Nein, das Konzert ist nicht an einem Freitag. Und sie spielen auch nicht überdurchschnittlich häufig an Freitagen, die Musiker des Berner Barock-Ensembles Die Freitagsakademie. Ihren Namen haben sie hergeleitet von einer Konzertreihe, die der Komponist Johann Gottlieb Janitsch (1708–1762) ab 1736 in der Nähe von Berlin etablierte. Die Musiker rekrutierte er aus den Kollegen von der Hofkapelle des Kronprinzen Friedrich, zu den Konzerten hatte nicht nur der Hof Zugang, auch Bürgerliche waren willkommen.
Weg von der höfischen Veranstaltung
Als sein Dienstherr 1740 dann als Friedrich II. den preussischen Thron bestieg, dislozierte Janitsch mit ihm nach Berlin und etablierte dort ebenfalls eine freitägliche Konzertreihe. Sie markiert in Deutschland einen wichtigen Schritt in der Geschichte des Konzerts, weg von der höfischen hin zur bürgerlichen Veranstaltung. Der Titel «Akademie» übrigens für eine solche Konzertveranstaltung war nicht unüblich. In Mannheim oder München heissen traditionsreiche Konzertreihen noch heute so, auch in Wien haben Mozart oder Beethoven ihre frisch komponierten Werke gerne unter diesem Etikett der interessierten Öffentlichkeit präsentiert.
Alt ist nicht die Musik, nur die Partitur
Es war ein Novemberabend im Jahr 1993, als die aus Graz stammende Oboistin Katharina Suske mit befreundeten Musikern am Küchentisch sass und der Wunsch entstand, zusammen Barockmusik zu spielen. Vorbild waren die Pioniere der historischen Aufführungspraxis, etwa Gustav Leonhardt in Holland oder Nikolaus Harnoncourt in Wien. Auch die vorerst kleine Berner Musiker-Clique entschloss sich, die Musik vom 17. bis zum frühen 19. Jahrhundert mit Hilfe alter oder nach den Vorbildern der jeweiligen Epochen nachgebauter Instrumente wieder so lebendig werden zu lassen, wie sie wahrscheinlich damals erklungen ist. «Es gibt keine alte Musik», ist bis heute ihr trotziges Motto geblieben. Alt sei höchstens die Partitur, die Musik müsse immer neu erfunden und immer von Neuem gedacht werden. Will heissen: Diese Musik ist noch genauso frisch wie zu ihrer Entstehungszeit, wenn man sie so aufführt und auflädt mit dem Geist ihrer Epoche, durchaus aber auch mit dem Bewusstsein, dass man für heutige Ohren spielt. «Die alten Instrumente helfen einfach dabei, den Gehalt der Musik zu finden», sagt Katharina Suske. Denn in den Noten steht längst nicht alles: «Man muss ganz viel wissen, um zum Kern dieser Musik vorzudringen. Und das unterscheidet uns von anderen Musikern, weil wir sehr viel Zeit damit verbracht haben, die Musik dieser Epochen auf den Instrumenten ihrer Epochen zu spielen. Es ist wie im Jazz: Da spielt man auch ganz anders als das, was notiert ist, weil man aus Erfahrung gelernt hat, wie das zu verstehen ist und was den wirklichen Reiz ausmacht.» Der Vergleich mit dem Jazz passt auch sonst: Die Interpretationen der Freitagsakademie stecken voller Bewegung, voller Emotionen, die Stimmungen wechseln jede Sekunde, kurz: es groovt. «Alles ist möglich», sagt Katharina Suske. «Das ist Popmusik des 18. Jahrhunderts.»
Mit Kollegen aus ganz Europa
Seit 2002 hat Die Freitagsakademie in Bern ihre eigene Konzertreihe. Blasinstrumente geben den Ton an, aber die Besetzungen sind sehr verschieden. Das Ensemble lädt Kollegen aus ganz Europa ein und ist sehr gut im europäischen Netzwerk der Originalklang- Szene integriert. Die Musik des 18. Jahrhunderts ist der Kern in seiner Programmierung, der es seit nun fast 30 Jahren treu geblieben ist. Aber Berührungsängste kennt es keine. Mit Tänzerinnen oder bildenden Künstlern hat es sich wiederholt eingelassen oder den Soundtrack zu Puppentheatern mitgestaltet. Und es kann gut sein, dass man das Ensemble plötzlich auch in der Uraufführung eines zeitgenössischen Komponisten antrifft. In La Chaux-de-Fonds präsentiert das Ensemble nun ein Programm, das es 2017 unter dem Titel «Wiener Klassik» auf CD eingespielt hat. Es dreht sich um Quintette für vier Holzblasinstrumente und Klavier, eine Besetzung, die nicht wirklich sehr verbreitet war. Aber es gibt sowohl von Mozart wie von Beethoven einen Beitrag zu dieser Gattung, dem ein Quintett von deren deutschen Zeitgenossen Franz Danzi zur Seite gestellt wird. Die CD übrigens hat mit dem «Diapason d’Or de l’Année» einen der international renommiertesten Preise gewonnen. Auch sonst sorgen die Einspielungen des Berner Ensembles immer wieder für Furore. Ganz aktuell «Lost and found» mit neuen Instrumentalkonzerten von Bach. Wobei: Neu ist nicht die Musik an sich, nur die Besetzungen der Soloinstrumente wurden aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen so angepasst, wie sie Bach selbst aufgeführt haben könnte. Wenn man den Bernern zuhört, ist man sicher, dass er es genau so getan hat.
Konzert:
Die Freitagsakademie
Bläserquintette und Duos von Mozart, Beethoven und Danzi
Di, 25.10., 19.30 Salle de Musique, La Chaux-de-Fonds NE
www.freitagsakademie.com
CD:
J.S. Bach
Rekonstruierte Konzerte (DHM 2022)
Die Konzerte der Société de Musique
Seit 130 Jahren existiert die Société de Musique in La Chaux-de-Fonds und veranstaltet hochkarätige Klassik-Konzerte in der wegen ihrer ausgezeichneten Akustik weltberühmten Salle de Musique. Nach der Saisoneröffnung mit der Freitagsakademie ist am 24.11. die französische Sopranistin Sandrine Piau mit Liedern aus der französischen Romantik zu Gast. Unterstützt wird sie vom Orchestre Victor Hugo unter Jean- François Verdier. Als weitere Saison-Gäste werden Pianist Nelson Goerner und Dirigent Philippe Herreweghe mit Mendelssohn (1.12.), Cellist Jean-Guihen Queyras mit Alexandre Tharaud als Begleiter (19.1.) oder Geiger Frank Peter Zimmermann mit den Berliner Barocksolisten (28.2.) erwartet.
www.musiquecdf.ch