Angefangen hat alles mit einer verstaubten Schachtel auf dem Estrich der «Harry Potter»-Autorin J.K. Rowling. Diese enthielt handgeschriebene Notizen zur gruseligen Gutenachtgeschichte über das Ungeheuer Ickabog, das sie ihren beiden jüngsten Kindern vor zehn Jahren erzählt hatte. Im Lockdown im Frühling hat sie sich daran erinnert, die Kiste hervorgegraben und das Märchen fertig geschrieben. Kapitel für Kapitel hat sie anschliessend kostenlos im Internet veröffentlicht und ihre jungen Leser aufgefordert, passende Illustrationen zu gestalten. Nun liegt die deutschsprachige Ausgabe mit 34 ausgewählten Zeichnungen vor und zeigt, mit wie viel Fantasie und Talent die kleinen Künstler das Monster-Märchen illustriert haben.
Die Mär vom Ickabog bringt Unheil übers Land
Schauplatz ist Schlaraffien, wo zunächst alles im Überfluss vorhanden ist. Regiert wird es von König Fred dem Furchtlosen – so furchtlos ist er allerdings nicht, sondern vor allem eitel, selbstsüchtig und naiv, wie sich bald zeigen wird … Im Land kursiert die Legende vom Ickabog, einem kinderfressenden Ungeheuer aus dem Norden, das – je nach Erzählung – einer Schlange, einem Drachen oder einem Wolf gleicht, brüllt, faucht oder lautlos wie Nebel im Moor schwebt.Diese Mär vom Ickabog bringt Unheil über das Land, als der König beschliesst, das Monster aufzuspüren, um sich als Held feiern zu lassen. Beraten wird er von seinen vermeintlich besten Freunden: dem gefrässigen Lord Schlabberlot und dem gehässigen Lord Spuckelwert. Das Abenteuer misslingt gründlich, aber die beiden adligen Bösewichte schaffen es, die Bewohner Schlaraffiens innerhalb kürzester Zeit durch Lug und Betrug verarmen zu lassen, während sie selbst Reichtümer anscheffeln. Mit erfundenen Geschichten über den fürchterlichen Ickabog und über vermeintliche Landesverräter schüren sie die Angst. Nur das Mädchen Lilli Lerchensporn, ihr Freund Wim Wonnegleich und zwei weitere junge Revoluzzer widersetzen sich und entdecken die Wahrheit über das grüne Monster aus dem Moor …
«Warum entscheiden sich Menschen, Lügen trotz spärlicher oder gänzlich fehlender Beweise Glauben zu schenken?», fragt J.K. Rowling in ihrem Vorwort. Offensichtlich sind in ihrem politischen Märchen die Parallelen zu Diktatoren, die das Volk unterdrücken, Fake News verbreiten und die Angst vor dem Fremden für ihre eigenen Zwecke nutzen. Wie im Märchen üblich sind die Guten und die Bösen klar erkennbar. Mit zwei, drei ambivalenten Figuren durchbricht die britische Autorin aber durchaus die Schwarz-Weiss-Zeichnung und zeigt verschiedene Facetten.
Durch Rowlings dramaturgisches Geschick und ihren erfrischenden Humor, der immer wieder in Wortkreationen oder Erzählideen hervorblitzt, bleibt die Geschichte spannend bis zum Schluss. Für die kleinsten Leser ist sie wohl etwas düster, gibt es doch auf dem Weg zum Happy End viel Mord und Verrat. Gut geeignet ist der Roman für Kinder ab circa acht Jahren – zum Vorlesen lassen oder zum selber Lesen und wohligen Gruseln mit Taschenlampe unter der Bettdecke.
Buch
J.K. Rowling
Der Ickabog
336 Seiten
Mit 34 Illustrationen
(Carlsen 2020)