Ob man sie Madame Cinéma nennen darf? Nadine Adler Spiegel winkt lächelnd ab, sie hält diese Bezeichnung für «abgelaufen». Auch Laurent Steiert kann mit einem Monsieur Cinéma nicht viel anfangen: «Bei einem Leitungsduo wie uns gibt es weniger Projektionsfläche auf die Einzelperson, als das noch bei unseren Vorgängern der Fall war.»
Ein Budget von 32 Millionen Franken
Steiert stiess 2005 als stellvertretender Leiter der Sektion Film zum Bundesamt für Kultur (BAK), Adler Spiegel war zuletzt Co-Leiterin der Abteilung Förderung Kultur beim Migros-Kulturprozent.
Gemeinsam haben sie in diesem Frühling die Nachfolge von Ivo Kummer in der nationalen Institution zur Förderung des Schweizer Films angetreten, wo ihnen ein Budget von knapp 32 Millionen Franken zur Verfügung steht. Klingt auf Anhieb nicht schlecht
Steiert relativiert: «Im Vergleich zu Deutschland, Österreich, Belgien oder Dänemark gehört die Schweiz sicher nicht zu den bestausgestatteten Förderländern. Kommt hinzu, dass bei uns zusätzliche Kosten nur schon aufgrund der Mehrsprachigkeit anfallen.»
Da sind wir im Gespräch bereits mitten in der Verteilfrage, wobei sich die beiden bewusst sind, dass «die Filmförderung immer schon ein politisches Thema» war und in der Branche zuweilen für heisse Köpfe sorgte – ganz besonders in den Jahren 2005 bis 2010, als sich der damalige Filmchef Nicolas Bideau mit einem Grossteil der Branche verkrachte.
Umso erstaunlicher, wie offen und unkompliziert nun die neue Förder-Doppelspitze beim Interviewtermin in Bern wirkt, wo im Sitzungszimmer im Kirchenfeldquartier ein Teil der Decke mit einer Baukonstruktion abgestützt werden muss. «Wir haben beide den Anspruch, Dinge verändern zu wollen», sagt Adler Spiegel, «aber uns ist auch wichtig, dass wir mindestens einmal am Tag lachen können – auch über uns.»
«Und wie holt man Zuschauer ins Kino?»
Die Dinge verändern, so etwas sagt sich leicht. Doch wenn man weiss, wie schwer sich der Amtsvorgänger Ivo Kummer zu Beginn mit dem Erlernen des «Verwaltungsslangs» tat, denkt man eher an eine Grossbaustelle.
Steiert hat dabei den Vorteil, dass er die Abläufe im und ums BAK seit 20 Jahren kennt; Adler Spiegel wiederum kommt mit Co-Leitungs-Erfahrung und frischen Ideen von der Migros. Und beide sind entschlossen, eine gemeinsame Haltung gegen aussen zu vertreten.
Das fängt beim eidgenössischen Fördersystem an – also dort, wo es für die Herstellung eines Spielfilms oft schwierig wird, wenn nicht alle am selben Strang ziehen. Steiert präzisiert: «Wir wollen in den nächsten Jahren mit grossen Institutionen wie der Zürcher Filmstiftung, der SRG oder dem Westschweizer Verband Cineforom etwas Kohärentes auf die Beine stellen und neue Zusammenarbeitsformen entwickeln.»
Das betrifft auch die Auswertung, wie Adler Spiegel sagt: «Wir müssen uns fragen: Wo ist das Publikum, das auf welche Art was genau konsumieren will? Und wie holt man Zuschauer ins Kino, die sonst keine regelmässigen Kinogänger sind?» Die aktuellen Umwälzungen im Konsumverhalten mit Tendenz zum Streaming würden auch bei den Filmschaffenden für Verunsicherung sorgen.
Um solche Fragen zu klären und das Bewusstsein zu schärfen, lädt das BAK am Locarno Film Festival zur Schlusspräsentation der Studie «Öffentliche Filmförderung im Wandel». Das Spezielle daran: «Wir wollen keine Tatsachen verkünden, sondern über mögliche Stossrichtungen diskutieren», sagt Nadine Adler Spiegel.
Der Massnahmenkatalog umfasse dabei drei Entwicklungsszenarien: von einem leicht modifizierten Status quo über grössere Eingriffe bis zur totalen Transformation.
«Bei den Serien eröffnet sich ein grosses Potenzial»
Wohin es unter der neuen Doppelleitung gehen wird, ist also offen, aber man ist gewillt, Veränderungen vorzunehmen. Das ist auch nötig. Dass zum Beispiel die Komödie «Bon Schuur Ticino», zuletzt ein Riesenerfolg in allen Landesteilen, keine selektive Förderung vom BAK erhalten hat und der Regisseur Peter Luisi in den letzten Jahren fast immer übergangen wurde, ist ein offenes Geheimnis. «Es wäre toll, jedes Jahr so einen Blockbuster wie ‹Bon Schuur Ticino› zu haben», gibt Adler Spiegel zu. «Geschichten aus der Schweiz und über die Schweiz sind wichtig.» Allerdings dürfe das Nischenpublikum dabei nicht vernachlässigt werden.
Auch punkto Unterstützung von Serien hielt sich das BAK bislang extrem zurück und förderte Highlights wie «Davos» höchstens über Umwege wie Succès Cinéma oder Media-Ersatzmassnahmen.
Doch jetzt dürfte Bewegung in die Sache kommen, vor allem weil die vom Stimmvolk angenommene Lex Netflix Anfang 2024 in Kraft getreten ist. Laut dieser Gesetzesänderung sind alle grösseren Streaming- und Fernsehdienste verpflichtet, vier Prozent ihres Schweizer Umsatzes ins hiesige Filmschaffen zu investieren.
«Mit geschätzten 18 Millionen Franken eröffnet sich da ein grosses Potenzial», sagt Laurent Steiert. Wie dieses Geld verteilt wird, ist allerdings noch unklar. Auch das Leitungsduo hält sich bedeckt. «Bei Plattformen wie Netflix können wir vom BAK keinen Einfluss nehmen, wofür sie das Geld investieren sollen. In der Regel werden es aber wohl Serien sein», vermutet Steiert.
«Unsere Hauptaufgabe wird darin bestehen, darauf zu achten, dass diese Mittel in der Schweiz auch tatsächlich ausgegeben werden.»
Highlights der Kinokultur
Aber Hand aufs Herz: Wo hat das neue Leitungsteam zuletzt persönliche Highlights erlebt? Adler Spiegel muss nicht lange überlegen: «Das war der oscarnominierte Film ‹Past Lives› von Celine Song. Ein Drama, so schön auf den Punkt gebracht – das kann wirklich nur Kino.»
Und Steiert? «Ich war kürzlich am Pre-Opening des drei Säle umfassenden Kino Korso in Freiburg. Dass so etwas möglich ist und die Kinokultur nach der Coronakrise wieder aufblüht, freut mich umso mehr.»
Panel zur Filmförderung
Damit die Audiovisionspolitik der Schweiz zeitgemäss gestaltet werden kann, hat das BAK 2023 die Studie «Öffentliche Filmförderung im Wandel» bei der Berliner Firma Goldmedia in Auftrag gegeben. Ein Zwischenresultat wurde an den Solothurner Filmtagen im Januar 2024 vorgelegt. Die Schlusspräsentation erfolgt nun am Locarno Film Festival.
Öffentliche Filmförderung im Wandel
Do, 8.8., 10.00
PalaCinema Locarno TI