Antonino Fogliani ist wohltuend aus der Zeit gefallen. Karriere? Er setzte alles auf die Karte «Oper» und spezialisierte sich zudem auf Rossini, Donizetti und Bellini. «Aussichtslos!», hätte ihm jeder Agent gesagt. «Ich bin stolz darauf!», sagt der bald 45-jährige Italiener und fügt an: «Es war der schwierigste Weg, aber jetzt sehe ich: Es war der richtige.»
Ein Dirigent für das 21. Jahrhundert
«Jetzt» nämlich hat er es geschafft, endlich haben die grossen Opernhäuser gemerkt, welch sanft-dramatische Grossartigkeiten er in den Werken sieht und wie er sie aus dem Orchestergraben zaubert. Fogliani dirigiert in London, München und Zürich Opern – und bleibt sich glücklicherweise treu. «Ich kann meine Vergangenheit nicht ändern – und werde mich wohl auch nicht ändern.»
Redet er über die Klassikwelt, merkt man, wie modern er ist, wie sehr er ins 21. Jahrhundert passt. «Wir Dirigenten haben so viele Privilegien, es schien gar, wir ständen über den anderen Musikern. Und es gibt tatsächlich Dirigenten, die in die Macht verliebt sind. Mich interessiert sie nicht. Mache ich Musik, gefällt es mir, meine Macht ohne Gewalt zu gebrauchen: Wenn ich mit einer Armbewegung erreiche, dass ein Orchester jenen Klang erschafft, den ich will, habe ich alles erreicht. Es geht darum, der Musik Gutes zu tun.»
In Zürich hat er Jacques Offenbachs «Les Contes d’Hoffmann» dirigiert. Die Oper wurde live gestreamt und ist bis Ende April auf der Opernhaus-Website zu sehen. Leider steht Fogliani nicht im Orchestergraben, sondern wegen der Massnahmen gegen Covid-19 im Probesaal: Der Klang von Chor und Orchester kommen via Glasfaser auf die Bühne. Fogliani betont, es brauche nun eine zusätzliche Solidarität. «Keiner kann eine Show abziehen, es gilt, miteinander Musik zu machen, sich zu helfen.» Er kann auf Erfahrung bauen, hat er doch bei den Festspielen in St. Gallen und Bregenz ähnlich agiert. «Jeder musste dort ein wenig zurücktreten. Vielleicht waren wir uns dadurch näher als sonst.»
«Der Dirigent muss die Energien spüren»
Die Einschränkungen gibt es durchaus, Fogliani aber erwähnt sie bloss nebenbei, fragt vielmehr, wie man denn eigentlich ganz allgemein gute Musik mache – und gibt die Antwort gleich selbst: «Man muss die Freiheit geniessen, eine innere Freiheit. Das heisst aber nicht, dass ich machen kann, was ich will. Ich muss immer etwas für die Musik machen, nicht für mich, nicht für mein Ego.»
Naturgemäss stände er hundert Mal lieber im Graben, hätte das Publikum im Rücken. «Streams sind für alle schwierig: für jene, die sie machen, aber vor allem auch für jene, die sie schauen. Ich hoffe, das Publikum merkt, wie schwierig es auch für uns Künstler ist. Theater ist ein Ritus, eine Messe: Der Dirigent muss die Energien spüren.»
Manchmal dirigierte er Repertoirevorstellungen und dachte, hinter seinem Rücken sitze gar niemand, da es so still gewesen sei. «Schlafen die alle», fragte er sich dann, «oder sind sie gar …?» «Aber jetzt vermisse ich selbst solche Vorstellungen. Auch in Parma ging ich schon heim, fluchte über die bösen Opernfreunde, die über den Tenor gelacht hatten, gegen mich gewesen waren. Selbst sie fehlen mir jetzt.»
Das Covid-Jahr war für Antonino Fogliani ein «disastro» – eine Katastrophe. Das so wichtige Debüt an Londons Opernhaus Covent Garden wurde gestrichen, weitere Abende in Düsseldorf, wo er das Amt des Principal Conductor innehat, gingen verloren. Und doch räumt er ein, dass er ausser in den ersten Wochen damals im März 2020 auch Ruhe gefunden habe, irgendwann begriff er: «Ich kann nichts machen, also schaltete ich runter.» Es sei unnötig gewesen, zu leiden und zu jammern, sondern er akzeptierte den Stopp, studierte Partituren und ruhte sich aus. «Ich tat ziemlich viel in den letzten Jahren, die nächtlichen Reisen von Dresden nach Düsseldorf, nach München … Alles ging schnell. Und vielleicht gab ich auch auf meinen Körper, auf meinen Geist nicht so viel acht.»
Er bedauert junge Kollegen, die gerade erst begonnen haben. «Wir, die in der Karriere weiter, eigentlich sicher sind, werden nun vorgezogen. Für ein Streaming nimmt man einen etwas berühmteren Künstler, will wenigstens etwas Aufsehen erregen. So ist die Klassikwelt nun mal.» Das ist überall zu beobachten, ob in der Schweiz, in Russland oder anderswo.
Kommt man auf seine Heimat zu sprechen, hört das Gegenüber Bemerkungen zwischen Zynismus und Sarkasmus. Geradeaus bekennt er: «In Italien läuft zu viel konfus. Unser Land ist krank und undankbar, Italien hat keinen Stolz mehr. Die Politik hat keine Ideen, wie mit Kultur umzugehen ist. Ich liebe Italien, aber zwischen mir und dem Land ist etwas kaputtgegangen.» Und so hat er denn keine Lust mehr, oft in Italien zu sein, obwohl italienische Orchester eine einzigartige Sensibilität für italienische Musik hätten – «wenn sie Lust haben», fügt er an.
«Ich fühle mich im Norden nützlicher»
Gefragt, ob es denn besser sei, wenn er sein italienisches Musikdenken in den Norden bringe, statt in Italien als Marke zu feiern, sagt er trocken: «Ich fühle mich im Norden nützlicher.» Dann erzählt er, wie er in München Donizettis «Lucia di Lammermoor» dirigierte und die Musiker ihm sagten: «Wir dachten nicht, dass diese Musik so schön ist.» Fogliani dazu: «Ich hatte ihnen bloss gesagt: Tut so, als ob ihr Schubert spielen würdet. Und sie waren wie verwandelt.»
CDs
Francesco Morlacchi
Tebaldo e Isolina
(Naxos 2020)
Gioachino Rossini
Maometto II
(Naxos 2018)
Vincenzo Bellini
Bianca e Gernando
(Naxos 2017)
Stream
Les Contes d’Hoffmann
Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Inszenierung: Andreas Homoki
Bis Fr, 30.4.: www.opernhaus.ch