zu verwandeln. Von Liebe singt sie zwar; eine Idee, was das sein könnte, hat sie gerade von diesen Eltern aber nicht mitbekommen. Also tanzt sie, weil sie spürt, dass sie dabei Beachtung kriegt, spielt lasziv mit dem Saum ihres Ballkleidchens. Vor allem ihr Stiefvater Herodes kann nicht genug davon kriegen: Ständig tanzt sie vor seinen Augen. Und er verspricht ihr, was sie will, wenn sie nur weiter tanzt. So ist der «Schleiertanz» hier eigentlich keine grosse Verführungs- Pantomime, sondern bloss eine weitere Variante des alltäglichen Machtspiels einer perfekten Lolita. Wenn der deutsche Schauspieler und Regisseur Herbert Fritsch eine Oper inszeniert, kommt normalerweise eine Orgie aus Kalauer, Slapstick und Übertreibungen heraus. Zu sehen war das etwa in seinem «Freischütz» am Opernhaus Zürich oder Ligetis «Le Grand Macabre » in Luzern. Exaltiert sind Sprache, Gesten, Grimassen. Noch wilder war Purcells «King Arthur», ebenfalls in Zürich. Ein gefundenes Fressen für Fritsch, mit Magiern, Luftgeistern und einem trotteligen Ritter in scheppernder Rüstung. Kunterbunt die Kostüme, grell die Farben, und selbst die Übertitel lieferten laufend doofe Sprüche und anzügliche Kommentare.
Den Kalauer im Zaum gehalten
Aber er kann auch anders als lustig, dieser Herbert Fritsch. «Bitter» sei sie, die Geschichte der Salome, sagte er der «Luzerner Zeitung» vor der Premiere 2019 in Luzern: «Die Figuren bewegen sich alle auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und Lächerlichkeit. Da gibt es viele Momente, die saukomisch sein könnten. Gerade deshalb ist es nicht einfach, den richtigen Weg zu finden. Allzu sehr diese komische Seite auszuspielen, geht nicht.» Kurz vor der Pandemie konnte diese Produktion von Strauss’ erster Meisteroper noch Premiere in Luzern feiern. Jetzt kommt sie ans koproduzierende Theater Basel und erlaubt auch hier die Auseinandersetzung mit den dysfunktionalen Familienverhältnissen im Hause von Herodes, dem König von Judäa. Seine üblicherweise zügellos herumblödelnden Kalauer hat Herbert Fritsch diesmal im Zaum gehalten. Bei der judäischen Prinzessin und ihren Eltern ist auch viel Schmerz zu spüren. Traumata werden sichtbar, von denen wir nichts Genaueres wissen, die sich aber in der Gestik und Mimik dieser Lolita unübersehbar manifestieren und sie damit weit abheben vom Klischee der unbekümmert verführerischen Kindfrau.
Eine grandiose Rollenbesetzung
Fritsch geht diesmal tiefer, zeichnet ein eigentliches Psychogramm einer schwierigen Familiensituation und eines Kindes, das darin aufwächst: «Die Besessenheit, mit der Salome den Kopf des Jochanaan fordert, kann vieles bedeuten: Reife, weil sie erstmals eine eigene Entscheidung fällt, oder Verwahrlosung. Vielleicht zerstört sie, was sie begehrt, weil sie früher missbraucht wurde, was mir aber dann doch zu einfach wäre. Vielleicht steckt auch etwas vom Jähzorn drin, mit dem Kinder um Süssigkeiten quengeln und ihre Eltern zur Weissglut treiben.» Heather Engebretson jedenfalls spielt diese Salome grandios. Sie sei ein «Wunder», sagt Fritsch über seine Hauptdarstellerin: «Natürlich ist sie eine Frau, aber sie kann auf der Bühne so spielen, dass man glaubt, da steht ein zwölfjähriges Mädchen. Das habe ich so noch nie erlebt.» Die US-amerikanische Sopranistin ist auch in Basel die Salome. Jason Cox singt wiederum den Jochanaan, und auch der umsichtig-souveräne Dirigent Clemens Heil ist derselbe wie in Luzern.
Salome
Premiere: So, 2.10., 18.30
Theater Basel