Die Geschichte ist mittlerweile oft erzählt worden: Bei einer Sendung von Satiriker Jan Böhmermann im «Magazin Royal» des ZDF traten 2021 Igor Levit und der deutsche Rapper Danger Dan gemeinsam auf. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, die zwei Künstler ganz unterschiedlicher Herkunft, aber mit ähnlicher Geisteshaltung – gegen Antisemitismus, Neonazis, Sexismus, Nationalismus – zu Freunden gemacht hat. Als Igor Levit im Jahr darauf den CD-Preis Opus Klassik entgegennehmen durfte, lud er Danger Dan ein, die Laudatio zu halten.
Gerade nett war er nicht, der Rapper. Sehr zu Levits Freude bezeichnete er AfD-Sympathisanten als «Vollidioten» – was das ZDF aus der Rede strich und damit einen Shitstorm erntete. Aber davor hatten auch Igor Levit und seinesgleichen ganz schön Haue bezogen: «Musikalische Wiederkäuer» nannte Dan die Klassikstars, die ihre Kreativität gegen «totliebende Perfektion» eintauschen würden und ihn «enorm langweilten». Der russisch-jüdische Pianist Igor Levit, der seit 30 Jahren in Deutschland lebt, kann so was einstecken.
Er ist selbst einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. So folgten weitere gemeinsame Auftritte. Und nun lädt Levit den Rapper an sein Luzerner Klavier-Fest ein, wo er das abendfüllende Programm «Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt» aufführen darf.
Darin spielt der Rapper auch Klavier, womit er die Anforderungen an ein Klavier-Fest erfüllt – jedenfalls beinahe: Gross geworden ist Danger Dan in der Hip-HipBand Antilopen Gang. Wirklich Klavier spielen konnte er kaum, das hat sich aber geändert dank dem neuen Freund. Igors Tipp: üben, üben, üben!
Raum für spontane Einlagen
Und den Vorwurf des «Wiederkäuers» lässt Levit auch nicht so einfach auf sich sitzen, wie er im Gespräch sagt: «Das stimmt schon, ich kaue gewisse Dinge ein Jahr lang durch, und dann kaue ich neue Dinge ein Jahr lang durch. Und Danger Dan hat sein Album mit 20 Liedern, und die kaut er jetzt genauso durch. Die Musik, die ich spiele, ist älter, und sie wurde nicht von mir geschrieben.
Aber für alle Musik gilt: Ohne, dass wir sie spielten, wäre die Musik einfach nur tot.» Levits Luzerner Klavier-Fest ist als Begegnungsfestival konzipiert. Zwar gibt es traditionelle Konzertprogramme mit meist festgelegten Werkfolgen. Die Künstler, unter ihnen etwa auch die Jazzpianistin Johanna Summer oder Levits Meisterschüler Lukas Sternath, sind während der vier Festivaltage stets präsent, hören einander zu, sind sicht- und greifbar.
Und mindestens im programmatisch offenen Abschlusskonzert gibt es Raum für spontane Einlagen und möglicherweise unerwartete Begegnungen: Dan am Klavier, Igor als Rapper …
«Das Klavier ist meine Sicherheitszone»
Die Erfahrungen mit der Rapszene hätten ihn schon verändert, sagt der 37-Jährige. Das Klavier sei seine Sicherheitszone, da fühle er sich zu Hause. Bei jener Fernsehsendung von Jan Böhmermann sei er viel nervöser gewesen wegen des Interviews als wegen des Auftritts am Klavier. Seither haben Danger Dan und Levit öfter miteinander gespielt, und der Pianist fühlte sich aufgehoben: «Die Leute waren so entspannt und gelöst.
Es ist eine Familie, ein Team, das die Bühne zum Leben erweckt.» Levit wünschte sich, dass er sein Konzertleben als Pianist, der in der Regel alleine unterwegs ist, ähnlich gestalten könnte: «Diese Musiker haben mir nicht nur imponiert, die Begegnungen haben mich in eine Veränderungsspirale gerissen, von der ich noch nicht weiss, wo sie hinführt.»
Im Dokfilm «No Fear» von 2022 begleitet Regina Schilling ihn in seinem Leben als reisender Konzertpianist, bei Proben und Gesprächen mit Dirigenten, bei Aufnahmesitzungen und Diskussionen mit den Tonmeistern. Letztes Jahr kam das schön komponierte «Fantasia» auf den Markt, mit Musik, die von Bach ausgeht und sich nach Schubert und Liszt bei Alban Berg wiederfindet. Klavierkunst voll von Spontaneität, Nachdenklichkeit und einer undogmatischen Offenheit.
Mit Musik gegen die Sprachlosigkeit
Und dann kam jener 7. Oktober und der Angriff der Hamas: «Die ersten vier, fünf Wochen nach dem Anschlag habe ich in einer Mischung von Sprachlosigkeit und totaler Paralyse verbracht», sagt Igor Levit dazu. «Und irgendwann war klar, ich habe keine anderen Instrumente als Klavier und Musik, um als Künstler zu reagieren.»
Er ging ins Studio und spielte eine persönliche Auswahl von Mendelssohns «Liedern ohne Worte» ein, deren «leise Melancholie» ihm selbst immer wieder Trost spenden würde. «Es ist meine Reaktion als Mensch, als Musiker, als Jude auf das, was ich in den letzten Wochen und Monaten gespürt habe.» Der Erlös aus dem Verkauf dieses Albums kommt zwei Organisationen zugute, die sich in Deutschland gegen Antisemitismus einsetzen. Im November reiste er nach Tel Aviv, um für die Familien der Geiseln zu spielen, und organisierte Solidaritätskonzerte.
Die Notwendigkeit zur Stellungnahme und zur gesellschaftlichen Verantwortung als Künstler sieht er mehr denn je: «Ich bin überzeugt, dass Musik nicht im luftleeren Raum entsteht und auch nicht im luftleeren Raum aufgeführt wird.»
Lucerne Festival
Klavier-Fest
Mit Igor Levit, Berliner Barock Solisten, Danger Dan, Lukas Sternath, Johanna Summer
Do, 9.5.–So, 12.5., KKL Luzern
www.lucernefestival.ch
Alben
Igor Levit
Mendelssohn/ Alkan
Lieder ohne Worte (Sony 2024)
Igor Levit
Fantasia Klavierwerke von Bach, Schubert, Liszt, Berg, Busoni (Sony 2023)