Beim Altdorfer Neujahrskonzert wird anders als vielerorts nicht das Walzer-Repertoire von Johann Strauss abgespult oder Operetten-Seligkeit von Franz Lehár und Co. zelebriert. Veranstaltet wird das Neujahrskonzert alle zwei Jahre vom Förderverein junger Musikerinnen und Musiker, hinter dem als Präsident der Urner Garagist Karl Baumann steht. Ein junger Solist oder eine junge Solistin erhält hier eine Plattform für ein Porträtkonzert, das über den normalen Solokonzertauftritt mit Orchester hinausgeht.
Eine reine Solokarriere ist kaum möglich
Dieses Jahr fiel die Wahl auf Valeria Curti. Sie ist 28 Jahre jung, wuchs als Kind italienischer Eltern in Brugg auf, unterrichtet an der Hochschule für Künste Bern und spielt als Solofagottistin im Orchester Musikkollegium Winterthur. Auftritte als Solistin sind selten, denn das Fagott darf im normalen Repertoire-Betrieb kaum je als Soloinstrument ins Rampenlicht treten.
«Wir haben natürlich sehr viele wunderbare Solostellen in den Orchesterwerken, etwa bei Schostakowitsch oder Strawinsky», sagt Valeria Curti dazu. «Aber eine reine Solokarriere mit diesem Instrument anzustreben, wäre kaum möglich.» Allein schon die Agenturen winken ab: Fagott lässt sich nicht verkaufen.
Und wenn die Sinfonieorchester dann tatsächlich mal eines der wenigen klassischen Fagottkonzerte programmieren, dann erhalten in der Regel die Solofagottisten aus den eigenen Reihen die Gelegenheit zum raren Soloauftritt. Kommt hinzu, dass das Repertoire nicht sehr breit ist. In der Barockzeit ist das Fagott noch gerne als Soloinstrument eingesetzt worden: «Allein von Vivaldi gibt es 39 Fagottkonzerte», erklärt Curti, «mehr als für jedes andere Instrument ausser der Geige».
Aber in der Klassik und Romantik konnte das Fagott nur wenige Komponisten wie Mozart, Carl Maria von Weber oder Rossini zu Solokonzerten inspirieren. Das liege auch daran, dass das Instrument bis ins 20. Jahrhundert nur wenig weiterentwickelt worden sei, sagt Curti: «Für ein grosses romantisches Orchesterkonzert war das Instrument damals zu wenig strahlkräftig.
Im 20. Jahrhundert aber hat man im Instrumentenbau auch beim Fagott grosse Fortschritte gemacht: Heutige Instrumente haben sehr viel Kraft, und man kann sich damit sehr gut durchsetzen gegen das Orchester.» Valeria Curti spielt zwar neben ihrem modernen Instrument auch Barockfagott und ein historisches Fagott von 1893. Aber für ein Programm mit einem Sinfonieorchester, das auf modernen Instrumenten spielt, greift sie ebenfalls zum modernen Fagott, selbst wenn das Repertoire aus dem 19. Jahrhundert stammt.
Einen bunten Strauss hat sie für ihr Altdorfer Neujahrskonzert zusammengestellt. Den Kern bildet eines der wenigen grossen Fagottkonzerte der Klassik, jenes von Johann Nepomuk Hummel. «Es ist das grösste und anspruchsvollste unter den klassischen Konzerten, grösser als die von Mozart oder Weber. Es ist technisch ziemlich schwierig, hat aber auch viele gesangliche Passagen, was mir sehr gefällt.»
«Ich versuche, mit dem Fagott zu singen»
Das Singen war es, was die musikbegeisterte Valeria Curti zuerst fesselte: «Mein Traum war es eigentlich, Opernsängerin zu werden. Viele Menschen sagen, das Fagott entspreche der menschlichen Stimme am meisten, und ich versuche, mit dem Fagott auch immer zu singen. Es hat sehr viele Farben, die man zeigen kann.» Mit sechs entdeckte sie das Fagott für sich, aber sie war noch zu jung für dieses Instrument.
Erst lernte sie Cello, bis sie alt genug war für die Anforderungen des Doppelrohrblatts. Dann aber ging es rasch: Als Jungstudentin wurde sie bei Matthias Rácz in Zürich ausgebildet, später studierte sie unter anderem beim FagottGrossmeister Sergio Azzolini in Basel. In ihrem Urner Neujahrsprogramm stellt sie dem Hummel-Konzert zwei unbekannte Werke für Fagott und Streicher zur Seite, die sie selber arrangiert hat. Einerseits eine Sonate von Philipp Friedrich Böddecker aus dem Frühbarock, ein Werk, das Curti als «festlich und schön» umschreibt.
Andererseits ein «Notturno sentimentale» des Italieners Antonio Torriani. «Er war Fagottist an der Mailänder Scala und ein Freund von Verdi. Er hat einige Stücke für Fagott und Klavier komponiert. Die Begleitung in seinem Notturno wirkt sehr orchestral, mit Tremoli zum Beispiel. Das hat mich bewogen, es für Fagott und Streichorchester zu arrangieren. Es ist sehr opernhaft und könnte auch eine Tenor-Arie sein.»
Auf steter Suche nach Exquisitem
Valeria Curti taucht gerne in Archive und Bibliotheken ab und forscht nach neuer Literatur für ihr Instrument: «Ich bin ständig auf der Suche nach unbekannten und vergessenen Werken für Fagott. Auch die Stücke von Torriani sind noch nicht editiert worden.»
Und neben unbekannten Trouvaillen darf es durchaus auch ganz neue Musik sein: Bei der jungen Schweizer Komponistin Marylène Müller hat sie ein Werk in Auftrag gegeben, das sie im April in Boswil zur Uraufführung bringen wird. Dort spielt sie mit ihrem Trio Lusinea. Dieses wartet mit einer wahrlich exquisiten Besetzung auf: Flöte, Fagott und Harfe. Und sogar für diese rare Instrumentenkombination hat Curti originale Werke gefunden, etwa bei der Genfer Komponistin Marguerite Roesgen-Champion.
Auf dem Boswiler Programm steht auch eine Fagottsonate von Charles Gounod, die Valeria Curti wieder zum Leben erweckt: «Wenn man von einem bekannten Komponisten vergessene Werke für Fagott findet, ist das natürlich besonders toll und auch für das Publikum attraktiv.»
Konzerte mit Valeria Curti
Urner Neujahrskonzert mit der Camerata Schweiz unter Kevin Griffiths
Mo, 1.1., 17.00
Theater Uri Altdorf
«Fagottify» mit dem Pianisten Seif El Din Sherif
Sa, 20.1., 19.30
Rathaussaal Brugg AG
So, 28.1., 17.00
La Prairie Bellmund BE
So, 4.2., 17.00
Langgasse 1 Winterthur ZH
Meisterkonzert Boswil mit dem Trio Lusinea und dem Pianisten Gilad Katznelson
So, 14.4.,17.00
Künstlerhaus Boswil AG
www.valeriacurti.com
Klangvolle Neujahrskonzerte
Tonhalle-Orchester, Alondra de la Piarra: Piazzolla, Gershwin, Bernstein u. a.
Sa, 30.12., 19.30 / So, 31.12., 19.00 Tonhalle Zürich
Zürcher Kammerorchester, Cameron Carpenter (Orgel): Händel, Bach u. a.
So/Mo, 31.12./1.1. Jew. 17.00 KKL Luzern
Berner Sinfonieorchester, James Conlon: Nicolai, Weber, Dvorák, Strauss
Mo/Di, 1.1./2.1., jew. 17.00 Casino Bern
Sinfonieorchester Basel, mit Daniel Behle und Daniela Fally: Strauss, Kálmán, Saint-Saëns u. a.
So, 31.12., 18.30 / Mo, 1.1., 18.00 Stadtcasino Basel
Sinfonieorchester St. Gallen, Adam Hickox: Strauss, Elgar, Sullivan u. a.
Mo, 1.1., 17.00 Tonhalle St. Gallen
Musikkollegium Winterthur mit Barbara Hannigan: Berlioz, Fauré, Offenbach
Sa, 6.1., 19.30 Stadthaus Winterthur ZH