An diesem heissen Tag ist Bregenz voller Touristen. Aus dem Durchgang zur Seebühne erklingt Giacomo Puccinis «Madame Butterfly», vor dem Festspielhaus wartet eine Gruppe Jugendlicher. Schon wird das grosse Verpflegungszelt aufgebaut, denn am 20. Juli geht es los, rund 250 000 Menschen werden dann zu den Bregenzer Festspielen kommen.
Nur gerade 20 bis 25 Prozent der Aufwendungen für das Festival mit seinen zahlreichen Spielstätten stammen aus Subventionen, den grossen Rest muss es selber finanzieren. «Das bedeutet: Nur was wir auf der Seebühne mit ‹Madame Butterfly› erwirtschaften, können wir in unsere anderen Vorhaben stecken», sagt die Intendantin Elisabeth Sobotka in ihrem Büro weit oben im Festspielhaus, wo sie auf die beeindruckende Kulisse zu Puccinis Oper blicken kann.
Sobotka lockt mit sicherer Hand die Massen an
Elisabeth Sobotka macht trotz all den anstehenden Proben und Premieren einen gelassenen, beinahe fröhlichen Eindruck. Sie kann sich, wenn es um grosse, aber leider allzu oft von der Nachwelt vergessene Kunst geht, rasch in eine regelrechte Opernbegeisterung reden. 2015 hat die studierte Musikwissenschafterin nach Stationen in ihrer Heimatstadt Wien, in Berlin und als Intendantin an der Oper Graz die Nachfolge von David Pountney bei den Bregenzer Festspielen angetreten. Seither hat sie mit Puccinis «Turandot», Bizets «Carmen» und zuletzt Verdis «Rigoletto» draussen am See mit sicherer Hand die Besuchermassen angelockt.
Drinnen im Festspielhaus hat sie derweil ihre besonderen Fundstücke präsentiert: etwa Franco Faccios «Hamlet», Jules Massenets «Don Quichotte» oder Arrigo Boitos «Nero». Für dieses Jahr hat sie «Sibirien» von Umberto Giordano ausgegra-ben – eine Oper, die man in Russland gut kennt, ausserhalb aber gar nicht. Aus Russland kommen auch Dirigent Valentin Uryupin und Regisseur Vasily Barkhatov. Es sind politisch unverdächtige Künstler, wie Elisabeth Sobotka versichert. «Uryupin hat sich gegen den Krieg ausgesprochen.» Für sie ist klar, dass die russische Kultur gepflegt werden muss, das Konzertprogramm mit viel russischer und auch japanischer Musik bleibt denn auch unverändert.
Um «Madame Butterfly» und «Sibirien» gruppieren sich moderne Werke von Johannes Kalitzke, Brigitta Muntendorf und Moritz Lobeck auf der Werkstattbühne, Opern von Rossini und Haydn im Opernstudio am Kornmarkt – und neu auch eine Orchesterakademie. Und weil Elisabeth Sobotka in zwei Jahren Bregenz verlassen wird, um in Berlin die Leitung der Staatsoper zu übernehmen, liegt die Frage nahe, was denn einmal ihr Erbe sein soll. «Erbe?», fragt sie, ein ausgesprochener Teammensch, ungläubig zurück. «Ich denke nicht in solchen Kategorien. Das Schöne am Theater ist es ja gerade, dass es so wunderbar flüchtig ist. Und im Augenblick, da es entsteht, auch schon wieder vergeht.» Es existiere zwar weiter, aber «nur» als Erlebnis, in Kopf und Gemüt.
Um dieses Erlebnis kreist ihre Arbeit und diejenige ihres Teams. Wundervoll sinnliche, zuweilen spektakuläre, dann wieder sehr intime Inszenierungen sind daraus hervorgegangen. Das wird, so hofft Elisabeth Sobotka, auch bei Giordanos heftigem Liebesdrama der Fall sein, das in ein Straflager nach Sibirien führt. Was bedeutet Krieg, was Verfolgung? Um diese Fragen dreht sich Barkhatovs Regie.
300 Tonnen schweres Bühnenbild
1904 an der Mailänder Scala uraufgeführt, trennen Giordanos glühende Klänge Welten von Puccinis mit japanischen Elementen angereicher-
ter musikalischer Sprache. In jedem Ton spiegelt sich in «Madame Butterfly» das Drama der gegen alle Warnzeichen liebenden, von ihrem Ehemann, dem US-Marineleutnant Pinkerton, im Stich gelassenen Geisha Cio-Cio-San. Ob die dem imperialistischen Zeitalter entstammende Tragödie nicht zu fein gewirkt ist für die grosse Seebühne? «Oh, nein», sagt Elisabeth Sobotka entschieden. «Puccini schreibt grosse, farbige, emotionale Musik, und man darf jetzt nicht versuchen, die Musik zu übersetzen in etwas Grosses.» Als der Regisseur Andreas Homoki gesagt habe, es gehe nicht um Vergrösserung, man müsse das Stück vielmehr übersetzen in eine andere Sprache, «da wusste ich, es kann klappen. Zumal vor diesem kongenialen Bühnenbild von Michael Levine».
Dorthin führt nun Sobotkas Stellvertreter Michael Csar. Er erzählt, wie über Skizzen, Modelle und Computersimulationen eine von Stahlträgern gestützte, rund 300 Tonnen schwere und 23 Meter hohe Wand entstanden ist, die an ein achtlos weggeworfenes, mit einer zarten japanischen Tuschzeichnung versehenes Blatt Papier erinnern soll. Von vorne nicht sichtbar, gibt es mehrere Ausstiege. Es gibt flache, mit Markierungen gekennzeichnete Gehwege und 47 versteckte Lautsprecher. Mit schlafwandlerischer Sicherheit soll Cio-Cio-San sich an diesem Ort tiefer Einsamkeit bewegen, sie soll Liebe, Hoffnung, Enttäuschung durchleben in ihrer riesigen, stimmlich wie emotional enorm fordernden Rolle.
5000 Jugendliche vor der Opernbühne
Auf dem Rückweg erzählt Michael Csar, was es mit der Gruppe Jugendlicher vor dem Festspielhaus auf sich hat. Bei den Bregenzer Festpielen gibt es zahlreiche Angebote für junge Menschen, die Jahr für Jahr von etwa 7000 Kindern und Jugendlichen wahrgenommen würden. Den Höhepunkt stelle die «Crossculture Night» dar: «Das ist der Abend vor der Hauptprobe, wenn ‹Madame Butterfly› zum ersten Mal vor Publikum gespielt wird. 5000 Jugendliche vor einer Opernbühne, wo sonst gibt es das?»
Bregenzer Festspiele
Mi, 20.7.–So, 21.8.
www.bregenzerfestspiele.com