kulturtipp: Nach zweieinhalb Jahren ist das Grand Théâtre renoviert: Wie ist der Blick zurück auf die Zeit in der Ausweichspielstätte?
Tobias Richter: Die Opéra des Nations war ein Riesenerfolg! Es kamen viele Menschen zu uns, die vorher nie in der Oper wa-ren – auch junge. Ein Teil des alten Publikums tauchte allerdings nur punktuell auf. Doch nach einer gewissen Zeit war der Zuspruch wie eine Lawine und alles sagte: «Dieses Haus darf nicht mehr weg!» Am Anfang war ich grössenwahnsinnig geschimpft worden, als ich ein eigenes Theater haben wollte. Nun wird das Haus zerlegt, eingepackt und nach China verkauft. Die Öffentlichkeit hat der ganze Zauber keinen Franken gekostet.
War es schlimm, dass sich die Bauarbeiten verzögerten?
Wir mussten die Spielsaison laufend umstellen, mehrere Projekte annullieren: Die «Ring des Nibelungen»-Planung musste ich gleich viermal ändern – ein Albtraum! Aber das Jammern nützt nichts, im Theater ist es so. Den Umzug in ein Provisorium habe ich an vier Theatern viermal erlebt: geplant und ausgeführt.
Jetzt herrscht erneut Aufbruchstimmung. Aber warum fahren so wenige Deutschschweizer Opernfreunde nach Genf?
Ist es die nationale Wahrnehmung? Der Genfer geht auch nicht nach Zürich. Oder höchstens einmal für Frau Bartoli. Genf ist hier in der romanischen Welt der wichtigere Begriff – bis nach Paris. Das Grand Théâtre ist national die internationalste Oper. Allerdings hängt das auch mit der Struktur zusammen: Man hat kein Ensemble, war immer eine Stagione-Bühne. Das heisst, dass man eine Oper mit anderen Häusern coproduziert, sie etwa achtmal spielt, bis sie vielleicht zwei Jahre später wieder aufgenommen wird. Aber im Stagione-Betrieb ist es schwierig, eine Produktion zu amortisieren, da man im Idealfall auf 20 Vorstellungen pro Produktion kommt.
Sie sind national die internationalste Oper – das fördert den Vergleich …
Dieses Haus ist kein Stadttheater, sondern das grösste Opernhaus der Schweiz. Unsere Bühne ist kompatibel mit Mailand, London, Paris und New York: Das sind die Häuser, mit denen wir Produktionen austauschen. Das ist kein Kriterium für die Qualität, aber für den Anspruch – und ein Kriterium für Notwendigkeiten, was das Budget angeht. Eine Produktion in Genf kostet mehr als in Zürich, weil es andere Volumina sind. Wir spielen etwa hundertmal, die Auslastung beträgt 90 Prozent, was für ein Haus mit 1600 Plätzen bei einem Einzugsgebiet von 500 000 Leuten ziemlich gut ist. Das Budget liegt bei 64 Millionen Franken.
Was ist für Sie ein guter Opernabend?
Ich möchte die Geschichte des Stückes erzählt kriegen, es muss Momente geben, von denen man sagt: «Das ist einmalig, das erlebe ich nicht noch einmal in dieser Form.» Ich will mitgerissen werden, und natürlich soll der Zuhörer das Gefühl haben, dass die Partien optimal oder hochinteressant besetzt sind. Das A und O ist, dass man sich nicht langweilt und dass es eine Geschichte wird.
Ist es die Geschichte, die man im Programm liest?
Nein, da wäre ich grosszügiger. Aber ich muss nicht Mozarts «Così fan tutte» in einem «McDonald’s» spielen lassen, damit man diese Geschichte versteht.
Wann griffen Sie als Theaterdirektor ein?
Wenn ich merkte, dass es in die falsche Richtung geht, wenn jemand das Stück nicht erzählte und es handwerklich nicht funktionierte, oder wenn die Sänger nicht zur Entfaltung kamen oder wenn eine Produktion finanziell aus dem Ruder lief. Wenn der Abend nicht funktioniert, dann lasse ich ihn nicht raus. Es gibt nun mal ein paar handwerkliche Kriterien. Aber ich mischte mich nicht ins Konzept ein, auch wenn ich etwas dazu sagte. Ich lade auch nicht Regisseure ein, weil man die jetzt gerade überall einlädt. Theater ist eine subjektive Angelegenheit, ich will gewisse Aufführungen hier sehen.
Wie viel Glamour, wie viele Stars erträgt die Oper?
Oper ist eine Kunstform, die mit Kulinarik zu tun hat – das war schon immer so. Sie müssen auch hier in Genf Stars bringen. Und die meisten von ihnen sind dann ja auch gut. Aber es gibt Exzesse: Gewisse Leute, die meinen, jetzt seien sie berühmt, verlangen jeden Betrag. Da muss ich konsequent sein. Genf hatte nie das Problem, nicht mithalten zu können mit den Gagen, aber ich praktizierte ein strenges Regime.
Ihr Nachfolger Aviel Cahn hat grosse Pläne für Genf.
Aviel hat enorm viel Verve und Ideen, aber er hat dasselbe Problem wie alle: Wer viel ankündet, muss dann auch liefern.
Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen
Wiederaufnahme (Inszenierung Dieter Dorn & Jürgen Rose, 2012–2014)
Grand Théâtre de Genève
Zyklus 1
«Das Rheingold»/«Die Walküre»: bereits aufgeführt
«Siegfried»: Fr, 15.2., 18.00
«Götterdämmerung»: So, 17.2., 15.00
Zyklus 2
«Das Rheingold»: Di, 5.3., 19.30
«Die Walküre»: Mi, 6.3., 18.00
«Siegfried»: Fr, 8.3., 18.00
«Götterdämmerung»: So, 10.3., 15.00
Zyklus 3
«Das Rheingold»: Di, 12.3., 19.30
«Die Walküre»: Mi, 13.3., 18.00
«Siegfried»: Fr, 15.3., 18.00
«Götterdämmerung»: So, 17.3., 15.00
Tobias Richter
Seit fast 50 Jahren arbeitet der 65-jährige Tobias Richter – Sohn des Dirigenten Karl Richter – für die Oper: Er hat inszeniert und Opernhäuser in Kassel, Bremen und Duisburg geleitet. In Genf, wo er seit 2009 Intendant ist, hat er mit der Renovation des Grand Théâtre gerade ein fast 70 Millionen teures Jahrhundertprojekt hinter sich: Die Foyers glänzen wieder wie einst, die gastronomischen Räumlichkeiten wurden neu gestaltet, die Büros und Probenräume renoviert. In Zukunft wird Richter dem Concours Geza Anda vorstehen.