kulturtipp: Marco Amherd, besuchten Sie in den letzten Wochen Konzerte?
Marco Amherd: Ja, ich hörte das Tonhalle-Orchester Zürich in der Maag-Halle zum Saisonfinale mit Paavo Järvi und fand es spannend, das Schutzkonzept zu sehen. Davon können wir für das Davos Festival viel lernen. Aber es war auch ein tolles Erlebnis, wieder mal im Publikum zu sitzen, habe ich doch in den Monaten zuvor kaum Live-Musik gehört, da ich nicht wirklich der Typ für digitale Konzerte bin. Dennoch hatte dieses erste Konzert auch etwas Surreales: Die Leute waren verunsichert, ob andere auch eine Maske tragen würden, viele sassen wie auf Eiern.
So ging es mir auch, ich konnte die Musik nicht wirklich geniessen. Sie?
Doch, durchaus! Aber man merkte schon, dass die Musiker mit Abstand spielen: Das klangliche Erlebnis war dementsprechend. Ich hatte als Hörer dennoch keine Einbussen, ich dachte nicht, dass ich irgend etwas Spezielles machen müsse – ausser die Maske aufzusetzen und Desinfektionsmittel zu benutzen. Es war aber ganz anders, als ich im Juni in Zürich ein Chorkonzert dirigierte: Als Teil des Publikums schaue ich nach links und rechts, als Musiker einzig und allein in die Noten. Sobald man als Künstler aktiv ist, ist man so sehr in die Musik vertieft, dass man das Rundherum vergisst.
Es gibt viele Leute, die Angst haben, in Konzerte zu gehen. Darum wäre es wichtig, Zeichen zu setzen, eine Sicherheit fern der Schutzkonzepte zu geben. Masken sind zwar nicht Pflicht, aber wären sie bei einem Konzert nicht angebracht?
Die Musiker können sie nicht tragen, werden untereinander auch nur schwer die Abstandsregeln einhalten. Aber ich als Intendant, als Mittler zwischen Publikum und Musiker, werde eine Maske tragen. Wir sind die Schnittstelle, wollen ein Vorbild sein. Wir haben zwei Mediziner, die das Schutzkonzept mitkonzipierten. Zwei Mal im Tag wird den Musikern die Temperatur gemessen.
Haben die Musiker keine Angst?
Nur einer sagte ab, da er Angst hatte, anschliessend mit seiner Familie in Kontakt zu treten: einer von 90.
Wer hat über die Durchführung entschieden?
Die Geschäftsführerin und ich wollten immer spielen, und der Stiftungsrat stand hinter uns. Alle Seiten – Stiftungen, Ausschüsse, Sponsoren – fragten kritisch nach, aber sagten: «Toll, bleibt ihr dran!» Es war viel aufwendiger als letztes Jahr, gewisse Programme mussten wir dauernd verändern, Künstler verabschieden, neue suchen. Aber ich bin stolz, dass nun doch 90 Musiker in Davos sein werden. Natürlich ist es ein Glück, dass wir sie nicht aus der ganzen Welt einfliegen müssen wie etwa das abgesagte Verbier Festival. Aber ich musste dennoch viele Umbesetzungen machen. Leider sind es immer Bratschen, die ausfallen …
Andere Festivals engagierten kurzfristig Stars, Sie blieben bei Ihrem Konzept der «Young Artists»?
Ja, das hatte nämlich auch einen grossen Vorteil: Unsere Künstler, die bei 95 Prozent des Publikums nicht bekannt sind, sind sehr flexibel. Dank ihnen konnte ich das Programm laufend verändern. Es wäre nicht fair gewesen, die Gunst der Stunde zu nutzen und 2021 alles wieder anders zu machen.
Davos hat drei Grosssponsoren. Was, wenn einer gesagt hätte, er steige aus?
Dann hätten wir redimensionieren müssen, vielleicht bloss eine Woche gespielt. Wir hätten auch einen viel kleineren Pool an Musikern gehabt. Glücklicherweise blieben alle Partner im Boot. Es ist ein Trumpf, dass unser Hauptsaal sehr gross ist. Früher füllten wir ihn nicht ganz, machten ihn quasi kürzer. Jetzt können wir ausdehnen und haben trotz Abstand nicht viel weniger Plätze als sonst.
Sind Sie guten Mutes?
Ja, der Vorverkauf läuft gut. Bei uns gaben auch bloss wenige Besucher die Karten zurück, da die Abos übertragbar sind: Ein paar Konzerte besuchen die Leute selbst, ein paar hören dann die Bekannten. Aber bei mir kam schon auch eine Nervosität auf, als die Fallzahlen zwischendurch plötzlich wieder anstiegen. Trotz Schutzkonzept müssen wir eine Festivalatmosphäre erschaffen, sonst geht der Charme verloren. Ich hoffe, dass die ersten Tage gut laufen, dass alles selbstverständlich wird, sodass das Publikum den Fokus auf die Künstler richtet. Es gilt auch, den Nährboden für die Zukunft vorzubereiten. Leute, die nicht nach Luzern, Verbier oder Gstaad gehen, kommen diesen Sommer vielleicht zu uns: Wir können Werbung in eigener Sache machen.
Sie können auch Werbung brauchen, da Sie Konkurrenz vor dem Haus haben: Klosters Music wächst und wächst. Spüren Sie das?
Es ist schwierig, zwei Festivals so nahe nebeneinander zu haben. Wir suchten das Gespräch, um die Daten ein wenig abzusprechen, damit wir nicht gemeinsam stattfinden. Aber es gilt für uns als kleinen Player eben noch mehr, das Konzept zu schärfen, klar zu zeigen: Das sind wir. Wir können ein anderes Publikum ansprechen.
Ihr «Von Sinnen»-Festivalthema 2020 passt leider ziemlich gut in unsere Zeit.
Ja, «Von Sinnen» führt zum Blödsinn, Wahnsinn, Unsinn, Tiefsinn, Zeitsinn – zum Sinnentleerten … Es ist ein breites Überthema, in den Konzerten wollen wir in die Tiefe gehen: Mir ist ein roter Faden, wichtig: Ich will nicht nur schöne Musik hören, sondern auch überraschende Zusammenhänge.
Davos Festival – Von Sinnen
Fr, 31.7.–Sa, 15.8.
www.davosfestival.ch
Organist und Intendant
Marco Amherd (*1988) studierte Dirigieren, Orgel/Kirchenmusik (Konzert-, Lehr- und Solistendiplom) und Wirtschaftswissenschaften. Seit August 2015 ist er als Kantor an der Johanneskirche in Zürich tätig und baut in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) eine mehrchörige Kantorei auf. Nebst seiner regen Konzerttätigkeit als Organist dirigiert er aktuell mehrere semiprofessionelle und professionelle Ensembles in der Region. Seit 2018 hat er einen Lehrauftrag für Chorleitung an der ZHdK übernommen, seit Herbst 2019 ist er Intendant des Davos Festivals.